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Film<br />
077<br />
WER AN DEN<br />
HORROR GLAUBT<br />
Sweeney Todd<br />
Was ist unheimlicher – ein Haus voller Geister o<strong>de</strong>r die Psyche eines Menschen, <strong>de</strong>r<br />
sich von Geistern umgeben wähnt? In »Das Waisenhaus« zeigt Regisseur Juan Antonio<br />
Bayona <strong>de</strong>n Untergang einer Frau, die sich nicht von ihrer Kindheit lösen kann.<br />
My Blueberry Nights<br />
Wong Kar-Wai verlässt mit seinem jüngsten Film das historische<br />
Hongkong und spürt nun US-amerikanischen Mythen<br />
nach. Während Wim Wen<strong>de</strong>rs mit »Don’t Come Knocking«<br />
die prototypischen Amerikabil<strong>de</strong>r Edward Hoppers<br />
in Bewegung versetzte, scheint sich Wong Kar-Wai von <strong>de</strong>n<br />
Fotografien <strong>de</strong>s Alltagschronisten William Eggleston leiten<br />
zu lassen. Er zeigt dunkle Bars, Diners, Wüsten, Casinos<br />
und leere Straßenkreuzungen, auf <strong>de</strong>ren nassem Asphalt<br />
sich die Lichter <strong>de</strong>r Straßenlaternen spiegeln. In diesen Bil<strong>de</strong>rn<br />
verliert sich <strong>de</strong>r asiatische Regisseur ebenso wie seine<br />
von <strong>de</strong>r Sängerin Norah Jones gespielte Protagonistin:<br />
Die New Yorkerin Elisabeth, betrogen von ihrem Freund,<br />
flüchtet sich in Jeremys Café. Nach einigen langen Nächten<br />
reist sie auf <strong>de</strong>r Suche nach sich selbst zunächst nach<br />
Memphis, dann nach Las Vegas. An bei<strong>de</strong>n Orten erlebt sie<br />
Geschichten – als Zuschauerin. Danach kehrt sie zurück<br />
in das kleine Café in New York. Nun weiß sie, was sie will.<br />
Nachvollziehbar wird ihre Reifung für <strong>de</strong>n Zuschauer nicht.<br />
Wong Kar-Wai hält an seiner mit »In The Mood For Love«<br />
und »2048« entwickelten Ästhetik trotz Wechsel <strong>de</strong>s Kameramanns<br />
fest. Christopher Doyle wur<strong>de</strong> nach fast zwei<br />
M<br />
an mag »Das Waisenhaus« Furcht einflößend<br />
fin<strong>de</strong>n. Es gibt aber kaum Gewalt<br />
und Blut. War das eine bewusste<br />
Entscheidung? Es wäre vielleicht einfacher<br />
gewesen, wenn wir etwas Monströses eingebaut hätten,<br />
aber wir wollten unbedingt <strong>de</strong>m Zuschauer zwei Lesarten<br />
ermöglichen. Einmal ein realistisches Drama um eine<br />
Frau, die das Verschwin<strong>de</strong>n ihres Kin<strong>de</strong>s nicht akzeptieren<br />
kann. Und dann natürlich eine klassische Geistergeschichte.<br />
Zu viele Spezialeffekte hätten da unsere eigenen Intentionen<br />
untergraben.<br />
Sie meinen, man könnte Ihren Film auch als reines Psychodrama<br />
begreifen? Ambiguität ist alles! Wir haben uns<br />
dabei stark von Henry James’ »The Turning Of The Screw«<br />
[1961 verfilmt als »Schloss <strong>de</strong>s Schreckens«] inspirieren<br />
lassen.<br />
»Das Waisenhaus«, von Guillermo Del Torro mitproduziert,<br />
ist nach »Pans Labyrinth« <strong>de</strong>r nächste spanische<br />
Film, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Tod eine beson<strong>de</strong>re Konnotation erfährt.<br />
Das Sterben scheint jeweils eine gewisse Form von Glück<br />
zu ermöglichen. Ich <strong>de</strong>nke nicht, dass <strong>de</strong>r Tod die Lösung<br />
für irgen<strong>de</strong>twas ist. In bei<strong>de</strong>n Filmen gibt es ein Gefühl drohen<strong>de</strong>n<br />
Unheils, gegen das die Protagonistinnen mit Hilfe<br />
ihrer Fantasie ankämpfen. Die Aussage ist dabei ähnlich wie<br />
in Märchen, nämlich, dass wir die Fiktion brauchen, um die<br />
Realität zu verstehen bzw. sie zu ertragen.<br />
Es wäre also eine Fehlinterpretation zu behaupten, dass<br />
in <strong>de</strong>n Filmen eine Form von To<strong>de</strong>ssehnsucht thematisiert<br />
wird? Es gibt dort eher einen Horizont <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s. Man darf<br />
<strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>r Laura auch nicht als jeman<strong>de</strong>n sehen, an<br />
<strong>de</strong>m man sich orientieren sollte. Ich möchte sie verstehen,<br />
aber ich befürworte ihr Han<strong>de</strong>ln nicht.<br />
<strong>Als</strong>o ist ihr Film eine Tragödie? Er hat auf je<strong>de</strong>n Fall ein tragisches<br />
Element. Wir haben viel diskutiert über die winzige<br />
Distanz zwischen <strong>de</strong>n Menschen, die glauben, und <strong>de</strong>nen,<br />
die es nicht tun. Und mir geht es um das Bedürfnis, glauben<br />
zu können. Auch wenn es tragische Konsequenzen hat.<br />
Martin Riemann<br />
Das Waisenhaus (E 2007; R: Juan Antonio Bayona; D: Belén Rueda,<br />
Fernando Cayo, Geraldine Chaplin; 14.02.)<br />
Jahrzehnten <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />
durch Darius Khondji ersetzt.<br />
Der macht genau da weiter: elegante<br />
Farben, ein somnambules<br />
Gefühl von Trägheit, von einem<br />
etwas penetrant eingesetzten<br />
Nachzieheffekt <strong>de</strong>r Bil<strong>de</strong>r unterstützt.<br />
Der zum Stil gewachsene<br />
Manierismus hinterlässt<br />
durch die oberflächliche Eleganz<br />
<strong>de</strong>r geschmeidigen<br />
Einstellungen einen fa<strong>de</strong>n<br />
Beigeschmack, <strong>de</strong>n<br />
die dürftige Story nicht<br />
auffängt.<br />
Christian Meyer<br />
My Blueberry Nights (HK/<br />
CN 2007; R: Wong Kar-Wai; D:<br />
Norah Jones, Ju<strong>de</strong> Law, Natalie<br />
Portman; 24.01.<br />
Es erscheint wie eine Wie<strong>de</strong>rgutmachung<br />
am Publikum, dass Tim Burton nun wenigstens<br />
<strong>de</strong>r Geschichte um Sweeney<br />
Todd ein filmisches Antlitz verpasst hat,<br />
nach<strong>de</strong>m er schon Alan Moores Jack-<br />
The-Ripper-Comic »From Hell« <strong>de</strong>n<br />
Hughes-Brü<strong>de</strong>rn überlassen hat. Die Figur<br />
<strong>de</strong>s Sweeney Todd entstand Mitte<br />
<strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts, noch bevor Jack<br />
The Ripper tatsächlich sein Unwesen in<br />
London trieb. Der versierte Barbier soll<br />
160 Kun<strong>de</strong>n die Kehle aufgeschlitzt haben,<br />
seine Komplizin hat sie dann als<br />
Fleischpasteten an die Bevölkerung Londons<br />
verfüttert. In einer neueren Version<br />
<strong>de</strong>r Geschichte, auf <strong>de</strong>r auch Burtons<br />
Vorlage, nämlich Stephen Sondheims<br />
Broadway-Erfolg von 1979 basiert, erhält<br />
<strong>de</strong>r Barbier einen Grund für seine Taten:<br />
Er will sich an Richter Turpin rächen. Der<br />
hatte ihn unschuldig in die Verbannung<br />
geschickt, um an seine Frau zu gelangen.<br />
<strong>Als</strong> <strong>de</strong>r Richter sie vergewaltigt, vergiftet<br />
sie sich, Sweeneys Tochter Johanna<br />
lebt seither als Adoptivkind bei ebenjenem<br />
Richter wie eine Gefangene.<br />
»From Hell« und »Sweeney Todd« sind<br />
wie geschaffen für <strong>de</strong>n Regisseur mit<br />
<strong>de</strong>m Faible für düsteres, neogotisches<br />
Ambiente. Bei »Sweeney Todd« gesellt<br />
sich noch eine gute Portion schwarzen<br />
Humors hinzu. Zimperlich geht es hier<br />
nicht zu. Tim Burton, gerne mal im Grenzbereich<br />
zwischen Kin<strong>de</strong>r- und Erwachsenenfilm<br />
tätig, legt sich dieses Mal fest. Er<br />
arbeitet akribisch an <strong>de</strong>r Ausformulierung<br />
<strong>de</strong>s Subgenres Slasher-Musical.<br />
»Sweeney Todd« wirkt zu Beginn reichlich<br />
steif: Komplett im Studio gedreht und mit<br />
nur wenigen Charakteren bestückt, entwickelt<br />
sich das Rachedrama, das später<br />
Shakespeare’sche Ausmaße annehmen<br />
soll, nur langsam. Die minimalistische<br />
Figurenkonstellation lässt gera<strong>de</strong><br />
noch Platz für einen grandiosen Kurzauftritt<br />
von Sacha Baron Cohen als italienischem<br />
Barbier Pirelli. Bis zum bluttriefen<strong>de</strong>n<br />
Schlussbild wird viel gesungen<br />
und geschlitzt, im Mittelpunkt steht<br />
neben Hauptdarsteller Johnny Depp die<br />
Perfektion <strong>de</strong>s Burton-Gothic-Styles.<br />
Christian Meyer<br />
Sweeney Todd (USA 2007; R: Tim Burton; D: Johnny<br />
Depp, Helena Bonham Carter, Sacha Baron Cohen,<br />
Christopher Lee; 21.02.)