15.01.2014 Aufrufe

Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland

Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland

Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

MACHT MACHT<br />

Auch <strong>in</strong> der<br />

Bekennenden <strong>Kirche</strong><br />

gab es nur wenige,<br />

die den NS-Staat<br />

grundsätzlich ablehnten,<br />

sagt<br />

JÜRGEN TELSCHOW,<br />

der die <strong>Kirche</strong>ngeschichte<br />

<strong>in</strong><br />

Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />

erforscht<br />

Herr Telschow, Sie haben über den „<strong>Kirche</strong>nkampf“<br />

<strong>in</strong> Frankfurt geforscht. Um was g<strong>in</strong>g es<br />

denn dabei?<br />

Wenn man den Begriff traditionell verwendet,<br />

g<strong>in</strong>g es um e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>andersetzung <strong>in</strong>nerhalb<br />

der evangelischen <strong>Kirche</strong> zwischen den „Deutschen<br />

Christen“, die der Ideologie des Nationalsozialismus<br />

folgten, und e<strong>in</strong>er kirchlichen Richtung,<br />

die sich „Bekennende <strong>Kirche</strong>“ nannte. Sie<br />

bestand auf e<strong>in</strong>er theologischen und organisatorischen<br />

Eigenständigkeit gegenüber dem NS-<br />

Staat. Damit wird aber eigentlich verdeckt, dass<br />

me<strong>in</strong>es Erachtens der Gegner der Bekennenden<br />

<strong>Kirche</strong> gar nicht die Deutschen Christen waren,<br />

sondern der NS-Staat. Die Bekennende <strong>Kirche</strong><br />

hat zwar an e<strong>in</strong>em ganz entscheidenden Punkt<br />

der Gleichschaltung widerstanden, aber sie hat<br />

mitgemacht oder toleriert oder sich weggeduckt<br />

bei all dem anderen, was dieser NS-Staat über<br />

<strong>Deutschland</strong> und die Welt gebracht hat. Mit dem<br />

„<br />

CHRISTEN HABEN<br />

GELERNT, SICH ZU<br />

UNTERWERFEN<br />

“<br />

Begriff „<strong>Kirche</strong>nkampf“ konnte sie ihr Bild von<br />

dem Kämpfer gegen das Unrecht schlagwortartig<br />

skizzieren.<br />

Man kann also nicht sagen, dass die Bekennende<br />

<strong>Kirche</strong> Widerstand geleistet hätte?<br />

Ne<strong>in</strong>. Es gab <strong>in</strong> der Bekennenden <strong>Kirche</strong> nur<br />

ganz wenige, die den NS-Staat grundsätzlich abgelehnt<br />

haben.<br />

Sie schreiben, dass das protestantische Milieu<br />

e<strong>in</strong>e Nähe zum Nationalsozialismus gehabt hätte.<br />

Wie erklärt sich das?<br />

Von der Urchristenheit her s<strong>in</strong>d die Christen<br />

aufgerufen worden, den Staat, ganz gleich wie<br />

er ausschaut, als von Gott gegeben anzusehen.<br />

Es gibt das bekannte Wort von Römer 13, wo es<br />

nicht nur heißt: „Seid Untertan der Obrigkeit“,<br />

sondern es geht weiter: „… denn es ist ke<strong>in</strong>e Obrigkeit<br />

ohne von Gott“. Und so haben die Christen<br />

über 2000 Jahre damit gelebt, dass man sich<br />

dem Staat zu unterwerfen hat. Dann hatten sie<br />

FOTO: ROLF OESER<br />

erhebliche Probleme, die Weimarer Republik<br />

als e<strong>in</strong>e Obrigkeit von Gott anzusehen, weil die<br />

Regierung von Menschen gewählt war. Es fiel ihnen<br />

leichter, Hitler als von Gott Gesandten anzusehen<br />

und damit <strong>in</strong> die alten Denkmuster zu<br />

verfallen. Auch gehörten die Pfarrer als Teile des<br />

Bürgertums e<strong>in</strong>er Bevölkerungsgruppe an, die<br />

dem Verlust der Monarchie nachtrauerte, schockiert<br />

über die Formen des Atheismus war, und<br />

die moderne Zeit mit der Liberalitiät <strong>in</strong> der Gesellschaft<br />

kritisch sah.<br />

Sie schreiben, dass sich die Deutschen Christen<br />

die rassistische Ideologie zu eigen gemacht hätten.<br />

Dies sei sogar konstitutiv gewesen.<br />

Das ist das Erschreckende. Theologisch war ja die<br />

evangelische <strong>Kirche</strong> schon seit der zweiten Hälfte<br />

des 19. Jahrhunderts sehr gespalten – zwischen den<br />

pietistischen Traditionalisten und der so genannten<br />

liberalen Theologie, die Glauben mit Wissenschaft<br />

und Kultur vere<strong>in</strong>baren wollte. Nach dem<br />

Ersten Weltkrieg hatte sich mit Karl Barth e<strong>in</strong>e<br />

theologische Richtung entwickelt,<br />

die den Liberalen vorwarf,<br />

dass sie theologische Fragen<br />

zu sehr mit kulturellen Fragen<br />

vermischten und nicht mehr<br />

nur aufs Evangelium schauten.<br />

Karl Barth hat dafür gekämpft,<br />

dass man ausschließlich das Evangelium als<br />

Richtschnur betrachtet und es nicht mit anderen<br />

Philosophien oder weltanschaulichen Elementen<br />

verb<strong>in</strong>det. Das Eigenartige ist, dass dann parallel<br />

dazu mit den Vorläufern der Deutschen Christen<br />

genau das Umgekehrte passierte: Jetzt war<br />

es nicht die Kultur und die Wissenschaft, denen<br />

man sich annäherte, sondern es waren plötzlich<br />

rassische Fragen oder das Führerpr<strong>in</strong>zip.<br />

Aber es gab <strong>in</strong> Frankfurt auch Widerstand gegenüber<br />

dem Beschäftigungsverbot von nicht<br />

„re<strong>in</strong>arischen“ Ärzten, zum Beispiel <strong>in</strong> evangelischen<br />

Krankenhäusern.<br />

Die Frage, wie die evangelische <strong>Kirche</strong> mit Juden<br />

und <strong>in</strong>sbesondere getauften Juden umgegangen<br />

ist, beschäftigt uns bis heute. Es ist nicht ganz<br />

zufällig, dass die Pfarrerschaft der <strong>Macht</strong>übernahme<br />

der Nationalsozialisten weitgehend zugestimmt<br />

hat. Erst <strong>in</strong> dem Moment, als auch <strong>in</strong> der<br />

<strong>Kirche</strong> der „Arierparagraph“ e<strong>in</strong>geführt wurde,<br />

also das Verbot, nicht „re<strong>in</strong>arische“ Menschen<br />

im kirchlichen Dienst zu beschäftigen, begann<br />

man, sich zu wehren. Es ist <strong>in</strong>teressant, wenn<br />

man sich dazu die drei der Landeskirche nahestehenden<br />

Krankenhäuser <strong>in</strong> Frankfurt anschaut:<br />

das Diakonissenkrankenhaus, das St. Markuskrankenhaus<br />

und das Privatkrankenhaus Sachsenhausen.<br />

Auf alle drei ist Druck ausgeübt worden,<br />

sich von jüdischen Ärzten zu trennen. Aber<br />

„<br />

EIN KRANKENHAUS-<br />

VORSTAND SAGTE:<br />

DER ARIERPARAGRAPH<br />

GILT HIER NICHT.<br />

“<br />

die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Der<br />

Träger des Sachsenhäuser Krankenhauses, der<br />

Geme<strong>in</strong>schaftsdiakonieverband <strong>in</strong> Marburg, lag<br />

auf der L<strong>in</strong>ie der Deutschen Christen und der<br />

Nationalsozialisten und hat – sehr freundlich<br />

gesagt – überhaupt nicht den Versuch gemacht,<br />

sich vor se<strong>in</strong>e jüdischen Ärzte zu stellen. Der<br />

Träger des St. Markuskrankenhauses, der Vorstand<br />

des Bockenheimer Diakonissenvere<strong>in</strong>s,<br />

hat es versucht, auch mit juristischen Tricks, hat<br />

sich aber nicht durchsetzen können. Beim Diakonissenkrankenhaus<br />

schließlich hat der Vorstandsvorsitzende,<br />

Senatspräsident am Oberlandesgericht<br />

Dr. Heldmann, sofort gesagt: Hier gilt<br />

der Arierparagraph nicht. Und man konnte das<br />

durchhalten.<br />

Wie war das Kräfteverhältnis zwischen den beiden<br />

Richtungen <strong>in</strong> der Frankfurter Pfarrerschaft?<br />

Zwischen 1933 und 1945 haben <strong>in</strong> Frankfurt<br />

137 Pfarrer gearbeitet. Davon waren 60 Mitglieder<br />

der Bekennenden <strong>Kirche</strong>. Das ist e<strong>in</strong> enorm<br />

hoher Anteil. Den Deutschen<br />

Christen gehörten 29 Pfarrer<br />

an, 17 traten aber nach relativ<br />

kurzer Zeit wieder aus.<br />

Heißt das, das protestantische<br />

Milieu war hier kritisch e<strong>in</strong>gestellt?<br />

Ich habe nichts gefunden, was die Ausrichtungen<br />

der Geme<strong>in</strong>demitglieder betraf. Es gab<br />

nur wenige Geme<strong>in</strong>den, die sich e<strong>in</strong>deutig zuordnen<br />

lassen. Die Geme<strong>in</strong>den waren gespalten.<br />

E<strong>in</strong>ige Protagonisten der Bekennenden <strong>Kirche</strong><br />

wie Otto Fricke und Wilhelm Fresenius hatten<br />

nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> ihren <strong>Kirche</strong>nvorständen die<br />

Mehrheit.<br />

Warum sollte man sich heute noch mit <strong>Kirche</strong>nkampf<br />

beschäftigen?<br />

Was zwischen 1933 und 1945 passiert ist, war e<strong>in</strong><br />

ganz schrecklicher Irrweg <strong>Deutschland</strong>s, der aber<br />

doch weitgehend Zustimmung gefunden hatte.<br />

So richtig überzeugt s<strong>in</strong>d die Menschen auch<br />

nach 1945 nicht davon abgerückt. Wir beschäftigen<br />

uns heute fast täglich mit den Rechtsradikalen.<br />

Wenn ich mich mit Geschichte befasse,<br />

geht es mir auch darum, den Menschen, die früher<br />

gelebt haben, gerecht zu werden. Auch b<strong>in</strong> ich<br />

jemand, der als K<strong>in</strong>d sehr darunter gelitten hat,<br />

was zwei Generationen angerichtet haben. Ich<br />

b<strong>in</strong> 1936 geboren, e<strong>in</strong> paar Bombenangriffe mit<br />

Todesangst, die letzten Kämpfe um Berl<strong>in</strong>, die<br />

Besatzung durch die russischen Truppen, dann<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> die Blockade, die Teilung <strong>Deutschland</strong>s<br />

und Europas. Das hat Spuren h<strong>in</strong>terlassen. Deshalb<br />

ist es mir nicht egal, was die Verantwortlichen<br />

damals gedacht haben.<br />

Die Fragen stellte Kurt-Helmuth Eimuth.<br />

JÜRGEN TELSCHOW<br />

ist Vorsitzender<br />

des Evangelischlutherischen<br />

Predigerm<strong>in</strong>isteriums<br />

Frankfurt<br />

am Ma<strong>in</strong> – Vere<strong>in</strong>igung<br />

zur Pflege der<br />

Frankfurter <strong>Kirche</strong>ngeschichte<br />

e.V.<br />

Aus: <strong>Evangelische</strong>s<br />

Frankfurt. Nachrichten<br />

und Debatten. Ausgabe<br />

2013/1 – Februar,<br />

www.evangelisches<br />

frankfurt.de<br />

46<br />

47

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!