Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
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<strong>Macht</strong><br />
MACHT<br />
HEIKE SCHMOLL studierte<br />
Theologie und<br />
Germanistik. Bei der<br />
Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>en<br />
Zeitung ist sie<br />
Korrepondent<strong>in</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
und zuständig für<br />
Schul- und Hochschulpolitik<br />
sowie Fragen<br />
der wissenschaftlichen<br />
Theologie.<br />
RALF MEISTER ist<br />
Landesbischof der<br />
Evangelisch-lutherischen<br />
Landeskirche<br />
Hannovers. Als Rundfunkautor<br />
schreibt er<br />
seit 1994 Morgenandachten<br />
für NDR und<br />
DLF. Von 1996 bis 2001<br />
leitete er die Redaktion<br />
Kiel des <strong>Evangelische</strong>n<br />
Rundfunkreferates<br />
der norddeutschen<br />
<strong>Kirche</strong>n.<br />
tung über die jüngere Geschichte der <strong>Kirche</strong>n<br />
uns – auch mich persönlich – sehr getroffen hat.<br />
E<strong>in</strong>es ist klar: In beiden großen <strong>Kirche</strong>n will man<br />
aus dem Schaden des e<strong>in</strong>en ke<strong>in</strong>en Nutzen für<br />
den anderen ziehen – ganz unabhängig davon,<br />
wie viel Missbrauchsfälle es <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en oder <strong>in</strong><br />
der anderen <strong>Kirche</strong> gegeben hat. Es wäre zynisch,<br />
das schulden wir vor allem den Opfern.<br />
Sehen Sie <strong>in</strong> der medialen Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
e<strong>in</strong>e Chance?<br />
Meister: Man kann nicht sagen: es gibt irgendetwas<br />
Gutes <strong>in</strong> dem Missbrauchsskandal. Wenn<br />
aber e<strong>in</strong>e Konsequenz ist, dass die Gesellschaft<br />
neu auf Missbrauchsfälle aufmerksam wird,<br />
dann hat das vielleicht etwas Gutes. Wir wissen,<br />
dass die meisten Missbrauchsfälle im familiären<br />
Kontext begangen werden. Wenn e<strong>in</strong>e<br />
größere Sensibilität, e<strong>in</strong> schärferes Bewusstse<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> der Gesellschaft dafür entsteht, wie sensibel<br />
das Verhältnis zwischen Erwachsenen und ihren<br />
K<strong>in</strong>dern ist, dann stößt das e<strong>in</strong>en wichtigen<br />
Lernprozess an. In diesem Zusammenhang aber<br />
hätte ich gerne e<strong>in</strong>ige s<strong>in</strong>nvolle Reportagen gelesen,<br />
die zu e<strong>in</strong>er Grundaufklärung beigetragen<br />
hätten.<br />
Den <strong>Kirche</strong>n wird <strong>in</strong> unserem Land ethische<br />
Kompetenz zugestanden. In existenziellen Fragen<br />
s<strong>in</strong>d Christen gefragt: bei der Def<strong>in</strong>ition von<br />
Lebensbeg<strong>in</strong>n und Bestimmungen zu Lebensende<br />
und Sterben oder beim Gedenken an gefallene<br />
Soldaten. Feierstunden tragen auch <strong>in</strong> der<br />
säkularen Welt religiöse Züge. Wie werden die<br />
christlichen Antworten auf ethische und überweltliche<br />
Fragen <strong>in</strong> den Medien transportiert?<br />
Schmoll: Zunächst muss man sagen, dass die<br />
biopolitischen E<strong>in</strong>stellungen beider großen<br />
<strong>Kirche</strong>n, die sich <strong>in</strong> bioethischen Fragen deutlich<br />
unterscheiden, Bundestagsbeschlüsse kaum<br />
bee<strong>in</strong>flusst haben. Sie hatten im Grunde ke<strong>in</strong>e<br />
Wirkung für politische Beschlüsse. Und <strong>in</strong> der<br />
evangelischen <strong>Kirche</strong> taucht immer e<strong>in</strong> Wahrnehmungsproblem<br />
auf: Bischöfen und kirchenleitenden<br />
Amtsträgern wird e<strong>in</strong>e größere ethische<br />
Kompetenz zugetraut als jedem e<strong>in</strong>zelnen<br />
Christen. Daraus spricht e<strong>in</strong>e Tendenz zur Bevormundung.<br />
Im Protestantismus ist jeder mündig<br />
und kann sich als mündiger Bürger e<strong>in</strong> Urteil<br />
bilden. Dazu braucht er ke<strong>in</strong>en Bischof, der auch<br />
das Recht auf e<strong>in</strong>e eigene Me<strong>in</strong>ung hat, die aber<br />
nicht mehr wert ist. In den Medien kommt der<br />
Unterschied zur katholischen <strong>Kirche</strong> oft nicht<br />
zum Ausdruck, weil deren po<strong>in</strong>tierte, e<strong>in</strong>deutige<br />
oder zugespitzte Formulierungen leichter zu<br />
transportieren s<strong>in</strong>d. Aber dass alle<strong>in</strong> unter drei<br />
Bioethikern widersprüchliche Me<strong>in</strong>ungen und<br />
Argumente existieren, das fällt dann unter den<br />
Tisch.<br />
Meister: Das bischöfliche Wort hat nicht mehr<br />
Gewicht, aber f<strong>in</strong>det mehr Gehör. Ich verstehe<br />
me<strong>in</strong> Wort als Bischof als e<strong>in</strong>e Stimme unter<br />
vielen. Ich vertrete ke<strong>in</strong>e Solitärme<strong>in</strong>ung, sondern<br />
bilde me<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung <strong>in</strong> Debatten oder <strong>in</strong><br />
Synoden heraus. In der medialen Vermittlung<br />
entsteht der E<strong>in</strong>druck: das sagt der Bischof, dann<br />
muss es für alle gelten. Idealerweise müsste man<br />
jeden Satz e<strong>in</strong>es Bischofs mit dem Zusatz versehen:<br />
Folgen Sie Ihrem Gewissen, nehmen Sie, was<br />
hier gesagt worden ist, <strong>in</strong> Ihre Me<strong>in</strong>ungsbildung<br />
auf. Es bleibt unser Auftrag, e<strong>in</strong>e reflektierte,<br />
biblisch begründete oder <strong>in</strong> sozialethischen Zusammenhängen<br />
verankerte Position zu aktuellen<br />
und existenziellen Themen zu f<strong>in</strong>den. Im Transportschema<br />
der Medien bleibt das immer problematisch.<br />
Bei der Pränataldiagnostik hatten die<br />
<strong>Kirche</strong>n verschiedene Positionen und s<strong>in</strong>d nicht<br />
durchgedrungen, weil Pluralität von den Medien<br />
nicht vermittelt wird.<br />
Schmoll: Zumal die biblische Begründung meistens<br />
wegfällt – selbst beim epd, dem <strong>Evangelische</strong>n<br />
Pressedienst, weil sie sich <strong>in</strong> Zeitungen<br />
nicht gut abdrucken lässt. Selbst bei den großen<br />
„<br />
BITTE KEINE<br />
INFANTILISERUNG<br />
VON GOTTES<br />
DIENSTEN! DA<br />
WERDEN DIE<br />
INTELLEKTUELLEN<br />
HERAUS-<br />
GEPREDIGT.<br />
“<br />
HEIKE SCHMOLL<br />
„<br />
ICH KANN<br />
DAS EIN BISSCHEN<br />
NÜCHTERNER<br />
BESCHREIBEN.<br />
“<br />
RALF MEISTER<br />
Festtagspredigten wird der e<strong>in</strong>e politische Halbsatz<br />
der Predigt zum Leadsatz der Meldung. Der<br />
theologische Zusammenhang sei angeblich den<br />
normalen Zeitungslesern nicht mehr zu vermitteln<br />
– was nicht stimmt. Das ist e<strong>in</strong> großes<br />
Problem, weil die besondere, eben biblischtheo<br />
logisch begründete Argumentation <strong>in</strong> der<br />
medialen Vermittlung unter den Tisch fällt oder<br />
<strong>in</strong> Nachrichtenredaktionen, wo solche Texte<br />
immerh<strong>in</strong> mit der Weltpolitik konkurrieren,<br />
herausgekürzt werden.<br />
Heißt das, der Verkündigungsauftrag der <strong>Kirche</strong><br />
und der Informationsauftrag der Medien s<strong>in</strong>d<br />
grundsätzlich nicht mite<strong>in</strong>ander vere<strong>in</strong>bar?<br />
Meister: Ich würde es nicht so generell sagen. In<br />
e<strong>in</strong>er Gesellschaft, die so zukunftsängstlich wie<br />
unsere ist, könnten wir aber bleibende Hoffnung<br />
oder e<strong>in</strong>e eschatologische Dimension durchaus<br />
erfolgreich <strong>in</strong> die Diskussion e<strong>in</strong>tragen. Wir debattieren,<br />
wie e<strong>in</strong> Endlager für Atommüll aussehen<br />
könnte, das noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Million Jahren<br />
strahlen wird. Angesichts solcher Zeitdimensionen<br />
theologisch Antwort zu geben – vielleicht<br />
nicht erschöpfend, das ist die kritische Herausforderung<br />
an uns als Prediger.<br />
Schmoll: E<strong>in</strong>e Nachrichtenredaktion kann e<strong>in</strong>en<br />
theologischen Zusammenhang, der sich <strong>in</strong> dogmatischen<br />
Klauseln erschöpft und <strong>in</strong> dem etwa<br />
von der Gnade Gottes die Rede ist, nicht vermitteln.<br />
Theologische Zentnerbegriffe s<strong>in</strong>d auch<br />
dem Zeitungsleser nicht zuzumuten, die sollte<br />
der Prediger übersetzen. Auch <strong>in</strong> Bischofspredigten<br />
werden theologische Zusammenhänge<br />
nicht weitgehend genug <strong>in</strong> eigene, e<strong>in</strong>prägsame<br />
Formulierungen gefasst, das gehörte aber eigentlich<br />
zu den Grundlagen des evangelischen Verkündigungsauftrags.<br />
Also schließe ich daraus, die biblische Botschaft<br />
muss <strong>in</strong> der Medienwelt trivialer, banaler, e<strong>in</strong>facher<br />
daherkommen?<br />
Schmoll: Ne<strong>in</strong>, das garantiert nicht. Nichts ist<br />
schlimmer als die Infantilisierung von Gottesdiensten<br />
im Protestantismus, der eigentlich immer<br />
hohe Anforderungen an Vernunft und an Glaube<br />
gestellt hat. Leider kam das Positionspapier der<br />
EKD zu den evangelischen Verantwortungseliten<br />
viel zu spät. Ich vergröbere jetzt und übertreibe,<br />
aber die <strong>in</strong>tellektuelle Elite könnte längst aus den<br />
<strong>Kirche</strong>n herausgepredigt worden se<strong>in</strong>.<br />
Herausgepredigt – Bischof Meister?<br />
Meister: Ich kann das e<strong>in</strong> bisschen nüchterner<br />
beschreiben. Bestimmte Milieus hat die evangelische<br />
<strong>Kirche</strong>, übrigens auch die katholische <strong>Kirche</strong>,<br />
schon seit e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb Jahrhunderten verloren.<br />
Dass durch dezidiert schlechte Predigten <strong>in</strong><br />
den letzten fünfzehn Jahren der letzte kluge Kopf<br />
der <strong>Kirche</strong> fern geblieben sei, das ist e<strong>in</strong>e absurde<br />
Vorstellung.<br />
Schmoll: Man darf als Kirchgänger erwarten,<br />
dass der Pfarrer sich tatsächlich mit dem biblischen<br />
Text ause<strong>in</strong>andergesetzt hat und nicht nur<br />
Tagesnachrichten der vergangenen Woche assoziativ<br />
auf den Text bezieht.<br />
Theologische Ause<strong>in</strong>andersetzung und echte<br />
Textauslegung haben mit <strong>in</strong>tellektuellem Höhen<br />
gar nichts zu tun, sondern mit dem Verkündigungsauftrag<br />
– und zwar <strong>in</strong> Ortsgeme<strong>in</strong>den, die<br />
<strong>in</strong> den letzten Jahren <strong>in</strong> der evangelischen <strong>Kirche</strong><br />
deutlich geschwächt wurden im Vergleich zu<br />
Sonderpfarrämtern und diversen Sonderbeauftragten.<br />
Ich halte es nach wie vor für wichtiger,<br />
Geme<strong>in</strong>depfarrer und das Geme<strong>in</strong>depfarramt<br />
zu stärken, als e<strong>in</strong>en Umweltbeauftragten, e<strong>in</strong>e<br />
Frauenbeauftragte und sonstige Beauftragte zu<br />
<strong>in</strong>stallieren.<br />
Da s<strong>in</strong>d wir bei den Medienbeauftragten der <strong>Kirche</strong><br />
. . .<br />
Schmoll: Ja, aber das Ortsgeschehen des Geme<strong>in</strong>depfarramts<br />
gerät uns dennoch aus dem Blick. An<br />
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