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Heimspiel<br />
119<br />
bun<strong>de</strong>nen Musiker von Guts Pie Earshot.<br />
Die große Ohnmacht <strong>de</strong>s Aufbegehrens:<br />
Sie wird eben in alle Ewigkeit <strong>de</strong>r Stoff für<br />
Poprebellentum bleiben. Guts Pie Earshot<br />
halten daran fest, trotz aller Wi<strong>de</strong>rsprüche.<br />
Und sie zetteln ihre Revolte in ziemlich<br />
wahnwitzigen Arrangements an, die<br />
selbst bei <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n EP mit gera<strong>de</strong><br />
mal drei Stücken <strong>de</strong>n Eindruck hinterlassen,<br />
man hätte gera<strong>de</strong> eine komplette<br />
Drum’n’Bass’n’Rock-Oper miterlebt.<br />
Daniel von Thülen<br />
Hungry, Hungry Ghost<br />
Sleeping English<br />
Wi<strong>de</strong>rheim<br />
In Sachen Pathos hat sich<br />
schon so manche junge<br />
Band verhoben. Da will man<br />
ein packen<strong>de</strong>s Debüt hinlegen,<br />
<strong>de</strong>n Sturm, <strong>de</strong>n Drang, die Euphorie<br />
auf Platte bannen, will <strong>de</strong>nen nacheifern,<br />
die man als Idole im MySpace-<br />
Profil verankert hat, <strong>de</strong>n Magnetic Fields,<br />
<strong>de</strong>n Eels, <strong>de</strong>n Wilcos. Und wo man gera<strong>de</strong><br />
dabei ist: Warum nicht auch <strong>de</strong>n Reeds<br />
und Bowies? Tja, und dann? Fährt man’s<br />
entwe<strong>de</strong>r vor die Wand, jault <strong>de</strong>n Leuten<br />
überambitioniert, aber rumpelnd die<br />
Ohren voll – o<strong>de</strong>r man macht so was wie<br />
»Sleeping English«. Freilich muss man<br />
sich ein wenig an Alex Haagers Gesang<br />
gewöhnen, <strong>de</strong>r manches Mal wie ein verschnupfter<br />
Wainwright (Rufus) klingt,<br />
aber ist dieser Schritt überwun<strong>de</strong>n, fin<strong>de</strong>t<br />
sich im besten Sinne pompöser Indiepop,<br />
<strong>de</strong>r sich schnell im Herzen festbeißt.<br />
Hungry, Hungry Ghost scheuen sich dabei<br />
nicht vor Bläser- und Glockenspieleinsatz,<br />
wie in <strong>de</strong>m fast hittigen »Seldom Am<br />
I«, können aber auch mal nerdig vor sich<br />
hin pluckern (»Bonhauser Allee«) o<strong>de</strong>r<br />
schön die Verzerrer schräbbeln lassen<br />
(»Blind«). Dazu die schon erwähnte Pathoskelle,<br />
ein stimmig illustriertes Artwork<br />
– und am En<strong>de</strong> fragt man sich fast<br />
ein wenig, warum für diese Platte nicht<br />
ein größeres Label als das kleinfeine Berliner<br />
Wi<strong>de</strong>rheim drin war. Daniel Koch<br />
I Might Be Wrong<br />
It Tends To Flow From High To Low<br />
Sinnbus / Al!ve<br />
<strong>Als</strong> Berliner hat man zwei<br />
lange Jahre auf das Debütalbum<br />
von I Might Be Wrong<br />
gewartet. Auf ihren raren<br />
Konzerten verliebte man sich heimlich<br />
in Sängerin Lisa von Billerbeck und ihren<br />
Bubikopf. Sofort kaufte man für sich<br />
und alle Freun<strong>de</strong> die selbstgebrannte<br />
Mini-CD <strong>de</strong>r Band und wartete auf weitere<br />
Lebenszeichen. Jetzt ist es endlich<br />
so weit: Mit »It Tends To Flow From High<br />
To Low« geht Berlins Lieblingsband endlich<br />
richtig in die Startlöcher. Die Zeit <strong>de</strong>s<br />
Wartens hat sich gelohnt: Die lebhaften<br />
Songs zerren einen auf eine bunte Indie-<br />
Spielwiese aus Klatschen, Singen und<br />
Tanzen. Wür<strong>de</strong> von Billerbeck ihre elfenzarte<br />
Stimme nicht über die pluckern<strong>de</strong>n<br />
und klopfen<strong>de</strong>n Sounds legen, klängen<br />
I Might Be Wrong zwar wie <strong>de</strong>r Soundtrack<br />
zu einem Super-Mario-Spiel, doch<br />
schon nach wenigen Takten fin<strong>de</strong>t man<br />
sich in <strong>de</strong>r elektronisierten Fantasiewelt<br />
<strong>de</strong>r Band wie<strong>de</strong>r. Den Spaß an ihrer Musik<br />
hört man bei je<strong>de</strong>m Beat und je<strong>de</strong>m<br />
Trommelschlag. Auch wenn <strong>de</strong>r Bandname<br />
von Selbstzweifeln spricht: Diese<br />
Band macht <strong>de</strong>finitiv alles richtig.<br />
Julia Gudzent<br />
The Lonesomes<br />
This Is Cow-Fi<br />
Loaf<br />
Kennt ihr <strong>de</strong>n schon: Was<br />
macht <strong>de</strong>r Cow-Fi im Refrain?<br />
Muh! Wie bitte, nicht<br />
lustig? Na ja, ist ja eigentlich<br />
auch gar kein Witz, son<strong>de</strong>rn nichts als<br />
die reine Wahrheit. Denn das schlichtweg<br />
Umwerfen<strong>de</strong> an The Lonesomes’ zweitem<br />
Album ist, dass es zu scheppern<strong>de</strong>n Becken,<br />
Gitarrengrummeln und <strong>de</strong>m Fiepen<br />
billiger Keyboards wirklich immer wie<strong>de</strong>r<br />
laut Muh! und Mäh! und Bööh! macht.<br />
Eine Platte, die alles auf einen <strong>de</strong>rartigen<br />
Novelty-Effekt setzt, müsste sich<br />
eigentlich allerschnellstens verschlissen<br />
haben. Witz kapiert, zweimal gelacht und<br />
tschüss. Noch absur<strong>de</strong>r und besser als<br />
das Gemuhe ist an »This Is Cow-Fi« aber,<br />
dass sich das Album überhaupt nicht abnutzt,<br />
son<strong>de</strong>rn immer noch toller wird. Die<br />
Frage, ob das nun komplett dada, ein radikales<br />
Konzept <strong>de</strong>r Sinnverweigerung<br />
o<strong>de</strong>r nur totaler Schmarrn ist, wäre damit<br />
schnell beantwortet. Das ist schlichtweg<br />
großartigster, wun<strong>de</strong>rbarster Unsinn,<br />
verpackt in zauberhafte Kin<strong>de</strong>rmelodien-<br />
Elektronik, Country-Songs und Leichtes-<br />
Hören-Schmalz. Von <strong>de</strong>m Gemöpe kann<br />
man kaum genug bekommen. Muh!<br />
Malte Carli<br />
Missent To Denmark<br />
A Clue, A Hint, A Love<br />
Eigenvertrieb & Motor Digital<br />
Drei junge Menschen schließen<br />
sich für zwei Wochen im<br />
bayrischen Heimatkaff Deggendorf<br />
in einem Haus ein<br />
und proben <strong>de</strong>n Ernstfall »Debütalbum«.<br />
Bei so einem Experiment wäre in <strong>de</strong>n frühen<br />
Siebzigern wahrscheinlich ein zugedröhntes<br />
Stück Musik rausgekommen,<br />
weil man mehr mit Kiffen, Pilzefressen<br />
und <strong>de</strong>m Ausloten sexueller Tabuzonen<br />
beschäftigt gewesen wäre. Heutzutage<br />
sind junge Menschen allerdings diszipliniert,<br />
entschlossen und zielstrebig. An<strong>de</strong>rs<br />
ist nicht zu erklären, warum sich auf<br />
diesem Album ein gelungener Popsong an<br />
<strong>de</strong>n nächsten reiht. Kein zielloses Rumgejamme,<br />
son<strong>de</strong>rn Vierminüter, die sitzen.<br />
Und auch wenn das Album laut Booklet<br />
im »Wohn- und Musikzimmer« <strong>de</strong>r Familie<br />
<strong>de</strong>s Drummers abgemischt wur<strong>de</strong>, hört<br />
es sich an, als hätte zum Beispiel O.L.A.F.<br />
Opal zumin<strong>de</strong>st sein Equipment zur Verfügung<br />
gestellt. Man könnte höchstens<br />
bemängeln, dass die drei ihren Vorbil<strong>de</strong>rn<br />
ein wenig zu durchsichtig nacheifern: im<br />
pluckern<strong>de</strong>n Notwist-<strong>Intro</strong>, im <strong>de</strong>ath-cabbigen<br />
»Weatherforcasts Will Lead Us«,<br />
im Radiohead-Falsett in »The Secret<br />
Street«, im elbowigen Pathos in »Open<br />
Book«. Aber wen stört’s, wenn sie all das<br />
gar selbstverständig hinbekommen. Bitte<br />
<strong>de</strong>mnächst wie<strong>de</strong>r einschließen.<br />
Daniel Koch<br />
Ohne Fronten Crew<br />
Mosaik<br />
Al Dente Records<br />
Die Warnschuss-Beats von<br />
HipHop zielen jetzt also gegen<br />
Krieg, o<strong>de</strong>r wie? So von<br />
wegen »ohne Fronten«. Tatsächlich:<br />
Die Crew setzt auf Integrationspower<br />
und Völkerverständigung durch<br />
Rap. Neun MCs haben sich in <strong>de</strong>r Crew<br />
zusammengeschlossen und legen mit<br />
»Mosaik« das erste gemeinsame Album<br />
vor. Representing Hanau, Mühlheim, Offenbach<br />
– das ist Rhein-Main international<br />
in Deutsch, Türkisch, Italienisch und<br />
Französisch. Kann man sich ungefähr wie<br />
eine genuin multikulturelle Ausgabe <strong>de</strong>s<br />
Wu-Tang Clan vorstellen. So mosaikmäßig<br />
halt: »Verschie<strong>de</strong>ne Typen, verschie<strong>de</strong>ne<br />
Styles, das Ergebnis ist eins.« Blut, Drogen,<br />
Bitches, Gangsta-Klischees? Nee,<br />
danke. Bei <strong>de</strong>r Crew gibt’s nur jugendfreien<br />
Optimismus auf die Beats. Während<br />
irgendwelche Wirtschaftsweisen die<br />
Wachstumsraten immer wie<strong>de</strong>r nach unten<br />
korrigieren wollen, wer<strong>de</strong>n auf Hessens<br />
Straßen Durchhalteparolen ausgegeben:<br />
»Auch wenn keiner dran glaubt, es<br />
geht weiter bergauf.« Gute Nachrichten<br />
für Deutschland, schlechte für <strong>de</strong>n hessischen<br />
Lan<strong>de</strong>sfürsten. Falls <strong>de</strong>r zufällig<br />
mal auf einem Ohne-Fronten-Jam lan<strong>de</strong>n<br />
sollte, wird er sich grün und braun ärgern.<br />
Denn wenn HipHop noch ein Weilchen so<br />
weitermacht, ist es schnell mal Essig mit<br />
weiterem Wasser auf Roland Kochs Wahlkampfmühlen.<br />
Christoph Arber<br />
Red<strong>de</strong>lört<br />
Red<strong>de</strong>lört<br />
Cobretti<br />
Mit Sounds zu punkten,<br />
die sich irgendwie verbieten,<br />
ist nie ein Spaziergang.<br />
Viele empfin<strong>de</strong>n es als obszön,<br />
wenn <strong>de</strong>r Kanon, was geht und was<br />
nicht geht, auf <strong>de</strong>n Kopf gestellt wird.<br />
Schon die ersten Sekun<strong>de</strong>n Red<strong>de</strong>lört<br />
dürften also Zurechnungsfähigkeitswächtern<br />
Schmerzen zufügen. Cheesy<br />
Großraumrave-Beats – vielleicht Mayday<br />
1995 o<strong>de</strong>r Dune o<strong>de</strong>r bestenfalls<br />
Scooter –, dazu billige Keyboard-Einstellungen<br />
wie »Trumpet« o<strong>de</strong>r »Horn«,<br />
die eine verknappte eingängige Melodie<br />
du<strong>de</strong>ln. Techno, <strong>de</strong>ssen schäbigstes Signum<br />
wäre: »So uncool, dass es schon<br />
wie<strong>de</strong>r cool ist.« Aber es muss zum Glück<br />
heißen: »So durch, dass klassische Coolness-Kategorien<br />
untergehen und es tatsächlich<br />
Spaß macht.« Die Band kommt<br />
übrigens aus Schleswig-Holstein und wird<br />
gemischt von Arni von Plemo. Passt.<br />
Linus Volkmann<br />
Red Tape Para<strong>de</strong><br />
Red Tape Para<strong>de</strong><br />
redtapepara<strong>de</strong>.<strong>de</strong><br />
Es gibt Dinge, die sich nie än<strong>de</strong>rn<br />
wer<strong>de</strong>n und allen Fortschritt<br />
vereiteln. Eine <strong>de</strong>r<br />
unverrückbaren Konstanten<br />
ist das Interesse <strong>de</strong>r Linken an irrwitzigen<br />
Partikularproblemen: Tierschutz,<br />
die Unterdrückung von Homosexuellen in<br />
Kuba und natürlich dieser Mumia-Abu-<br />
Jamal-Quatsch. Beson<strong>de</strong>rs putzig anzusehen<br />
ist diese Themenfolklore traditionell<br />
in <strong>de</strong>r Hardcore-Szene. Red Tape<br />
Para<strong>de</strong> halten sich dort auf und begrüßen<br />
einen auf <strong>de</strong>r Internetseite dann auch<br />
gleich mit <strong>de</strong>n wesentlichen Statements:<br />
Die Musiker, bekannt durch Aktivitäten in<br />
<strong>de</strong>n Formationen Static 84, Driving The<br />
Salt, John Deere u. a., sind »pro-gay« und<br />
setzen sich auch für die Belange antirassistischer<br />
Punkbands ein. Dafür sei ihnen<br />
an dieser Stelle mein ganz persönlicher<br />
Glückwunsch übermittelt. Ferner tritt die<br />
Band für Religionsausübung fern von Kirchenstrukturen<br />
ein, was angesichts <strong>de</strong>r<br />
Tatsache, dass es keinen Gott gibt, ihm zu<br />
Ehren aber noch allerlei bewaffnete Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen<br />
abgehalten wer<strong>de</strong>n,<br />
hochgefährlicher Schwachsinn ist. Musikalisch<br />
allerdings: einwandfrei.<br />
Boris Fust<br />
Sankt Otten<br />
Wun<strong>de</strong>n gibt es immer wie<strong>de</strong>r<br />
Hid<strong>de</strong>n Shoal Records<br />
Man kennt das: Filme, die<br />
vor lauter Opulenz und Ornament<br />
und Selbstverliebtheit<br />
in ihrer Bildgewalt<br />
erstarren. Irgen<strong>de</strong>ine Be<strong>de</strong>utung hinter<br />
<strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn, so was wie Subtext, Verweiskraft,<br />
metaphorische Ebene: alles Fehlanzeige.<br />
Statt<strong>de</strong>ssen purer ästhetischer<br />
Genuss. Sankt Otten alias Stephan Otten<br />
und Oliver Klemm aus Osnabrück haben<br />
mit ihrem dritten Album »Wun<strong>de</strong>n gibt es<br />
immer wie<strong>de</strong>r« natürlich keinen solchen<br />
Film gedreht. Doch ihre Musik wür<strong>de</strong> sich<br />
darin bestimmt ganz gut machen. Der Vergleich<br />
drängt sich auf: Sankt Otten wollen<br />
cinematisch klingen, sie liefern einen Ohrenschmaus<br />
für das innere Auge, <strong>de</strong>r natürlich<br />
diese klischeehafte Soundtrack-<br />
zu-einem-Film-<strong>de</strong>r-nie-gedreht-wur<strong>de</strong>-<br />
Qualität vor sich her trägt. Dabei ist ihr erhaben-instrumentales<br />
Dröhnen Balsam<br />
auf die im Titel genannten »Wun<strong>de</strong>n«. ≥