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Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland

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MACHT<br />

ALLTAGSGESCHICHTE N⁰4<br />

10<br />

<strong>Kirche</strong> und Völkerwelt,<br />

<strong>in</strong>: Bonhoeffer (DBW 13)<br />

1994: 298ff. (301).<br />

11<br />

Bonhoeffer (DBW 6)<br />

1992: 130.<br />

12<br />

Bonhoeffer (DBW 6)<br />

1992: 392ff.<br />

13<br />

Bonhoeffer (DBW 8)<br />

1998: 477, 511 u.ö.<br />

14<br />

Bonhoeffer (DBW 8)<br />

1998: 25.<br />

15<br />

Bonhoeffer (DBW 8)<br />

1998: 571.<br />

> fismus, aus dem Bonhoeffer auch persönlich<br />

Konsequenzen zog.<br />

Dazu gehörte ebenso der Versuch, die <strong>Kirche</strong><br />

zur Klarheit <strong>in</strong> den Bekenntnisfragen ihrer Zeit<br />

zu nötigen, <strong>in</strong>sbesondere auch <strong>in</strong> dem klaren Bekenntnis<br />

zu ihren Gliedern jüdischer Herkunft, e<strong>in</strong><br />

Schritt, der dann immer klarer zum Bekenntnis<br />

für das Lebensrecht aller Jüd<strong>in</strong>nen und Juden und<br />

zum Aufbegehren gegen Judenmord und Euthanasie<br />

führte, wie das „Schuldbekenntnis der <strong>Kirche</strong>“<br />

<strong>in</strong> Bonhoeffers „Ethik“ besonders klar zeigt. 11<br />

Zu den Konsequenzen aus der Begegnung<br />

mit der Bergpredigt gehörte ebenso der Versuch,<br />

die <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Zeugnis und Gestalt zu stärken –<br />

und zwar dadurch, dass die jungen Pfarrer dafür<br />

ausgebildet und dazu befähigt wurden, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

glaubenswidrigen Welt den Glauben an Jesus<br />

Christus zu bezeugen. Das setzte, wie Bonhoeffer<br />

erkannte, nicht nur Festigkeit <strong>in</strong> der Lehre,<br />

sondern Verwurzelung <strong>in</strong> gelebter Frömmigkeit<br />

und Erfahrungen mit e<strong>in</strong>er überzeugenden Form<br />

„<br />

VERANTWORTUNG<br />

IST AUCH<br />

FÜRSORGE FÜR<br />

FREMDES LEBEN.<br />

“<br />

des geme<strong>in</strong>samen Lebens voraus.<br />

So entlegen F<strong>in</strong>kenwalde bei<br />

Stett<strong>in</strong>, der Ort von Bonhoeffers<br />

Predigersem<strong>in</strong>ar, vom politischen<br />

<strong>Macht</strong>zentrum Berl<strong>in</strong> aus<br />

auch immer ersche<strong>in</strong>en mochte:<br />

was Bonhoeffer seit 1935 im Predigersem<strong>in</strong>ar<br />

und anschließend <strong>in</strong> der illegalen<br />

Theologenausbildung tat, war ke<strong>in</strong>e Abwendung<br />

von den politischen E<strong>in</strong>sichten, die er gewonnen<br />

hatte, sondern blieb darauf <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unzweideutigen<br />

Weise bezogen.<br />

Zu diesen Konsequenzen gehörte dann aber<br />

vor allem die Entscheidung, nicht vor Hitlers<br />

Krieg <strong>in</strong> die USA auszuweichen, um die Entscheidung<br />

zur Verweigerung des Kriegsdienstes nicht<br />

zur persönlichen Gefährdung werden zu lassen,<br />

sondern nach wenigen Wochen <strong>in</strong> New York<br />

im Sommer 1939 wieder nach <strong>Deutschland</strong> zurückzukehren,<br />

am Geschick des eigenen Volkes<br />

teilzunehmen, um für e<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> nach Hitler<br />

zu wirken. Das war der Schritt, der Dietrich<br />

Bonhoeffer <strong>in</strong> die Konspiration gegen Hitler, <strong>in</strong><br />

Gefängnis und gewaltsamen Tod führte.<br />

Wie sehr er dabei früh gewonnene E<strong>in</strong>sichten<br />

weiterführte, lässt sich exemplarisch an se<strong>in</strong>em<br />

Verständnis politischer <strong>Macht</strong> verdeutlichen.<br />

Die Klarheit, die sich schon <strong>in</strong> dem Aufsatz<br />

über „Die <strong>Kirche</strong> vor der Judenfrage“ von 1933<br />

zeigt, setzt sich fort. In den Fragmenten zu der<br />

geplanten Ethik, an der Bonhoeffer während der<br />

Zeit der Konspiration und der Vorbereitung des<br />

Umsturzes arbeitete, wird die politische <strong>Macht</strong><br />

<strong>in</strong> die Lehre von den Mandaten e<strong>in</strong>geordnet, <strong>in</strong><br />

denen sich Gottes <strong>in</strong> Jesus Christus offenbartes<br />

Gebot konkretisiert. 12 Ke<strong>in</strong>e Rede ist da von e<strong>in</strong>er<br />

Eigengesetzlichkeit des Politischen; sondern<br />

die B<strong>in</strong>dung der politischen <strong>Macht</strong>ausübung<br />

an den göttlichen Auftrag, für Recht und Frieden<br />

zu sorgen, beherrscht auch hier alle Überlegungen.<br />

Bonhoeffers Denken kann man <strong>in</strong>sgesamt<br />

auf den Begriff e<strong>in</strong>er Ethik der Verantwortung<br />

br<strong>in</strong>gen. Sie ist früh angelegt und kommt <strong>in</strong> den<br />

Ethik-Fragmenten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bee<strong>in</strong>druckenden<br />

Weise zur Entfaltung. Dass Bonhoeffer von der<br />

menschlichen Verantwortung so hoch denkt, hat<br />

wiederum mit se<strong>in</strong>em familiären H<strong>in</strong>tergrund<br />

ebenso zu tun wie mit se<strong>in</strong>er theologischen Prägung.<br />

Es hat vor allem auch damit zu tun, dass<br />

er den Weg, den er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er persönlichen Entwicklung<br />

gegangen ist, als e<strong>in</strong>en Weg zur Mündigkeit<br />

erlebt hat, und dass er Mündigkeit als e<strong>in</strong><br />

entscheidendes Signum der Moderne ansah. 13<br />

Bonhoeffer sah <strong>in</strong> diesem Schritt zur Mündigkeit<br />

nicht e<strong>in</strong>e Gefährdung des Glaubens, sondern<br />

e<strong>in</strong>en Gew<strong>in</strong>n. Gerade angesichts der Mündigkeit<br />

des Menschen ist der<br />

Glaube ernst zu nehmen, und<br />

zwar nicht als e<strong>in</strong>e abgegrenzte<br />

Region <strong>in</strong> der menschlichen<br />

Exis tenz, als e<strong>in</strong> Reservat der<br />

Frömmigkeit am Sonntagmorgen,<br />

als e<strong>in</strong> Gefühl im Innern der<br />

Person, sondern als Lebensakt.<br />

Dem Dase<strong>in</strong> Christi für andere, so heißt Bonhoeffers<br />

Überzeugung, entspricht e<strong>in</strong>e Bereitschaft<br />

zum Dase<strong>in</strong> für andere, <strong>in</strong> der wir Verantwortung<br />

eben nicht nur als Vorsorge für das<br />

eigene Leben, sondern ebenso als Fürsorge für<br />

fremdes Leben verstehen. „Die letzte verantwortliche<br />

Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der<br />

Affäre ziehe, sondern wie e<strong>in</strong>e künftige Generation<br />

weiterleben soll“: so heißt Bonhoeffers verantwortungsethischer<br />

Leitgedanke. 14 Er schließt<br />

die Bereitschaft e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> der äußersten Situation<br />

zur Schuldübernahme bereit zu se<strong>in</strong>, nämlich<br />

dann, wenn Zuschauen und Tatenlosigkeit die<br />

größere Schuld wären. Im Begriff der Schuldübernahme<br />

kl<strong>in</strong>gt deutlich an, wie Bonhoeffer<br />

se<strong>in</strong> Handeln und das se<strong>in</strong>er Mitverschwörer <strong>in</strong><br />

der Konspiration gegen Hitler verstand.<br />

Dietrich Bonhoeffer, der jede Tötung e<strong>in</strong>es<br />

anderen Menschen für schuldhaft hielt, sah sich<br />

vor die Frage gestellt, ob es Situationen gibt, <strong>in</strong><br />

denen verantwortliches Handeln nur noch möglich<br />

ist, <strong>in</strong>dem man zur Schuldübernahme bereit<br />

ist. Bonhoeffer bejahte diese Frage und nahm die<br />

Konsequenz daraus auf sich. Diesen Schritt <strong>in</strong> die<br />

Schuldübernahme aus Verantwortung muss man<br />

im S<strong>in</strong>n haben, wenn man hört, dass Freiheit<br />

nicht dar<strong>in</strong> besteht, im Möglichen zu schweben,<br />

sondern das Wirkliche tapfer zu ergreifen. 15<br />

FOTO: BASTI ARLT<br />

WIR KÖNNEN AUCH ANDERS<br />

Posaunenmusik reicht bis zum Waldrand<br />

und die K<strong>in</strong>derstimmen dr<strong>in</strong>gen noch weiter.<br />

an die Nachbartische. „ . . . unser K<strong>in</strong>dergarten<br />

. . .“, „ . . . die Waschräume, s<strong>in</strong>d alt . . .“ „Sanierung<br />

auch auf. Die beiden geben sich die Hand,<br />

„ . . . Herr Bürgermeister . . .“. Die Frau lacht.<br />

In der trockenen Sommerluft schwellen die<br />

. . . unbed<strong>in</strong>gt nötig . . .“, „Beitrag . . . „ . . . Frau Pastor<strong>in</strong> . . .“ Der Mann schüttelt<br />

Stimmen an und verebben. Im Schaukasten<br />

bleicht das Plakat „Geme<strong>in</strong>defest“ aus. Die<br />

Holzbänke glühen <strong>in</strong> der Sonne. Die Dorfl <strong>in</strong>de<br />

und e<strong>in</strong>ige weit gespannte Sonnenschirme<br />

sorgen für Schatten. Vor der Losbude und<br />

beim R<strong>in</strong>gwerfen sammeln sich immer neue<br />

Gruppen. Das Küchenbuffet leert sich schnell.<br />

Große Kaffeekannen stehen unberührt herum.<br />

Kalte Getränke werden herbeigetragen.<br />

Die Zeit sche<strong>in</strong>t angehalten. Die Hitze firrt.<br />

Auf e<strong>in</strong>er Bank sucht e<strong>in</strong>e Männergruppe<br />

Schutz vor der Sonne. Jacketts werden abgelegt,<br />

Ärmel hochgekrempelt, die Krawattenknoten<br />

viel zu niedrig“. E<strong>in</strong>e Frau nähert sich. Sie tritt<br />

an den Tisch. Die Runde öffnet sich, macht e<strong>in</strong>en<br />

Sitzplatz frei. Hände werden geschüttelt,<br />

„ . . . Guten Tag! . . .“ „ . . . Hallo! . . .“, „ . . . Frau Pastor<strong>in</strong>,<br />

gut, dass Sie Zeit haben . . .“.<br />

Die Stimmen werden gedämpfter. „ . . . me<strong>in</strong>e<br />

Fraktion trägt das nicht mit . . . , ist im Geme<strong>in</strong>dehaushalt<br />

nicht vorgesehen ...“, „... muss man<br />

mal sehen . . .“, „ . . . der Geme<strong>in</strong>dekirchenrat<br />

hat . . . so könnte das gehen . . .“, „ . . . immerh<strong>in</strong><br />

s<strong>in</strong>d das alles unsere K<strong>in</strong>der . . .“. Das Gespräch<br />

wechselt <strong>in</strong> den Flüsterton. Plötzlich erkl<strong>in</strong>gt<br />

e<strong>in</strong>e Stimme laut: „Ja, so machen wir das.“<br />

kräftig die angebotene Hand. „Abgemacht!“,<br />

dr<strong>in</strong>gt an die Nachbartische.<br />

Etwas später, auf dem Tisch steht das erste<br />

Bierglas. E<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong>der kommen und treten auf<br />

die kle<strong>in</strong>e Bühne. „Der Himmel geht über allen<br />

auf“, s<strong>in</strong>gen die K<strong>in</strong>derstimmen. E<strong>in</strong>ige Frauen<br />

unterstützen den Gesang. Bei dem Wort „Himmel“<br />

recken die K<strong>in</strong>der ihre Hände nach oben,<br />

zeichnen e<strong>in</strong>en Bogen <strong>in</strong> den Himmel. „Unser<br />

K<strong>in</strong>dergarten s<strong>in</strong>gt nun für euch alle . . .“, sagt<br />

die Pastor<strong>in</strong> und dankt „unserem Bürgermeister,<br />

für die gute Zusammenarbeit . . .“. Noch<br />

vom Waldrand her kann man den Gesang der<br />

sitzen locker. Wortfetzen dr<strong>in</strong>gen Die Frau erhebt sich, e<strong>in</strong>er der Männer steht K<strong>in</strong>der hören. <br />

VON HENNING<br />

KIENE<br />

44<br />

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