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Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland

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<strong>Macht</strong><br />

MACHT<br />

ANGEBOT<br />

ABGELEHNT<br />

Argula von Grumbach hatte viel zu sagen und schrieb sich die<br />

F<strong>in</strong>ger wund. Die Bildungselite verweigerte ihr die<br />

Aufmerksamkeit – und demonstrierte so ihre <strong>Macht</strong><br />

„Ich habe euch ke<strong>in</strong> Weibergeschwätz geschrieben,<br />

sondern das Wort Gottes als e<strong>in</strong> Glied der<br />

<strong>Kirche</strong>“, schließt die 31-jährige Argula von Grumbach<br />

ihr Sendschreiben an die Ingolstädter Gelehrten,<br />

<strong>in</strong> dem sie 1523 e<strong>in</strong>en Magister gegen e<strong>in</strong><br />

ketzergerichtliches Verfahren durch die Universität<br />

verteidigt. Die Fränkische Freifrau war e<strong>in</strong>e<br />

der bekanntesten Flugschriftenautor<strong>in</strong>nen der<br />

<strong>Reformation</strong>szeit und weit über die Grenzen von<br />

VON KRISTINA DRONSCH<br />

Franken h<strong>in</strong>aus bekannt. E<strong>in</strong>e von vielen Frauen,<br />

die sich besonders <strong>in</strong> der Frühzeit der <strong>Reformation</strong><br />

politisch e<strong>in</strong>mischten und zu Wort meldeten.<br />

Es war – ohne das bequeme Nackenpolster von<br />

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – e<strong>in</strong> großes<br />

Wagnis, das Frauen wie Argula von Grumbach<br />

e<strong>in</strong>gegangen s<strong>in</strong>d. Viele haben dafür e<strong>in</strong>en hohen<br />

Preis gezahlt. Was hat sie dennoch dazu bewogen?<br />

Die Präsenz des Reformators Mart<strong>in</strong> Luther<br />

ILLUSTRATION: HENRIK ABRAHAMS<br />

war es nicht. Argula von Grumbach konnte sogar<br />

sagen: „Auch wenn es dazu kommen sollte,<br />

wovor Gott sei, dass Luther widerruft, so soll es<br />

mir nichts zu schaffen machen. Ich baue nicht auf<br />

se<strong>in</strong>, me<strong>in</strong> oder sonst e<strong>in</strong>es Menschen Verstand,<br />

sondern alle<strong>in</strong> auf den wahren Felsen Christus<br />

selber.“<br />

Ihr Recht, sich zu Wort zu melden, gew<strong>in</strong>nen<br />

die Frauen aus der reformatorischen Grundüberzeugung,<br />

dass jeder Mensch unmittelbar vor<br />

Gott steht. Dieses unmittelbare Verhältnis zu<br />

Gott und se<strong>in</strong>em Wort schließt e<strong>in</strong>, dass jede und<br />

jeder befähigt und gehalten ist, <strong>in</strong> den lebensbestimmenden<br />

Bezügen davon auch Zeugnis zu geben:<br />

„Wer mich bekennt vor den Menschen, den<br />

will auch ich bekennen vor me<strong>in</strong>em<br />

himmlischen Vater“, zitiert<br />

Argula von Grumbach aus dem<br />

Matthäus evangelium (Kapitel 10,<br />

Vers 32). Obwohl sie lange mit sich<br />

gerungen habe – dieses Jesuswort<br />

habe sie veranlasst, zu schreiben.<br />

Am Anfang war Gottes Wort. Mit<br />

diesem Wort machen die Frauen der <strong>Reformation</strong>szeit<br />

e<strong>in</strong>en Anfang, <strong>in</strong>dem sie <strong>in</strong> politisch-gesellschaftlichen<br />

Kontexten davon Zeugnis geben.<br />

Wer Zeugnis gibt, unterrichtet, bekräftigt<br />

oder widerlegt nicht nur, sondern schafft mit<br />

dem Wissen, das dadurch ermöglicht wird, zugleich<br />

e<strong>in</strong>e Grundlage von Geme<strong>in</strong>schaft.<br />

Dieser Geme<strong>in</strong>schaftsgedanke f<strong>in</strong>det sich im<br />

Gedanken vom Priestertum aller Getauften ausgedrückt.<br />

Der seltsam altertümliche Begriff, der<br />

mit Blick auf das <strong>Reformation</strong>sjubiläum konzentriert<br />

durch evangelische Denkschriften und Impulspapiere<br />

geistert, basiert zum e<strong>in</strong>en auf dem<br />

Gedanken, dass die Beziehung zwischen Gott<br />

und Mensch ke<strong>in</strong>er Vermittlung durch Amtspriester<br />

bedarf. Im Zuge dessen wird das Priestertum<br />

aller Getauften <strong>in</strong> unserer Gegenwart<br />

gerne als e<strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuelles Freiheitsrecht für religiöse<br />

Mündigkeit verstanden.<br />

Zugleich aber schw<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> dem Gedanken<br />

vom Priestertum aller Getauften e<strong>in</strong> sozialer<br />

Aspekt mit, der <strong>in</strong> sich schon e<strong>in</strong>e politische<br />

Dimension trägt. Denn das Priesteramt ist e<strong>in</strong><br />

Amt der Vermittlung. Es wird dort konkret, wo<br />

jemand vom Wort Gottes, vom Evangelium vor<br />

Anderen und für Andere Zeugnis gibt. Das kann<br />

nur gel<strong>in</strong>gen, wo me<strong>in</strong> Zeugnis anerkannt wird.<br />

Das allgeme<strong>in</strong>e Priestertum ist also selbst als e<strong>in</strong>e<br />

soziale Rolle anzusehen, die von ethisch-politischen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen und Anerkennungsmechanismen<br />

geprägt ist.<br />

Deswegen greift es zu kurz, wenn der Gedanke<br />

vom Priestertum aller Getauften e<strong>in</strong>fach nur<br />

als persönliche Ermutigung für die Frauen der<br />

„DAS VERTRAUEN<br />

BILDET DAS<br />

FUNDAMENT DES<br />

ALLGEMEINEN<br />

PRIESTERTUMS.“<br />

<strong>Reformation</strong>szeit verstanden wird, sich zu Wort<br />

zu melden. Denn nicht so sehr die E<strong>in</strong>zelne oder<br />

den E<strong>in</strong>zelnen nimmt der Gedanke <strong>in</strong> den Blick.<br />

Er ist vielmehr <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er sozialen und politischen<br />

Dimension wiederzuentdecken. Gerade weil es<br />

nicht der priesterlichen Weihe bedarf, um die<br />

Welt im Lichte des Glaubens zu deuten und zu<br />

verstehen, s<strong>in</strong>d alle Christ<strong>in</strong>nen und Christen<br />

geradezu aufgefordert, vom Wort Gottes Zeugnis<br />

zu geben.<br />

Doch nur mit Hilfe e<strong>in</strong>es sozialen Bandes, das<br />

zwischen den Zeugnisgebenden und den Zeugnisempfängern<br />

existiert, ist Zeugnisgeben möglich.<br />

Dieses soziale Band konkretisiert sich als<br />

„Vertrauen schenken“. E<strong>in</strong>em Zeugnis Vertrauen<br />

zu schenken impliziert, an die Integrität<br />

e<strong>in</strong>er Person zu glauben.<br />

Das ist e<strong>in</strong>e Frage der E<strong>in</strong>stellung.<br />

Diese E<strong>in</strong>stellung aber trägt die<br />

Züge e<strong>in</strong>er Gabe. Die ethische<br />

Gabe des Vertrauenschenkens ist<br />

e<strong>in</strong> <strong>in</strong>tersubjektives Phänomen.<br />

Sie bildet den Kern des Priestertums<br />

aller Getauften, denn das Vertrauen <strong>in</strong> die<br />

Andere oder den Anderen bildet das Fundament<br />

e<strong>in</strong>es gel<strong>in</strong>genden allgeme<strong>in</strong>en Priestertums.<br />

Von der großen Philosoph<strong>in</strong> Hannah Arendt<br />

stammen die Worte „<strong>Politik</strong> heißt Anfangen-Können“.<br />

Das Anfangen-Können schafft die Bed<strong>in</strong>gungen<br />

für Kont<strong>in</strong>uität, für Er<strong>in</strong>nerung und damit<br />

für Geschichte. Doch das Moment des Beg<strong>in</strong>nens,<br />

das sich konkretisiert im „Sich-E<strong>in</strong>setzen-füretwas“<br />

wird nur da gel<strong>in</strong>gen, wo das soziale Band<br />

des Vertrauens diesen Anfang weiterträgt.<br />

Argula von Grumbach wurde dieses soziale<br />

Band des Vertrauens nicht entgegengebracht.<br />

Sie verstummte e<strong>in</strong> Jahr, nachdem sie angefangen<br />

hatte, sich zu Wort zu melden. E<strong>in</strong> beendeter<br />

Anfang, der e<strong>in</strong>es Neuanfangs bedarf. Argula<br />

schreibt: „Ja, wenn ich alle<strong>in</strong> sterbe, so werden<br />

doch hundert Frauen wider sie schreiben. Denn<br />

ihrer s<strong>in</strong>d viele, die belesener und geschickter als<br />

ich s<strong>in</strong>d.“ Auch das ist von ihr zu lernen: Die Fähigkeit,<br />

immer wieder neu anfangen zu können<br />

und eben nicht e<strong>in</strong> für alle Mal def<strong>in</strong>iert zu se<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Rolle als Frau, setzt voraus, Vertrauen<br />

zu haben, dass sich ethisch-politische E<strong>in</strong>stellungen<br />

und Anerkennungsmechanismen ändern<br />

werden. Das impliziert die bleibende Aufgabe<br />

und Verantwortung, selbst aktiv dazu beizutragen<br />

– so wie es die vielen Frauen im Laufe der<br />

500-jährigen Geschichte der <strong>Reformation</strong> getan<br />

haben. Aus diesem Grund ist der Gedanke vom<br />

Priestertum aller Getauften niemals jenseits des<br />

Politischen zu denken oder <strong>in</strong> den vorpolitischen<br />

Raum zu verweisen, sondern birgt <strong>in</strong> sich selbst<br />

e<strong>in</strong>e politische Dimension.<br />

DR. KRISTINA<br />

DRONSCH ist<br />

Referent<strong>in</strong> für<br />

„Frauen und <strong>Reformation</strong>sdekade“<br />

bei den <strong>Evangelische</strong>n<br />

Frauen <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong> (efid).<br />

Weitere „starke<br />

Frauengestalten“ der<br />

<strong>Reformation</strong>szeit unter<br />

www.frauen-undreformation.de<br />

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