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Musik<br />

059<br />

D<br />

ieser Tage viel diskutiert und viel benannt ist<br />

die Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Sehgewohnheiten, seit<br />

wir selbst auf YouTube und Co. unsere eigene<br />

Clip-Rotation bestimmen. »Das Vi<strong>de</strong>o von<br />

OK Go hat einen MTV Award gewonnen, obwohl es ohne<br />

Regisseur gemacht wur<strong>de</strong> und nur auf DV gedreht ist«,<br />

fällt Uwe Fla<strong>de</strong> gleich zum Thema ein. Fla<strong>de</strong> ist einer <strong>de</strong>r<br />

wichtigsten <strong>de</strong>utschen Musikvi<strong>de</strong>o-Regisseure <strong>de</strong>r letzten<br />

Jahre. Neben <strong>de</strong>utschen Künstlern wie 2raumwohnung<br />

und Sportfreun<strong>de</strong> Stiller befin<strong>de</strong>n sich auf Uwes »Rolle«,<br />

<strong>de</strong>r Sammlung seiner Clips und Werbefilme, auch Namen<br />

wie Zoot Woman, Franz Ferdinand und Depeche Mo<strong>de</strong>. Ins<br />

Geschäft ist Fla<strong>de</strong> über alte Bekannte gekommen: »Mein<br />

erstes Vi<strong>de</strong>o habe ich 2000 für die Sportfreun<strong>de</strong> Stiller<br />

zum Song Wun<strong>de</strong>rbaren Jahren gedreht. Von Vorteil war,<br />

dass ich mit <strong>de</strong>m Peter auf <strong>de</strong>r Schule war.«<br />

Nach sieben Jahren im Biz sieht Fla<strong>de</strong> <strong>de</strong>n gegenwärtigen<br />

Musikvi<strong>de</strong>o-Markt kritisch: »Vor acht bis zehn Jahren<br />

gab es zwar auch schon bewusst Lo-Fi’ig gemachte<br />

Vi<strong>de</strong>os wie Praise You von Fatboy Slim, aber generell wur<strong>de</strong><br />

viel investiert, um die Clips gut aussehen zu lassen: Es<br />

ging darum, große I<strong>de</strong>en zu inszenieren. Was Regisseure<br />

wie Gondry, Glazer, Cunningham und Spike Jonze gedreht<br />

haben, gilt für mich immer noch als die gol<strong>de</strong>ne Zeit <strong>de</strong>s<br />

Mediums. Sie haben Stile und Welten erfun<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>r<br />

Ambition, Emotionalität zu erzeugen. Das hat auch <strong>de</strong>n<br />

Spielfilm und die Werbung stilistisch beeinflusst – was<br />

heute eher nicht mehr <strong>de</strong>r Fall ist.«<br />

Zur Erinnerung: OK Go, Rockband aus Chicago, verdanken<br />

ihren Musikvi<strong>de</strong>os einen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Teil ihrer Popularität.<br />

»A Million Ways«, die erste Single <strong>de</strong>s zweiten<br />

Albums von 2005, zeigt die Band beim Tanzen im Hinterhof.<br />

Das Budget für <strong>de</strong>n Clip betrug <strong>de</strong>r Legen<strong>de</strong> nach unter<br />

zehn Dollar und ist ohne Wissen <strong>de</strong>r Plattenfirma Capitol<br />

Records entstan<strong>de</strong>n und veröffentlicht wor<strong>de</strong>n. Ein<br />

Jahr später wur<strong>de</strong> »A Million Ways« zum meist runtergela<strong>de</strong>nsten<br />

Clip <strong>de</strong>r Geschichte ernannt, mit über 90 Millionen<br />

Downloads. Die zweite Single »Here It Goes Again«<br />

zeigt die Band ähnlich choreografiert auf vier Laufbän<strong>de</strong>rn.<br />

Bis August 2007 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Clip 27 Millionen Mal<br />

angeschaut und belegt <strong>de</strong>n vierten Platz <strong>de</strong>r YouTube-<br />

All-Time-Favourites. Der Clip wur<strong>de</strong> mit einem Grammy-<br />

Award ausgezeichnet.<br />

»Das OK-Go-Vi<strong>de</strong>o ist für mich die Blaupause für Musikvi<strong>de</strong>os<br />

in <strong>de</strong>r MySpace- und YouTube-Zeit. In diesen Foren<br />

wird eine neue Art von spielerischer Kreativität honoriert,<br />

die vorher die Ausnahme war. Toll ist natürlich auch,<br />

dass Bands hier <strong>de</strong>mokratisch ent<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n und sich<br />

in diesen Biotopen eine neue Form von Kreativität entwickelt,<br />

die nicht unbedingt über <strong>de</strong>n Filter Musikindustrie<br />

läuft. Um ehrlich zu sein, hat für mich als Regisseur<br />

aber das Musikvi<strong>de</strong>o als künstlerisches Leitmedium seinen<br />

Reiz verloren, was nicht be<strong>de</strong>utet, dass ich mich nicht<br />

mehr dafür interessiere – ich schaue mir alles an«, gesteht<br />

Fla<strong>de</strong>.<br />

Triumph <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en im basis<strong>de</strong>mokratischen Internet,<br />

könnte man an dieser Stelle jubilieren, abseits von großen<br />

Budgets und namhaften Regisseuren bringt das Zeitalter<br />

zugänglicher Amateur-Software ihre eigenen Ikonen heraus.<br />

Allerdings sind Geschichten wie jene von OK Go o<strong>de</strong>r<br />

die MySpace-Triumphe von Arctic Monkeys und Lily Allen<br />

Einzelfälle, sowohl, was Erfolg, als auch – und viel wichtiger<br />

–, was die Kreativität angeht. Ein wirklicher Trend zu<br />

großer Eigenständigkeit und Um<strong>de</strong>nken in <strong>de</strong>r Produktion<br />

von Musikvi<strong>de</strong>os zeichnet sich <strong>de</strong>rzeit nicht ab. Robert<br />

Sei<strong>de</strong>l, Regisseur aus Jena, <strong>de</strong>r mit einem Low-Budget-Clip<br />

für <strong>de</strong>n Song »Futures« von Zero 7 (featuring José Gonzáles)<br />

für Aufsehen auf Filmfestivals sorgte, klagte über eine<br />

Anfrage für ein Musikvi<strong>de</strong>o für The Bright Eyes: Es sollte<br />

nicht nur keine Gage geben, son<strong>de</strong>rn auch kein Budget.<br />

»Wenn es selbst für Bright Eyes kein Geld mehr gibt, wo<br />

gibt es dann noch welches?« fragt Sei<strong>de</strong>l.<br />

In <strong>de</strong>r Theorie<br />

Vierhun<strong>de</strong>rt Schnitte in 3:30 Minuten, ein Schnitt pro Sekun<strong>de</strong>,<br />

120 Beats per Minute, springen<strong>de</strong> Bil<strong>de</strong>r, gänzlich<br />

frei von inhaltlichem Zusammenhang, ein einziger langer,<br />

schnittfreier Schwenk von dreieinhalb Minuten, 15 Minuten<br />

Grusel-Actionkino mit Tanzeinlage, vier Minuten kotzen,<br />

koksen und prügeln aus <strong>de</strong>m subjektiven »Point of View«:<br />

Kamera und Mäuse in <strong>de</strong>r U-Bahn. Je<strong>de</strong>r dieser Filme fällt<br />

unter die Bezeichnung Musikvi<strong>de</strong>o. Das Spektrum ist weit,<br />

die Möglichkeiten groß – zumin<strong>de</strong>st in <strong>de</strong>r Theorie.<br />

Das Musikvi<strong>de</strong>o, also die I<strong>de</strong>e von visualisierter Musik,<br />

bahnte sich von Motion-Graphic-Experimenten <strong>de</strong>utscher<br />

Expressionisten wie Oskar Fischinger und Hans Richter<br />

über kanadische Direct-Cinema-Vertreter wie Albert und<br />

David Mayseltes in <strong>de</strong>n 60ern seinen Weg in <strong>de</strong>n Mainstream.<br />

Im Letzteren kam es in <strong>de</strong>n späten 60ern zunächst<br />

über Chartspop-Sendungen wie »Top Of The Pops« an, vornehmlich<br />

im Mutterland <strong>de</strong>s Pop: UK. So richtig zum Konsensthema<br />

wur<strong>de</strong> es in <strong>de</strong>n frühen 80ern mit <strong>de</strong>r Geburt<br />

von MTV, jenem Sen<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r schon in seinem Namen bei<strong>de</strong><br />

Bestandteile zusammenführt. Rückblickend können die<br />

90er-Jahre als Blütezeit <strong>de</strong>s Musikvi<strong>de</strong>os gesehen wer<strong>de</strong>n,<br />

heute, in Tagen von digitalem Vi<strong>de</strong>o und iMovie, läuft<br />

das Medium Gefahr, auf direktem Wege in die Willkür, in<br />

die Be<strong>de</strong>utungslosigkeit zu rennen – trotz künstlerischer<br />

Ausnahmen wie OK Go. Vielleicht wird <strong>de</strong>m freien Medium<br />

in Zeiten großer ökonomischer Ängste sein breites Spektrum<br />

zum Verhängnis. Denn Musikvi<strong>de</strong>o kann wirklich alles<br />

sein, darf alles machen.<br />

Zurück in die Praxis<br />

Die 90er-Jahre waren zunächst ein Jahrzehnt <strong>de</strong>s Aufbruchs,<br />

zum einen im neuen, digitalen Raum <strong>de</strong>s Internets<br />

und gleichzeitig in <strong>de</strong>r digitalen Bildbearbeitung. Mit <strong>de</strong>r<br />

Öffnung alter Grenzen öffneten sich auch die Köpfe <strong>de</strong>r<br />

Zuschauer für neue Welten, und so brach aus <strong>de</strong>m zum<br />

Marketing-Produkt stilisierten, zumeist schäbigen, nur<br />

manchmal cleveren Medium, <strong>de</strong>ssen Bezeichnung »Promo«,<br />

kurz für »Promotional Music Vi<strong>de</strong>o«, war, nach und<br />

nach ein Strom von visueller Innovation. Das verlachte und<br />

vom pädagogischen Gewissen gern zur Rechenschaft gezogene<br />

Kaugummi-Filmchen mauserte sich zum Leitmedium,<br />

sogar zur Kunstform. Diese Wandlung begann mit<br />

einem <strong>de</strong>nkbar einfachen Schritt: Ab 1995 begann MTV<br />

USA nicht nur <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s Künstlers <strong>de</strong>s Songs und<br />

<strong>de</strong>s Plattenlabels einzublen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Clipregisseurs. Mit <strong>de</strong>r Nennung <strong>de</strong>r Regisseure traten<br />

die Filmemacher aus <strong>de</strong>m Schatten <strong>de</strong>s Dienstleisters<br />

ins Licht <strong>de</strong>s eigenständigen Kulturschaffen<strong>de</strong>n, und aus<br />

<strong>de</strong>m Produkt wur<strong>de</strong> ein Werk.<br />

Von nun an vollzog sich langsam, aber stetig eine <strong>de</strong>utliche<br />

Verän<strong>de</strong>rung im Erscheinungsbild <strong>de</strong>r Musikvi<strong>de</strong>os:<br />

Statt lediglich das Image eines Künstlers in Form von inszenierter<br />

Performance und gut gemachten Choreografien<br />

mitsamt gutem Make-up und schrägen Klamotten möglichst<br />

interessant rüberzubringen, erschuf eine neue Generation<br />

von Musikvi<strong>de</strong>o-Regisseuren neue visuelle Welten<br />

mit eigenen Gesetzen: Inspiriert von einer I<strong>de</strong>e im jeweiligen<br />

Song, einer Textzeile, einer Grundstimmung, brach ≥<br />

Musikvi<strong>de</strong>o<br />

»Das Musikvi<strong>de</strong>o ist ein kurzer Film o<strong>de</strong>r<br />

Vi<strong>de</strong>ofilm, <strong>de</strong>r ein vollständiges Musikstück,<br />

zumeist einen Song, visuell begleitet.<br />

Mo<strong>de</strong>rne Musikvi<strong>de</strong>os wer<strong>de</strong>n in erster<br />

Linie als Marketing Device zur Verbreitung<br />

von Musik hergestellt.« (Wikipedia.com)<br />

Robert Sei<strong>de</strong>l<br />

28-jähriger Stu<strong>de</strong>nt aus Jena, <strong>de</strong>ssen<br />

Auszeichnungen für seinen Experimental-<br />

Kurzfilm »Grau« die Zeichenzahl dieses<br />

Textes sprengen wür<strong>de</strong>n. Sein Musikvi<strong>de</strong>o<br />

für Zero 7 featuring José Gonzáles zeigt<br />

Fotos von verdrückten, organischen<br />

Früchten, die synchron zum Rhythmus<br />

ineinan<strong>de</strong>r morphen. Abstraktion und<br />

Eleganz machen sein sehr experimentelles<br />

Vi<strong>de</strong>o zum Ereignis.

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