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Literatur<br />
089<br />
SCHWERTER ZU<br />
PFLUGSCHAREN<br />
Neue Fantasy mit Jasper Nicolaisen<br />
Science-Fiction ließ sich sowohl vor Liebhabern als auch<br />
vor Ahnungslosen immer schon als gesellschaftskritisches<br />
Genre verkaufen. Utopische Literatur halt. Was<br />
vielleicht gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb so bereitwillig akzeptiert wur<strong>de</strong>,<br />
weil die Kritik damit Sache <strong>de</strong>r Zukunft war. Fantasy<br />
hingegen gilt Schulmeistern und kritischen Hipstern<br />
gleichermaßen als kulturindustrieller Schund, weshalb<br />
man sie schon aus Bockigkeit lieben muss. Aber warum<br />
nicht auch mal <strong>de</strong>r Elfen-und-Drachen-Briga<strong>de</strong>,<br />
<strong>de</strong>n Zauberern und Schwertern kritisches Bewusstsein<br />
und emanzipatorisches Potenzial unterstellen? Schließlich<br />
geht’s in <strong>de</strong>n fantastischen Welten auch immer auf<br />
zum letzten Gefecht. <strong>Als</strong> Argumentationskrücke schlage<br />
ich vor, die neuere Fantasy als ernsthafte Überprüfung<br />
<strong>de</strong>r Entstehungsbedingungen unserer Gegenwart<br />
zu <strong>de</strong>uten. Sie als waschechte Archäologie <strong>de</strong>r Macht zu<br />
begreifen, die uns die Augen dafür öffnet, dass es auch<br />
ganz an<strong>de</strong>rs hätte kommen können und sollen. Statt<br />
Märchenmittelalter knallt uns da eine Frühmo<strong>de</strong>rne<br />
mit Dampfkraft, dreckigen Slums und <strong>de</strong>r ganzen Kapitalismuskacke<br />
in die Fresse. Die da oben haben mal<br />
wie<strong>de</strong>r die Magie.<br />
Gleich beim ersten Beispiel, »Greatwinter. Seelen<br />
in <strong>de</strong>r großen Maschine« (Klett-Cotta, 629 S., EUR<br />
19,90) von Sean McMullen, müssen wir als alte Dialektikfüchse<br />
<strong>de</strong>m Einwand begegnen, dass die Geschichte<br />
offensichtlich in <strong>de</strong>r Zukunft nach <strong>de</strong>r Apokalypse<br />
spielt. Doch wir verweisen darauf, dass diese Zukunft<br />
fatal an die Vergangenheit erinnert: Ein riesiger Computer,<br />
<strong>de</strong>ssen Schaltkreise wie in einer Manufaktur aus<br />
versklavten Menschen zusammengesetzt sind, wird<br />
von einer Herrscherkaste aus Wissenshütern dazu eingesetzt,<br />
die Gesellschaft auf <strong>de</strong>m Weg aus <strong>de</strong>m neuen<br />
Mittelalter Schritt für Schritt zu disziplinieren und zu<br />
unterwerfen. Die neuen Eisenbahnen wer<strong>de</strong>n mit Muskelkraft<br />
betrieben, und zusätzlich zum Fahrpreis muss<br />
man mitstrampeln. Typisch.<br />
Noch schlagen<strong>de</strong>r beweist »Aether« (Klett-Cotta,<br />
509 S., EUR 24,50) von Ian R. McLeod unsere schöne<br />
Ausgangsthese. Hier sind wir vollends in einem frühindustriellen<br />
England angekommen, wie es sich Dickens<br />
nicht schrecklicher hätte ausmalen können. Nur dass<br />
nicht <strong>de</strong>r Kohleabbau das Land verwüstet, son<strong>de</strong>rn die<br />
Äthergewinnung. Magie als natürliche und endliche<br />
Ressource befeuert hier Kapitalismus und schließlich<br />
Klassenkampf, von <strong>de</strong>m man erfreulicherweise auch<br />
erfährt, wie man ihn nicht führt.<br />
R. Scott Bakkers »Krieg <strong>de</strong>r Propheten«-Reihe<br />
(2 Bän<strong>de</strong>, Nr. 3 in Vorbereitung, Klett-Cotta, je EUR<br />
24,50) bringt uns etwas ins Schleu<strong>de</strong>rn. Dem Autor geht<br />
es gar nicht um Mo<strong>de</strong>rnisierung, son<strong>de</strong>rn um die Verquickung<br />
von Politik, Religion, Krieg und Magie vor einem<br />
eher antik-persischen Hintergrund. Aber auch da fällt<br />
uns ein wohlfeiler Zeitbezug sicher nicht schwer, zumal<br />
Bakkers Schil<strong>de</strong>rung politischer Intrige je<strong>de</strong>n Thriller<br />
schlägt. Und hey – Archäologie <strong>de</strong>r Macht, Zweistromland,<br />
Religionskrieg, da haben wir’s ja!<br />
Formal am ungewöhnlichsten und insofern astreines<br />
Rechtfertigungsmaterial ist sicherlich »Stadt <strong>de</strong>r Heiligen<br />
und Verrückten« (Klett-Cotta, 460 S., EUR 25)<br />
von Jeff Van<strong>de</strong>rMeer. Eine wahnwitzige, an Borges erinnern<strong>de</strong><br />
Textcollage. Durch Reiseberichte, wissenschaftliche<br />
Abhandlungen, historische Traktate und<br />
Bibliothekskataloge entsteht die Stadt Ambra. Van<strong>de</strong>rMeer<br />
erzählt nicht nur von Imperialismus und Versklavung.<br />
Sein Buch macht sinnfällig, wie Eroberung an<br />
Wissensproduktion und -vermittlung gekoppelt ist.