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Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland

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<strong>Reformation</strong><br />

ALLTAGSGESCHICHTE N⁰1<br />

DR. HANS ULRICH<br />

ANKE ist Präsident<br />

des <strong>Kirche</strong>namtes<br />

der EKD und Leiter<br />

der Hauptabteilung I<br />

„Leitung, Recht und<br />

F<strong>in</strong>anzen“.<br />

> läums angenommen. E<strong>in</strong>e wesentliche Rolle<br />

spielt <strong>in</strong> den „Perspektiven für das <strong>Reformation</strong>sjubiläum“<br />

der Beitrag der <strong>Reformation</strong> für die<br />

Übernahme <strong>in</strong>dividueller und gesellschaftlicher<br />

Verantwortung: Das reformatorische Verständnis<br />

des Berufs als Bewährungsfeld für das christliche<br />

Leben setzte e<strong>in</strong>e bis dah<strong>in</strong> unbekannte Dynamik<br />

des Wirtschaftens frei. Und der Dienst am<br />

Nächsten und an der Geme<strong>in</strong>schaft, der aus der<br />

Verantwortung des freien Christen vor Gott und<br />

den Menschen folgt, hat den Aufbau und die Gestaltung<br />

der sozialen Ordnung <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />

grundlegend geprägt: Soziale Fürsorge für Kranke,<br />

Arme und Ausgegrenzte ist auf das sich ergänzende<br />

Engagement des E<strong>in</strong>zelnen und<br />

der Geme<strong>in</strong>schaft angewiesen.<br />

Bei diesen und vielen anderen<br />

Beispielen zeigt sich, dass e<strong>in</strong> freiheitliches<br />

Geme<strong>in</strong>wesen von dem<br />

Engagement se<strong>in</strong>er Bürger und den<br />

sie prägenden religiösen Überzeugungen<br />

lebt. Dieses war für die Väter<br />

und Mütter des Grundgesetzes e<strong>in</strong>e<br />

bestimmende Grundlage, als sie 1949<br />

über die Rolle des Staates für das Zusammenleben<br />

<strong>in</strong> der Gesellschaft zu entscheiden<br />

hatten. In Abkehr von der totalitären Gleichschaltung<br />

<strong>in</strong> der Nazidiktatur stellten sie die unveräußerliche<br />

Freiheit des Menschen und se<strong>in</strong>e unantastbare<br />

Würde als den bestimmenden Maßstab<br />

für das staatliche Handeln heraus. Daraus folgt,<br />

dass der Verfassungsstaat des Grundgesetzes<br />

se<strong>in</strong> Handeln und se<strong>in</strong>e Ordnungen ganz <strong>in</strong> den<br />

Dienst der freien Entfaltung aller Bürger<strong>in</strong>nen<br />

und Bürger <strong>in</strong> der Gesellschaft stellt und dafür<br />

se<strong>in</strong> eigenes Handeln zurücknimmt.<br />

Angesichts konkurrierender Gruppen<strong>in</strong>teressen<br />

und Schutzpflichten gegenüber dem E<strong>in</strong>zelnen<br />

muss der Staat dabei freilich se<strong>in</strong>er Friedens-<br />

und Ordnungsfunktion gerecht werden.<br />

Ausgestattet mit dem Gewaltmonopol, stellt er<br />

über Verfahrens- und Ausgleichsregelungen den<br />

Zusammenhalt <strong>in</strong>nerhalb der staatlichen Verfassungsordnung<br />

sicher. Dazu gehört, <strong>in</strong>sbesondere<br />

dort e<strong>in</strong>zugreifen, wo Rechte e<strong>in</strong>zelner oder andere<br />

Verfassungsgüter beschädigt würden.<br />

E<strong>in</strong>e solche freiheitliche Ordnung baut darauf,<br />

dass die Gewährleistungen der Freiheit als Angebot<br />

und Aufgabe immer wieder neu angenommen<br />

werden. Nur so kann sich gesellschaftliche<br />

Vielfalt <strong>in</strong> Freiheit entfalten und nur so führt<br />

sie zu produktiven Konkurrenzen <strong>in</strong> den unterschiedlichsten<br />

Lebensbereichen, wie der <strong>Politik</strong>,<br />

der Wirtschaft, der Wissenschaft, den Medien,<br />

dem Sozialwesen, der Kultur und auch der Religion.<br />

Zu den wesentlichen freiheitsfördernden<br />

Pr<strong>in</strong>zipien gehört dabei das der Subsidiarität.<br />

SUBSIDIARITÄT<br />

DIENT DAZU,<br />

AUFGABEN<br />

MÖGLICHST<br />

SACHNAH,<br />

ORTSNAH UND<br />

MENSCHEN-<br />

NAH ZU<br />

ERLEDIGEN.<br />

E<strong>in</strong>e besonders gewichtige Rolle kommt dem<br />

Subsidiaritätspr<strong>in</strong>zip im Sozialwesen zu. Auch<br />

hier gewährleistet es Freiräume für bürgerschaftliches,<br />

kirchliches und karitatives Engagement<br />

und schafft dadurch gleichzeitig e<strong>in</strong>en Wettbewerb<br />

verschiedener Akteure.<br />

Deshalb führen Forderungen <strong>in</strong> die Irre, dass<br />

Kommunen kurzerhand E<strong>in</strong>richtungen der <strong>Kirche</strong><br />

oder anderer gesellschaftlicher Akteure am besten<br />

gleich selbst übernehmen sollten, wenn sie mit<br />

ihnen <strong>in</strong> Ause<strong>in</strong>andersetzungen um Sachfragen<br />

stehen. Ebenso stellt es e<strong>in</strong> grobes Missverständnis<br />

dar, Unterstützungsleistungen des Staates und<br />

der Sozialversicherungsträger an die <strong>Kirche</strong>n im<br />

Bereich von Diakonie und Caritas als<br />

Subventionierung e<strong>in</strong>er Glaubensrichtung<br />

und als Verstoß gegen das<br />

Neutralitätspr<strong>in</strong>zip anzusehen. Die<br />

<strong>Kirche</strong>n und ihre Wohlfahrtsverbände<br />

werden an dieser Stelle schlicht als<br />

„Gleiche unter Gleichen“ behandelt.<br />

Entgelte, die kirchliche wie andere<br />

freie Träger aus öffentlichen Kassen<br />

für Dienstleistungen im Sozial- und<br />

Bildungssektor erhalten, gewährleisten<br />

die plurale Vielfalt der freiheitlichen Gesellschaft.<br />

Subsidiarität ist e<strong>in</strong> wesentliches Kennzeichen<br />

unserer Demokratie. Es gibt ke<strong>in</strong>en Grund,<br />

warum gerade <strong>Kirche</strong>n und ihre Wohlfahrtsverbände<br />

von solchen Entgelten auf dem Sozialmarkt<br />

ausgeschlossen werden sollten. Wo der Staat gesellschaftliches<br />

Engagement annimmt, fördert und<br />

begrüßt, muss er gleichzeitig <strong>in</strong> den Schranken des<br />

für alle geltenden Gesetzes die höchst unterschiedlichen<br />

Motive der Akteure und ihre Eigengesetzlichkeit<br />

als Fundament ihres E<strong>in</strong>satzes im S<strong>in</strong>ne<br />

freundlich-fördernder Neutralität respektieren<br />

und anerkennen.<br />

Die christlichen <strong>Kirche</strong>n und ihre Wohlfahrtsverbände<br />

haben <strong>in</strong> den offenen gesellschaftlichen<br />

Prozessen viel e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Denn sie s<strong>in</strong>d<br />

nicht nur Eigen<strong>in</strong>teressen verpflichtet, sondern<br />

engagieren sich für die besonders Bedürftigen<br />

<strong>in</strong> der Gesellschaft. Sie setzen dabei vielfältiges<br />

ehrenamtliches Engagement von rund 1,1 Millionen<br />

Menschen alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> der evangelischen <strong>Kirche</strong><br />

frei. Die <strong>Kirche</strong>n leisten so e<strong>in</strong>en wesentlichen<br />

Beitrag für die Gestaltung unserer Gesellschaft.<br />

Auch dafür lohnt es sich, im Jahr „<strong>Reformation</strong><br />

und <strong>Politik</strong>“ das Pr<strong>in</strong>zip der Subsidiarität <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

freiheitsfördernden Funktion wieder zu entdecken.<br />

Von Moses Schwiegervater stammt gut<br />

biblisch der Rat: „So mach dir’s leichter und lass<br />

sie mit dir tragen. Wirst du das tun, so kannst du<br />

ausrichten, was dir Gott gebietet, und dies ganze<br />

Volk kann mit Frieden an se<strong>in</strong>en Ort kommen“<br />

(2. Buch Mose 18, 22f.).<br />

FOTO: BASTI ARLT<br />

KINDER AN DIE MACHT<br />

Partizipation: An heftig diskutierten Großprojekten<br />

wie „Stuttgart 21“ oder dem zukünftigen<br />

Berl<strong>in</strong>er Flughafen zeigt sich zunehmend,<br />

dass die Menschen immer weniger<br />

bereit s<strong>in</strong>d, Entscheidungen „von oben“ h<strong>in</strong>zunehmen<br />

und unh<strong>in</strong>terfragt zu akzeptieren.<br />

Vielleicht können wir ja etwas vom <strong>Politik</strong>verständnis<br />

der K<strong>in</strong>der lernen, um uns zu<br />

wirklich mündigen Bürgern und Bürger<strong>in</strong>nen<br />

mit mehr Elementen e<strong>in</strong>er direkten Demokratie<br />

zu entwickeln.<br />

In der Kita me<strong>in</strong>er Tochter Ronja wurde dieses<br />

Verständnis von menschlicher Verantwortung<br />

tatsächlich e<strong>in</strong>zuüben versucht.<br />

Mit Hilfe von Bildkarten konnten die K<strong>in</strong>der<br />

über alles abstimmen, was für sie wichtig<br />

die Zeitabläufe . . . Mir erschien es zunächst<br />

merkwürdig, 2- bis 6-Jährige über die Fragen<br />

ihres Alltages selbst bestimmen zu lassen.<br />

Partizipation im K<strong>in</strong>dergarten? Es klappte<br />

vorbildlich.<br />

Könnten nicht auch <strong>Kirche</strong>ngeme<strong>in</strong>den Orte<br />

se<strong>in</strong>, an denen e<strong>in</strong> neues Verständnis von<br />

Geme<strong>in</strong>schaft, von geme<strong>in</strong>sam gel<strong>in</strong>gendem<br />

Leben, gelebt wird? In ihnen gibt es, theologisch<br />

betrachtet, ke<strong>in</strong>e menschliche Leitung,<br />

ke<strong>in</strong>en Chef. Vielmehr s<strong>in</strong>d alle Glieder an<br />

diesem lebendigen Leib gleich wichtig und<br />

gleichviel wert. Alle werden gebraucht, auf<br />

ke<strong>in</strong>en kann verzichtet werden. Wenn sich<br />

dieses Verständnis im realen Geme<strong>in</strong>de alltag<br />

niederschlägt und die Geme<strong>in</strong>deglieder das<br />

können, kann dies zu e<strong>in</strong>er ungeahnten Aufbruchstimmung<br />

führen.<br />

Wie wäre es zum Beispiel, e<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong>de-<br />

K<strong>in</strong>der-Rat <strong>in</strong>s Leben zu rufen, der, analog zu<br />

K<strong>in</strong>derparlamenten, gleichberechtigt über die<br />

Anliegen der Geme<strong>in</strong>de bestimmen kann?<br />

Wenn wir umdenken würden <strong>in</strong> unseren Geme<strong>in</strong>den<br />

von der „K<strong>in</strong>derarbeit“ zur „Partizipation<br />

von K<strong>in</strong>dern auf Augenhöhe“? Ja, davon<br />

träume ich: Von e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de, <strong>in</strong> der die<br />

K<strong>in</strong>der mit all ihrer Lebendigkeit und ihrer E<strong>in</strong>zigartigkeit<br />

mitbestimmen können. Schließlich<br />

s<strong>in</strong>d sie laut Jesus die Experten für das Reich<br />

Gottes. Nicht wir Erwachsenen. „Wer das Reich<br />

Gottes nicht so annimmt wie e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, der wird<br />

nicht h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>kommen“ (Markus 10,15). Also: K<strong>in</strong>der<br />

war: das Fasch<strong>in</strong>gsmotto, die Ausflugsziele, Gefühl haben, wirklich mitbestimmen zu<br />

an die <strong>Macht</strong>! VON RAJAH SCHEEPERS<br />

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