Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
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<strong>Macht</strong><br />
<strong>Macht</strong><br />
DEMOKRATIE-<br />
DENKSCHRIFT 1985 GEMEINSAMES WORT 2006<br />
JA, WIR<br />
STEHEN ZU<br />
DIESER<br />
STAATSFORM<br />
<strong>Evangelische</strong> <strong>Kirche</strong> und<br />
Demokratie – das ist die Geschichte<br />
e<strong>in</strong>er langsamen Annäherung.<br />
Zwei wichtige Meilenste<strong>in</strong>e:<br />
Die „Demokratie-Denkschrift“<br />
der EKD von 1985. Und das 2006<br />
mit der Deutschen Bischofskonferenz<br />
verfasste Geme<strong>in</strong>same Wort<br />
„Demokratie braucht Tugenden“.<br />
Beide Texte hier <strong>in</strong> Auszügen<br />
A<br />
ls evangelische Christen stimmen wir<br />
der Demokratie als e<strong>in</strong>er Verfassungsform<br />
zu, die die unantastbare Würde der<br />
Person als Grundlage anerkennt und achtet. Den<br />
demokratischen Staat begreifen wir als Angebot<br />
und Aufgabe für die politische Verantwortung<br />
aller Bürger und so auch für evangelische Christen.<br />
In der Demokratie haben sie den von Gott<br />
dem Staat gegebenen Auftrag wahrzunehmen<br />
und zu gestalten. (S. 12)<br />
Grundelemente des freiheitlichen demokratischen<br />
Staates s<strong>in</strong>d Achtung der Würde des Menschen,<br />
Anerkennung der Freiheit und der Gleichheit.<br />
Daraus folgt das Gebot politischer und<br />
sozialer Gerechtigkeit. Der Gedanke der Menschenwürde<br />
ist <strong>in</strong>haltlich e<strong>in</strong>e Konsequenz der<br />
biblischen Lehre von der Gottesebenbildlichkeit<br />
des Menschen als Geschöpf Gottes (Gen. 1,27).<br />
Wir bekennen Jesus Christus als den, der die<br />
Menschen und damit die Welt mit Gott versöhnt<br />
hat. Das Neue Testament lehrt uns, daß Christus<br />
stellvertretend für jeden sündigen Menschen se<strong>in</strong><br />
Leben gegeben hat und für uns vor Gott e<strong>in</strong>tritt.<br />
<strong>Kirche</strong> und Staat haben ihren Ort „<strong>in</strong> der noch<br />
nicht erlösten Welt“ (Barmen V), die darum der<br />
staatlichen Ordnung bedarf. Der Staat soll die<br />
Auswirkungen der Fehlsamkeit des Menschen <strong>in</strong><br />
Grenzen halten. Aus dem gleichen Grund muß<br />
auch die Ausübung staatlicher <strong>Macht</strong> kontrolliert<br />
werden. Die Würde des Menschen als Gabe<br />
Gottes ist dabei der Maßstab, den die politische<br />
und gesellschaftliche Gestaltung des Geme<strong>in</strong>wesens<br />
zu achten hat und dem sie nach menschlicher<br />
E<strong>in</strong>sicht gerecht werden muß. In ihr gründet die<br />
Berufung des Menschen zu freier Mitverantwortung<br />
<strong>in</strong> der Gestaltung des Geme<strong>in</strong>wesens.<br />
Für Christen ist es wichtig zu erkennen, daß<br />
die Grundgedanken, aus denen heraus e<strong>in</strong> demokratischer<br />
Staat se<strong>in</strong>en Auftrag wahrnimmt, e<strong>in</strong>e<br />
Nähe zum christlichen Menschenbild aufweisen.<br />
Nur e<strong>in</strong>e demokratische Verfassung kann heute<br />
der Menschenwürde entsprechen. Das ist bei<br />
aller Unsicherheit <strong>in</strong> der Auslegung von Verfassungspr<strong>in</strong>zipien<br />
und bei allem Streit um deren<br />
politische Gestaltung festzuhalten. (S. 13)<br />
Aus:<br />
<strong>Evangelische</strong><br />
<strong>Kirche</strong> und<br />
freiheitliche<br />
Demokratie.<br />
Der Staat des<br />
Grundgesetzes<br />
als Angebot und<br />
Aufgabe. E<strong>in</strong>e<br />
Denkschrift<br />
der <strong>Evangelische</strong>n<br />
<strong>Kirche</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>.<br />
Von 1985<br />
FOTO: PLAINPICTURE<br />
D<br />
ie <strong>Kirche</strong>n <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> haben e<strong>in</strong>en<br />
wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die<br />
Demokratie nach dem Ende des Nationalsozialismus<br />
als chancenreichste Staatsform begriffen<br />
und verwirklicht wurde und dass die Ordnung<br />
des Grundgesetzes von den Bürger<strong>in</strong>nen<br />
und Bürgern auch als Werteordnung akzeptiert<br />
und bejaht wird. Im Bereich der ostdeutschen<br />
Länder s<strong>in</strong>d die Früchte dieses Bemühens erst<br />
mit der friedlichen Revolution und der dadurch<br />
ermöglichten Wiedervere<strong>in</strong>igung voll zur Geltung<br />
gekommen. Während der kommunistischen<br />
Herrschaft stellte es für die <strong>Kirche</strong>n gemäß ihrem<br />
Verkündigungsauftrag e<strong>in</strong>e besondere Herausforderung<br />
dar, öffentlich für Menschenwürde und<br />
Freiheit e<strong>in</strong>zutreten und denjenigen e<strong>in</strong>e Heimat<br />
zu bieten, die wegen ihres E<strong>in</strong>satzes für die<br />
rechtsstaatliche Demokratie verfolgt wurden. Die<br />
<strong>Kirche</strong>n, <strong>in</strong>sbesondere die evangelische, öffneten<br />
dann an vielen Orten <strong>in</strong> der DDR ihre Türen und<br />
beteiligten sich an der aufkeimenden demokratischen<br />
Bewegung, die im Herbst 1989 die friedliche<br />
Revolution <strong>in</strong> der DDR herbeiführte.<br />
Die <strong>Kirche</strong>n werden auch <strong>in</strong> Zukunft für die<br />
freiheitliche Demokratie des Grundgesetzes e<strong>in</strong>treten,<br />
weil diese <strong>in</strong> besonderer Weise dem christlichen<br />
Menschenbild entspricht. Das politische,<br />
ökonomische und rechtliche System <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
wie <strong>in</strong> Europa <strong>in</strong>sgesamt ist wesentlich geprägt<br />
von jüdisch-christlichen Wertvorstellungen.<br />
Im deutschen Grundgesetz hat das christliche<br />
Bild vom Menschen se<strong>in</strong>en Niederschlag gefunden.<br />
Dieses Bild vom Menschen ist dadurch bestimmt,<br />
dass der Mensch zu freier Entscheidung<br />
fähig ist und zugleich immer <strong>in</strong> solidarischer Verbundenheit<br />
mit anderen lebt. Er ist zu verantwortlicher<br />
Selbstbestimmung herausgefordert. Sicher<br />
können aus dem christlichen Menschenbild nicht<br />
direkt ökonomische oder politische Handlungsanweisungen<br />
hergeleitet werden. Aber mit se<strong>in</strong>en<br />
zentralen Kategorien der Freiheit, der Würde und<br />
der Selbstbestimmung zeigt es e<strong>in</strong>en ethischen<br />
M<strong>in</strong>deststandard, der <strong>in</strong> jedem Fall gewahrt bleiben<br />
muss, wenn konkrete Entscheidungen getroffen<br />
werden. (S. 12f)<br />
Welche Tugenden die repräsentative Demokratie<br />
den <strong>Politik</strong>er<strong>in</strong>nen und <strong>Politik</strong>ern vor allem abverlangt,<br />
ist <strong>in</strong> diesen Überlegungen bereits angedeutet.<br />
Sie sollen den Mut haben, notwendige<br />
Wahrheiten zu sagen, die nicht gern gehört werden.<br />
Sie sollen bereit se<strong>in</strong>, wenn es um des Geme<strong>in</strong>wohls<br />
willen notwendig ist, Risiken e<strong>in</strong>zugehen;<br />
auch das sche<strong>in</strong>bar größte politische Risiko,<br />
das Risiko e<strong>in</strong>er Wahlniederlage, muss e<strong>in</strong>e verantwortungsbewusste<br />
<strong>Politik</strong> gelegentlich <strong>in</strong> Kauf<br />
nehmen. Sie sollen Standfestigkeit besitzen, die<br />
nicht Unbelehrbarkeit se<strong>in</strong> darf. Sie sollen <strong>in</strong> der<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung mit dem politischen Gegner<br />
fair bleiben, auch wenn das Gegenteil Vorteile<br />
brächte. Sie dürfen schließlich nie vergessen, um<br />
wessen Willen sie ihr Amt auszuüben haben.<br />
Die Forderung nach Mut, Risikobereitschaft<br />
und Standfestigkeit gegenüber den Wähler<strong>in</strong>nen<br />
und Wählern und dem Druck organisierter Interessen<br />
ist mit der dem Demokratiepr<strong>in</strong>zip entspr<strong>in</strong>genden<br />
Verpflichtung des gewählten <strong>Politik</strong>ers<br />
auf se<strong>in</strong>e Wähler<strong>in</strong>nen und Wähler durchaus<br />
vere<strong>in</strong>bar. Nach der Logik der repräsentativen<br />
Demokratie hat der <strong>Politik</strong>er im Dialog mit ihnen<br />
e<strong>in</strong>e Führungsverantwortung. Dazu gehört das<br />
Zuhören, dazu gehört vor allem aber das Argumentieren<br />
und Überzeugen. <strong>Politik</strong>er<strong>in</strong>nen und<br />
<strong>Politik</strong>er haben die Aufgabe, bei Wähler<strong>in</strong>nen<br />
und Wählern für das zu werben, was sie für notwendig<br />
und richtig halten. Diese Aufgabe ist nur<br />
zumutbar, weil das überzeugende Argument –<br />
nicht immer und bei jedem, aber <strong>in</strong> der Mehrzahl<br />
der Fälle und bei der Mehrzahl der Menschen<br />
– tatsächlich aufklärende Kraft zu entfalten vermag.<br />
Die repräsentative Demokratie beruht auf<br />
der Überzeugung, dass bei e<strong>in</strong>er Mehrheit von<br />
Bürgern Geme<strong>in</strong>wohlbereitschaft durch Argumente<br />
zu wecken ist. Jede demokratische Verfassung<br />
geht davon aus. Indem sie es tut, verpflichtet<br />
sie e<strong>in</strong>erseits ihre Amtsträger, durch politische<br />
Überzeugungskraft und eigenes Vorbild auf Geme<strong>in</strong>wohlbereitschaft<br />
h<strong>in</strong>zuwirken, und fordert<br />
andererseits die Bürger auf, sich auf e<strong>in</strong>e solche<br />
argumentative Ause<strong>in</strong>andersetzung e<strong>in</strong>zulassen.<br />
(S. 29f)<br />
Aus:<br />
Demokratie<br />
braucht<br />
Tugenden.<br />
Geme<strong>in</strong>sames<br />
Wort des Rates<br />
der <strong>Evangelische</strong>n<br />
<strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
und der Deutschen<br />
Bischofskonferenz<br />
zur<br />
Zukunft unseres<br />
demokratischen<br />
Geme<strong>in</strong>wesens.<br />
Von 2006<br />
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