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086 Literatur<br />
GESTERN<br />
HEUTE MORGEN<br />
William Gibson, Altmeister <strong>de</strong>r Science-Fiction, liest in Köln aus seinem »Quellco<strong>de</strong>«.<br />
Genre-Shooting-Star Cory Doctorow kommt mit »Upload« zur Litcologne und spricht auch<br />
über die Zukunft <strong>de</strong>r Verwertungsrechte. Wolfgang Frömberg stellt bei<strong>de</strong> Marken vor.<br />
D<br />
ie Science-Fiction-New-Wave <strong>de</strong>r 60er-<br />
Jahre – von <strong>de</strong>n Konventionen <strong>de</strong>r führen<strong>de</strong>n<br />
SF-Magazine und <strong>de</strong>m Geruch<br />
<strong>de</strong>r Schundheftchen emanzipiert – entwickelte<br />
dank meisterhafter Romanciers wie J.G. Ballard<br />
(»Crash«) und Ray Bradbury (»Fahrenheit 451«) eine fantastische<br />
realitätsbezogene Energie, die man in manchem<br />
Werk <strong>de</strong>r so genannten General Fiction schmerzlich vermisst.<br />
Junge Autoren nutzten die steilen Vorlagen in <strong>de</strong>n<br />
80er-Jahren als Antrieb für die eigene literarische Verdichtung<br />
einer von technischen Innovationen mehr als sachte<br />
umformulierten Gegenwart. Massenweise Kids saßen<br />
schon vor ihrem C64, während die älteren Geschwister gegen<br />
Atomkraft <strong>de</strong>monstrierten. Der Kalte Krieg bestimmte<br />
die Nachrichten.<br />
William Gibson wur<strong>de</strong> damals mit seinem Debüt »Neuromancer«<br />
weltberühmt. Seit<strong>de</strong>m gilt er als Erfin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
Cyberspace und Cyberpunk, was heute noch darauf schließen<br />
lässt, dass er mit unkonventionellen – vor allem neuen<br />
– Mitteln irre Utopien aufs Papier brachte. Tatsächlich<br />
verhält sich seine Erzählweise in Ton und Tempo beispielsweise<br />
zu <strong>de</strong>n absur<strong>de</strong>n Storys von Philip K. Dick, <strong>de</strong>r neben<br />
ca. 40 an<strong>de</strong>ren Romanen bereits 1968 die Vorlage zu Ridley<br />
Scotts »Bla<strong>de</strong> Runner« verfasste, in etwa so wie <strong>de</strong>r Sound<br />
<strong>de</strong>r Sex Pistols zu <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kinks. Gibson wur<strong>de</strong> wie die Kollegen<br />
Bruce Sterling o<strong>de</strong>r John Shirley bald als psychologisch<br />
oberflächlicher I<strong>de</strong>enliterat kategorisiert, <strong>de</strong>r allerdings<br />
die Zukunft zu antizipieren vermag wie die Prekogs,<br />
die wir aus Dicks »Minority Report« kennen. Und als seine<br />
Post-New-Wave-Generation vom Fortschritt eingeholt<br />
wur<strong>de</strong>, besann sich ihr Gottvater – welch brillanter Einfall!<br />
– eben scheinbar selbst auf <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>r Gegenwartsliteratur.<br />
So wur<strong>de</strong> sein Roman »Mustererkennung« aus <strong>de</strong>m<br />
Jahr 2002 – es geht um rätselhafte Clips im Internet und<br />
eine Protagonistin, die als Werbelogo-sensibler Coolhunter<br />
arbeitet – gerne auch als Abgesang auf das SF-Genre rezipiert.<br />
Ganzheitlich zukunftsweisen<strong>de</strong>r schien am jenem<br />
Punkt bereits die Methodik <strong>de</strong>s Newcomers Cory Doctorow.<br />
Der legte mit »Down And Out In The Magic Kingdom«<br />
nicht bloß angeblich <strong>de</strong>n »besten Debüt-Roman seit William<br />
Gibsons Neuromancer» (Austin Chronicle) vor, son<strong>de</strong>rn<br />
verstand sich von Beginn an als Internet-Aktivist,<br />
stellte seine Bücher zum kostenlosen Download ins Netz<br />
– und betrieb damit sowohl Aufklärung über paranoische<br />
Copyrightpolitik als auch clevere Werbung in eigener Sache.<br />
Genau in diesem Spannungsfeld müssen Doctorows<br />
Bloggereien (www.craphound.com), Theorien und Romane<br />
auch gelesen wer<strong>de</strong>n. Nach <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Übersetzung<br />
<strong>de</strong>s Debüts mit <strong>de</strong>m Titel »Backup« steht jetzt »Upload«<br />
in verschie<strong>de</strong>nen Formen auf <strong>de</strong>m Markt. Nur ganz<br />
böse Zungen wür<strong>de</strong>n behaupten, er habe seine Storys<br />
geschrieben, um zu beweisen, dass man sie irgendwann<br />
mal auf einem iPhone wird lesen können. Denen ließe sich<br />
entgegnen, dass es ja auch völlig egal ist, in welchem Kaff<br />
<strong>de</strong>r gute Homer sich einen Ast dichtete. <strong>Als</strong> »Quellco<strong>de</strong>«<br />
liegt gleichzeitig William Gibsons jüngster Roman pünktlich<br />
bei Erscheinen <strong>de</strong>s Autors auf <strong>de</strong>r Kölner Litcologne in<br />
<strong>de</strong>utscher Überbesetzung zum Studieren vor. Sein »Web<br />
2.0-Roman« dürfte sich prinzipiell ähnlich zur gegenwärtigen<br />
Welt voller Vernetzung und ohne Kalten Krieg, voller<br />
politischer Flausen und ohne konkrete Alternative verhalten<br />
wie die Bücher Doctorows und vieler an<strong>de</strong>rer Schriftsteller<br />
dieser Tage: Es gibt einstweilen kein Entkommen<br />
aus <strong>de</strong>m Jetzt, also schreiben wir uns fleißig ein.<br />
Cory Doctorow »Backup« (Heyne, 286 S., EUR 7,95)<br />
& »Upload« (Heyne, 350 S., EUR 7,95)<br />
William Gibson »Quellco<strong>de</strong>« (Klett-Cotta, 450 S., EUR 22,50)<br />
Die Litcologne<br />
... ist so was wie eine Popkomm für Literatur<br />
mit schlagen<strong>de</strong>m Publikumserfolg.<br />
Sie fin<strong>de</strong>t dieses Jahr bereits zum achten<br />
Mal statt und lässt selbst gestan<strong>de</strong>ne<br />
Schriftsteller wie Bret Easton Ellis staunen,<br />
wie viele Menschen ihren Hintern<br />
zum Besuch einer Lesung in Bewegung<br />
setzen. <strong>Intro</strong> empfiehlt 2008 die Lesung<br />
von Cory Doctorow am Freitag, <strong>de</strong>n 29.02,<br />
um 19:30 Uhr im Theaterhaus (am Tag zuvor<br />
liest er in Berlin) und <strong>de</strong>n Auftritt William<br />
Gibsons am Donnerstag, <strong>de</strong>n 06.03.,<br />
im Gloria. Karten unter www.litcologne.<br />
<strong>de</strong>. Ansonsten sind von Dietmar Dath bis<br />
Peter Hein mal wie<strong>de</strong>r Hinz und Kunz <strong>de</strong>r<br />
Literaturszene vom 29.02.-09.03. um <strong>de</strong>n<br />
Dom versammelt.