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088 Literatur<br />
Teil <strong>de</strong>r Lösung<br />
Der Titel von Ulrich Peltzers Roman bezieht<br />
sich auf das berühmte Holger-<br />
Meins-Zitat: »Entwe<strong>de</strong>r du bist ein Teil<br />
<strong>de</strong>s Problems o<strong>de</strong>r ein Teil <strong>de</strong>r Lösung!«<br />
Dieser »Teil <strong>de</strong>r Lösung« ist Liebesgeschichte<br />
und politische Erzählung. Der<br />
in Berlin leben<strong>de</strong> freie Journalist Christian<br />
ist Mitte dreißig und ein typischer<br />
Vertreter <strong>de</strong>s sogenannten Medienprekariats.<br />
Ein Aka<strong>de</strong>miker, immer auf<br />
<strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>n lukrativen Aufträgen,<br />
die es nicht mehr gibt. Statt<strong>de</strong>ssen<br />
muss er Gastronomietipps verfassen. Er<br />
verliebt sich in Nele, eine junge Stu<strong>de</strong>ntin,<br />
die, was ihm verborgen bleiben wird,<br />
Mitglied einer linken Wi<strong>de</strong>rstandsgruppe<br />
ist, die kleine Sabotageakte verübt gegen<br />
die Privatisierung und Überwachung öffentlicher<br />
Räume. Damit ist Nele auch<br />
für <strong>de</strong>n Verfassungsschutz interessant.<br />
Während<strong>de</strong>ssen plant Christian seine<br />
große Story. Er knüpft Kontakte zu Mitglie<strong>de</strong>rn<br />
<strong>de</strong>r italienischen Roten Briga<strong>de</strong>n,<br />
die seit über 20 Jahren im Pariser<br />
Exil leben und nun von <strong>de</strong>r Abschiebung<br />
bedroht sind. Nach einem ewigen Katzund<br />
Mausspiel bekommt er schließlich<br />
ein Interview. Nele, die nach einem misslungenen<br />
Streich in Berlin nicht mehr sicher<br />
ist, begleitet ihn nach Paris. Eine<br />
Engführung bei<strong>de</strong>r Handlungsstränge<br />
fin<strong>de</strong>t jedoch nicht wirklich statt. Christian<br />
ist zu ego- und monomanisch, als<br />
dass er Neles prekäre Situation verstehen<br />
wür<strong>de</strong>. Just vor jenem Haus, in <strong>de</strong>m<br />
Gilles Deleuze, <strong>de</strong>r Prophet in Sachen<br />
Kontrollgesellschaft(en), seinem Leben<br />
durch einen Fenstersprung ein En<strong>de</strong><br />
setzte, kommt Nele zu einer Einsicht.<br />
In »Teil <strong>de</strong>r Lösung« schafft Peltzer<br />
es, sowohl jenes »Urbane Penner«-Milieu<br />
literarisch zu beleuchten, das nach<br />
Friebe/Lobo und Bunz in aller Mun<strong>de</strong><br />
war, als auch <strong>de</strong>n Überwachungsdiskurs<br />
in Zeiten von Onlinedurchsuchungen und<br />
biometrischem Reisepass gekonnt weiterzuspinnen.<br />
Wie weit dürfen wir gehen,<br />
wenn wir uns zur Wehr setzen wollen?<br />
Wie weit gehen die an<strong>de</strong>ren, wenn<br />
wir uns <strong>de</strong>nn zur Wehr setzen? Meins’<br />
manichäisches Weltbild erweist sich hier<br />
als ziemlich überholt.<br />
Sebastian Ingenhoff<br />
Ulrich Peltzer »Teil <strong>de</strong>r Lösung«<br />
(Ammann Verlag, 456 S., EUR 19,90)<br />
A&R PSYCHO<br />
Der schottische Schriftsteller John Niven karikiert in »Kill Your Friends« <strong>de</strong>n egomanisch<br />
beengten Blickwinkel eines überzeugten Ellbogenfighters im Musikbusiness<br />
während <strong>de</strong>r Hochphase von New Labour. In dieser Konstellation muss Blut fließen ...<br />
D<br />
ie<br />
Musikindustrie ist ein Tummelplatz kaputter<br />
Typen. Wer wüsste das besser als<br />
<strong>de</strong>r Redakteur eines Musikmagazins!<br />
Kaum verwun<strong>de</strong>rlich, dass John Nivens<br />
Roman über einen durchgeknallten A&R, <strong>de</strong>r bei seinem<br />
Arbeitgeber En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 90er <strong>de</strong>n blutigen Sanierer spielt,<br />
an dieser Stelle einen Ehrenplatz bekommt. Und es überrascht<br />
auch nicht, dass mit Stephan Glietsch ein erfahrener<br />
Popjournalist (<strong>Intro</strong>, Spex) <strong>de</strong>n Satansbraten für die<br />
Heyne-Hardcore-Reihe ins Deutsche übersetzt hat. Der<br />
schottische Autor selbst ist ebenfalls gezeichnet: Er hat<br />
lange Jahre als Scout bei einer Plattenfirma gearbeitet,<br />
weiß also aus erster Hand von <strong>de</strong>n Erfahrungswerten <strong>de</strong>rjenigen<br />
zu berichten, die fürs Casting von Hits und <strong>de</strong>ren<br />
Interpreten zuständig sind. Man kann nur hoffen, dass Niven<br />
persönlich nicht allzu viel mit <strong>de</strong>m aus überaus egozentrischer<br />
Perspektive erzählen<strong>de</strong>n Steven Stelfox, Protagonist<br />
von »Kill Your Friends«, zu tun hat. Der Menschenhasser<br />
rappt eine Hate Speech runter, die sich gewaschen<br />
hat. Entwe<strong>de</strong>r hat ihn seine privilegierte Position zu einem<br />
Lump verkommen lassen, o<strong>de</strong>r er ist gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>swegen dort<br />
angekommen, weil er ein Fiesling ist. Eines scheint für Stelfox<br />
je<strong>de</strong>nfalls festzustehen: Wer durch Glück an <strong>de</strong>n ver-<br />
Propaganda<br />
meintlichen Hebeln <strong>de</strong>r Plattenindustrie sitzt, <strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n<br />
Kollegen und Vorgesetzte bald schon klar machen, dass er<br />
bloß die Griffe jener Ru<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Hand hat, mit <strong>de</strong>nen er die<br />
Major-Label-Galeere im Mainstream auf Kurs halten muss.<br />
Pech! Schön für uns, dass Stelfox nicht bloß gehässig ist,<br />
son<strong>de</strong>rn seine Verachtung in durchaus pointierte Charakterisierungen<br />
zu packen vermag, die vor allem – Achtung,<br />
Kniff <strong>de</strong>s Autors! – etwas über seine eigene verko(r)kste<br />
Persönlichkeit aussagen. Kostprobe: »Hastings ist dünn<br />
wie eine Gitarrensaite und nervös wie ein frisch entlassener<br />
Kin<strong>de</strong>rschän<strong>de</strong>r.« Noch eine? »Die Suite ist beinahe<br />
so geschmacklos-imposant wie Rudi selbst. In <strong>de</strong>n<br />
späten Vierzigern, das silberne Haar zum Pfer<strong>de</strong>schwanz<br />
zurückgebun<strong>de</strong>n, hat er das Gesicht eines gut genährten<br />
SS-Kommandanten.« Klar, dass <strong>de</strong>r »American Psycho«-<br />
Verweis nicht fehlen darf, sobald Popkultur und Blutrausch<br />
zusammenkommen. Für kaputte Typen wie uns erscheint<br />
die hier beschriebene Welt aber viel realer als die Börsenmakler-Gesellschaft,<br />
die Bret Easton Ellis 1991 schil<strong>de</strong>rte.<br />
Die war dagegen fast virtuell, gell?<br />
Wolfgang Frömberg<br />
John Niven »Kill Your Friends« (Heyne, 352 S., EUR 12)<br />
Mit seinem Praxis-Handbuch legte <strong>de</strong>r 1995 verstorbene<br />
Edward Lewis Bernays sechs Jahre nach Walter Lippmanns<br />
»Die öffentliche Meinung« ein Grundlagenwerk für die mo<strong>de</strong>rne<br />
politische Propagandaarbeit von Konzernen und Regierungen<br />
vor. Der zunächst skeptische Sigmund Freud<br />
schrieb, das Buch sei »klar, clever und verständlich«. Es<br />
beginnt mit <strong>de</strong>m Satz: »Die bewusste und zielgerichtete<br />
Manipulation <strong>de</strong>r Verhaltensweisen und Einstellungen <strong>de</strong>r<br />
Massen ist ein wesentlicher Bestandteil <strong>de</strong>mokratischer<br />
Gesellschaften.« Der titelgeben<strong>de</strong> Begriff, bis zum Ersten<br />
Weltkrieg nicht abwertend, son<strong>de</strong>rn neutral verwen<strong>de</strong>t,<br />
geht auf Papst Gregor XV zurück, <strong>de</strong>r angesichts <strong>de</strong>r Bedrohung<br />
eines sich ausbreiten<strong>de</strong>n Protestantismus 1622 ein<br />
Zentralorgan für die Belange <strong>de</strong>r Missionierung schuf, das<br />
Amt zur Verkündigung <strong>de</strong>s wahren Glaubens: Congregatio<br />
<strong>de</strong> Propaganda Fi<strong>de</strong>. Die <strong>de</strong>utschsprachige Erstausgabe<br />
nach knapp 80 Jahren ist <strong>de</strong>r Freiburger Orange Press zu<br />
verdanken, die neben weiteren Titeln zur Desinformationstheorie<br />
wie »Giftmüll macht schlank« auch die von Klaus<br />
Theweleit herausgegebene Reihe »absolute« publiziert.<br />
Zwischen Feyerabend, Flusser o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m »Sigmund Freud<br />
Songbook« fin<strong>de</strong>t sich im Programm <strong>de</strong>r Rea<strong>de</strong>r »Marken<br />
– Labels – Brands« mit Texten zur Werbung von Adorno,<br />
Barthes und Benjamin: für alle, die nach <strong>de</strong>r Lektüre noch<br />
mehr wissen wollen. »Propaganda wird niemals sterben«,<br />
so Edward Bernays. Ebenso wenig das Verlangen, ihre Produzenten<br />
und <strong>de</strong>ren Techniken verstehen zu wollen. Und<br />
wenn Bernays behauptet, »die Zeitschrift ist, an<strong>de</strong>rs als die<br />
Zeitung, kein Organ <strong>de</strong>r öffentlichen Meinung, son<strong>de</strong>rn ten<strong>de</strong>nziell<br />
eher ein propagandistisches Medium im Interesse<br />
einer bestimmten I<strong>de</strong>e«, beginnen wir doch mit <strong>de</strong>r Frage:<br />
Welche I<strong>de</strong>e halte ich mit dieser Zeitschrift in Hän<strong>de</strong>n?<br />
Birgit Bin<strong>de</strong>r<br />
Edward Bernays »Propaganda. Die Kunst <strong>de</strong>r Public Relations«<br />
(Orange Press, 158 S., EUR 16,90)