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Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland

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MACHT MACHT<br />

IN DER<br />

VERANTWORTUNG<br />

Die <strong>Kirche</strong> muss e<strong>in</strong>schreiten, wenn der Staat<br />

se<strong>in</strong>e <strong>Macht</strong> missbraucht, me<strong>in</strong>te Dietrich Bonhoeffer.<br />

Und bereit se<strong>in</strong>, dabei auch Schuld auf sich zu laden<br />

VON WOLFGANG HUBER<br />

„<br />

DIETRICH<br />

BONHOEFFER<br />

GEHÖRTE NICHT<br />

ZU DENEN,<br />

DIE MACHT AN<br />

SICH FÜR BÖSE<br />

HALTEN<br />

“<br />

FOTO: BPK/ROTRAUT FORBERG<br />

W<br />

ir schreiben den 17. Juni 1940. 1 Dietrich<br />

Bonhoeffer und se<strong>in</strong> Freund Eberhard<br />

Bethge verbr<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>en Nachmittag <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Gartenlokal gegenüber von Memel an der<br />

Spitze der Kurischen Nehrung. Da werden über<br />

den Lautsprecher die Rundfunknachrichten übertragen,<br />

die von dem Sieg deutscher Truppen über<br />

Frankreich berichten: Frankreich hat kapituliert.<br />

E<strong>in</strong> Taumel ergreift die sommerliche Kaffeegesellschaft.<br />

Alle spr<strong>in</strong>gen auf, reißen die Arme <strong>in</strong> die<br />

Höhe und s<strong>in</strong>gen: „<strong>Deutschland</strong>, <strong>Deutschland</strong><br />

über alles“ und „Die Fahne hoch“. Nur Eberhard<br />

Bethge steht wie benommen daneben; er will sich<br />

an diesem Jubel nicht beteiligen. Da reißt Dietrich<br />

Bonhoeffer den Freund am Arm: „Bist du verrückt?“,<br />

raunt er ihm zu und zw<strong>in</strong>gt ihn förmlich,<br />

den Arm zu dem von ihm verachteten „Deutschen<br />

Gruß“ zu erheben. Danach fügt er h<strong>in</strong>zu: „Wir<br />

werden uns jetzt für ganz andere D<strong>in</strong>ge gefährden<br />

müssen, aber nicht für diesen Salut“.<br />

E<strong>in</strong>e beiläufige Szene. Aber sie zeigt viel. Gewiss<br />

war Dietrich Bonhoeffer e<strong>in</strong> Mensch, der<br />

bereit war, Gesicht zu zeigen. Doch wer unter den<br />

Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er Diktatur Gesicht zeigen will,<br />

muss auch bereit se<strong>in</strong>, das Gesicht zu verbergen.<br />

„Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> allen Künsten der Verstellung geübt“.<br />

Auch das gehörte zu der „Schuldübernahme“,<br />

zu der diejenigen bereit se<strong>in</strong> mussten, die <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er solchen Situation verantwortlich handeln<br />

wollten. 2<br />

Noch etwas anderes zeigt diese Szene: nämlich<br />

die enge Verb<strong>in</strong>dung von Masse und <strong>Macht</strong>,<br />

die e<strong>in</strong> besonderes Kennzeichen von Diktaturen<br />

bildet. Elias Canetti hat dieses Phänomen e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich<br />

beschrieben. 3 In <strong>Deutschland</strong> gab es<br />

im vergangenen Jahrhundert besonders viel Anlass,<br />

es zu studieren. Das Verhältnis von Masse<br />

und <strong>Macht</strong> enthält <strong>in</strong> sich die Verführung zur<br />

Manipulation auf beiden Seiten: Manipulation<br />

der Massen um der eigenen <strong>Macht</strong>basis willen,<br />

aber zugleich Perversion des <strong>Macht</strong>gebrauchs<br />

durch die Suggestion der Massen: so heißt der<br />

Teufelskreis, um den es geht.<br />

Dietrich Bonhoeffer gehörte nicht zu denen,<br />

die <strong>Macht</strong> an sich für böse halten. Daran h<strong>in</strong>derte<br />

ihn schon se<strong>in</strong>e Herkunft. In behüteten Verhältnissen<br />

war der <strong>in</strong> Breslau geborene Dietrich,<br />

das sechste von acht K<strong>in</strong>dern des Psychiaters<br />

Karl Bonhoeffer und se<strong>in</strong>er Frau Paula, <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

aufgewachsen. Im Berl<strong>in</strong>er Grunewald wohnte<br />

die Familie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Umkreis, <strong>in</strong> dem sich <strong>in</strong>tellektueller<br />

Weitblick mit der Bereitschaft verband,<br />

an der Gestaltung von Gesellschaft und <strong>Politik</strong><br />

teilzunehmen.<br />

In e<strong>in</strong>em solchen Umkreis konnte <strong>Macht</strong><br />

nicht e<strong>in</strong>fach mit dem Bösen gleichgesetzt ><br />

Dieser Text ist e<strong>in</strong>em<br />

Vortrag entnommen, den<br />

der Autor am 16. April 2011<br />

aus Anlass der Errichtung<br />

der Bonhoeffer-Büste von<br />

Alfred Hrdlicka auf dem<br />

Dietrich-Bonhoeffer-Platz <strong>in</strong><br />

Schwäbisch Hall hielt.<br />

1<br />

Zum Folgenden Eberhard<br />

Bethge, Dietrich Bonhoeffer.<br />

Theologe – Christ – Zeitgenosse.<br />

E<strong>in</strong>e Biographie, 9.<br />

Aufl. Gütersloh 2005, 765.<br />

2<br />

Zum Begriff der Schuldübernahme<br />

vgl. Dietrich<br />

Bonhoeffer, Ethik (DBW 6),<br />

Gütersloh 1992, 275ff.<br />

3<br />

Vgl. Elias Canetti, Masse und<br />

<strong>Macht</strong> (Gesammelte Werke<br />

3), München 1994.<br />

4<br />

Vgl. Max Weber, Wirtschaft<br />

und Gesellschaft. Grundriss<br />

der verstehenden Soziologie,<br />

Bd.1, 5. Aufl. Tüb<strong>in</strong>gen<br />

1976, 28.<br />

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