Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
MEINE REDE<br />
MEINE REDE<br />
WIE ICH MIR DAS VERHÄLTNIS VON<br />
STAAT UND KIRCHE WÜNSCHE<br />
Vorab: Ich wünsche mir e<strong>in</strong> gutes Verhältnis. Schon mit dem Begriff<br />
<strong>Kirche</strong> beg<strong>in</strong>nt allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e Schwierigkeit. Das ist ja nicht<br />
nur irgende<strong>in</strong> Wort, sondern <strong>Kirche</strong> me<strong>in</strong>t eben die christliche.<br />
Unsere älteren oder jüngeren Geschwister – im abrahamitischen<br />
S<strong>in</strong>ne – verstehen sich aber selber nicht als <strong>Kirche</strong>, und so geht<br />
dieser Ausdruck <strong>in</strong>s Unklare, wenn man das <strong>in</strong>stitutionelle Verhältnis<br />
beschreiben will.<br />
Es ist e<strong>in</strong>e Begriffsklärung notwendig. E<strong>in</strong> Verhältnis von<br />
Staat und <strong>Kirche</strong> als e<strong>in</strong>zige Form der Religionsgeme<strong>in</strong>schaft<br />
passt nicht mehr so recht <strong>in</strong> die Zeit. Die religiöse Landschaft der<br />
Bundesrepublik hat sich gewandelt. Mit der Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />
stieg die Zahl der Konfessionslosen massiv an, dazu kommt e<strong>in</strong><br />
kont<strong>in</strong>uierlicher Mitgliederschwund der <strong>Kirche</strong>n. Gleichzeitig hat<br />
sich der Islam mit circa vier Millionen Gläubigen zur drittgrößten<br />
Religionsgeme<strong>in</strong>schaft des Landes entwickelt, und die Zahl der<br />
Anhänger des Jüdischen Glaubens hat<br />
sich seit 1990 mehr als verfünffacht.<br />
Deswegen wünsche ich mir,<br />
dass der Staat alle gläubigen<br />
Menschen gleichberechtigt<br />
behandelt und die freie<br />
Religionsausübung<br />
schützt. Das Staat-<br />
BODO RAMELOW<br />
<strong>Kirche</strong>-Verhältnis muss sich zu e<strong>in</strong>em Verhältnis von Staat und<br />
Religionsgeme<strong>in</strong>schaften weiterentwickeln.<br />
Da stehen sofort Fragen im Raum, die wir leider nicht zu<br />
Ende debattiert haben. „Wir“ me<strong>in</strong>t <strong>in</strong> diesem Fall beide: Staat<br />
und <strong>Kirche</strong>. Was ist mit Steuererleichterungen durch den Körperschaftsstatus<br />
bei der Institution <strong>Kirche</strong> und wie gilt das für<br />
andere Glaubensgeme<strong>in</strong>schaften? Was ist mit der Erhebung<br />
der <strong>Kirche</strong>nsteuer? Sollte sie nicht besser zu e<strong>in</strong>er Kultursteuer<br />
gewandelt werden, bei der die Steuerbürger selbst entscheiden,<br />
für welche Glaubens- oder Weltanschauungsgeme<strong>in</strong>schaft sie<br />
verwendet wird? Nicht nur Juden und Muslime s<strong>in</strong>d hier bisher<br />
außen vor, sondern auch christliche <strong>Kirche</strong>n, die nicht zu den<br />
evangelischen Landeskirchen zählen – gedacht sei beispielsweise<br />
an die Selbständige Evangelisch-Lutherische <strong>Kirche</strong> (SELK).<br />
In der praktischen Umsetzung erfordert die Entwicklung<br />
des Verhältnisses von Staat und Religionsgeme<strong>in</strong>schaften bei<br />
allen beteiligten Akteuren viel S<strong>in</strong>n zur Differenzierung. Wenn<br />
wir uns den grundgesetzlich garantierten Religionsunterricht<br />
vornehmen, sehen wir, dass es nicht e<strong>in</strong>fach ist, allen K<strong>in</strong>dern<br />
e<strong>in</strong> passgenaues Angebot zu machen. Modellversuche für islamischen<br />
Religionsunterricht laufen seit vielen Jahren nur als<br />
Pilotprojekte. Die islamische Glaubensrichtung der Aleviten<br />
fordert verständlicherweise e<strong>in</strong>e gesonderte Lösung. Es erfordert<br />
Dialogbereitschaft und vor allem den festen Willen zur<br />
Umsetzung, wenn wir faktisch e<strong>in</strong>en gleichberechtigten Umgang<br />
erreichen wollen. E<strong>in</strong> Mittel, das wir L<strong>in</strong>ke uns wünschen,<br />
ist e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Ethikunterricht für alle K<strong>in</strong>der,<br />
zusätzlich zum Religionsunterricht.<br />
Das Verhältnis von Staat und Religionsgeme<strong>in</strong>schaften<br />
ist <strong>in</strong> Bewegung. Wir sollten es geme<strong>in</strong>sam angehen, es mit<br />
großer Sensibilität zu gestalten. Ziel muss e<strong>in</strong>e Gesellschaft<br />
se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> der alle Menschen ihren Glauben oder ihren Nichtglauben<br />
<strong>in</strong> größtmöglicher Freiheit ausleben können und religiöse<br />
Gefühle geschützt werden. Insofern bedeutet Religionsfreiheit<br />
auch immer, den Glauben des Anderen zu respektieren.<br />
WARUM ICH IM BUNDESTAG<br />
ANDACHTEN HALTE JOSEF PHILIP WINKLER<br />
Wenn man Medienberichte über Religion über e<strong>in</strong>en längeren<br />
Zeitraum unvore<strong>in</strong>genommen verfolgt, kann man den E<strong>in</strong>druck<br />
bekommen, das Religiöse habe <strong>in</strong> unserer Gesellschaft zurzeit<br />
ke<strong>in</strong>en guten Leumund: Während die christlichen <strong>Kirche</strong>n ihre<br />
Mitarbeitenden „unzeitgemäß“ diskrim<strong>in</strong>ieren, stehen die islamischen<br />
Geme<strong>in</strong>schaften zumeist unter dem Generalverdacht<br />
des Extremismus. Als Glaubender ist man <strong>in</strong> der Defensive. Das<br />
gilt zumal <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Partei, deren Gliederungen immer wieder<br />
mit Initiativen vorpreschen, die kirchlichen „Privilegien“ abzuschaffen.<br />
Nun halte ich den Gedanken, Althergebrachtes zu überdenken,<br />
nicht von vornhere<strong>in</strong> für schlecht. Ähnlich wie bei den Reformatoren<br />
ist von Zeit zu Zeit e<strong>in</strong> kritischer Blick auf die Tradition<br />
erforderlich und die Frage zu stellen, ob der Status quo<br />
dem ursprünglichen Auftrag der <strong>Kirche</strong>n noch entspricht oder<br />
ob er e<strong>in</strong>e leere Hülle geworden ist. Allerd<strong>in</strong>gs sollte dieser Blick<br />
sachlich und pragmatisch se<strong>in</strong>, denn<br />
<strong>Kirche</strong>nfe<strong>in</strong>dschaft ist ke<strong>in</strong>e Haltung,<br />
sondern e<strong>in</strong>e argumentative<br />
Bankrotterklärung.<br />
Für mich kann ich feststellen:<br />
Glauben ist überhaupt<br />
nicht „unzeitgemäß“ oder „überholt“, denn ich empf<strong>in</strong>de ihn als<br />
Kraftquelle und Ruhepol zugleich. Besonders deutlich erkenne<br />
ich dies <strong>in</strong> den Andachten im Gebetsraum des Bundestages,<br />
die immer am Donnerstag und Freitag früh <strong>in</strong> Sitzungswochen<br />
stattf<strong>in</strong>den. Ihr erstes Merkmal ist, dass sie vordergründig<br />
zweckfrei s<strong>in</strong>d, denn sie dienen nicht der politischen Kontaktpflege<br />
oder dem <strong>in</strong>formellen Gespräch. Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Angebot,<br />
zur Ruhe zu kommen und die politische Hektik für e<strong>in</strong>en Moment<br />
zu vergessen. Das zweite Merkmal der Andachten besteht<br />
dar<strong>in</strong>, dass sie <strong>in</strong>terfraktionell und ökumenisch s<strong>in</strong>d. Damit<br />
bieten sie die Gelegenheit, sich abseits von Parteizugehörigkeiten<br />
und <strong>Kirche</strong>nmitgliedschaften als das e<strong>in</strong>e „Volk Gottes“<br />
zu begreifen.<br />
Ich halte es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er freiheitlichen Demokratie für unersetzbar,<br />
e<strong>in</strong>en Rahmen zu haben, <strong>in</strong> dem nicht das nackte F<strong>in</strong>anzielle<br />
und das kalte Politische die Oberhand besitzen. Der Gebetsraum<br />
ist Ste<strong>in</strong> gewordenes Zeugnis dafür, dass Glauben nichts E<strong>in</strong>engendes<br />
ist, das belastet oder bedrückt. Glaube befreit von der<br />
Last, alle D<strong>in</strong>ge selber machen und erreichen zu müssen. Und<br />
deshalb ist es mir e<strong>in</strong> Anliegen, me<strong>in</strong>en Teil zum Gel<strong>in</strong>gen dieses<br />
Rahmens beizutragen, <strong>in</strong>dem ich von Zeit zu Zeit selbst das<br />
Wort ergreife und e<strong>in</strong>e Andacht gestalte.<br />
JOSEF PHILIP WINKLER<br />
ist stellvertretender<br />
Fraktionsvorsitzender<br />
der Bundestagsfraktion<br />
Bündnis 90/Die Grünen.<br />
BODO RAMELOW ist<br />
Fraktionsvorsitzender<br />
der L<strong>in</strong>ken im Thür<strong>in</strong>ger<br />
Landtag. Bis 2009<br />
saß er im Bundestag<br />
und war religionspolitischer<br />
Sprecher<br />
se<strong>in</strong>er Fraktion.<br />
FOTO: PLAMBECK/LAIF<br />
74 75<br />
FOTO: VON ERICHSEN/DPA