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Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland

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POLITIK POLITIK<br />

PROF. D. DR.<br />

WOLF KRÖTKE<br />

lehrte bis zu se<strong>in</strong>er<br />

Pensionierung 2004<br />

Systematische Theologie<br />

an der Humboldt-<br />

Universität zu Berl<strong>in</strong>.<br />

E<br />

s ist heute weith<strong>in</strong> üblich geworden, die<br />

<strong>Evangelische</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> der DDR pauschal<br />

e<strong>in</strong>e „<strong>Kirche</strong> im Sozialismus“ zu nennen.<br />

Die DDR hat 40 Jahre lang existiert. Die ersten 20<br />

Jahre war von der „<strong>Kirche</strong> im Sozialismus“ ke<strong>in</strong>e<br />

Rede. Als aber diese Rede mit der Gründung des<br />

„Bundes des <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong>n <strong>in</strong> der DDR“<br />

im Jahre 1969 aufkam, hat sie beileibe nicht wie<br />

e<strong>in</strong>e unangefochtene Losung die Wirklichkeit<br />

der kirchlichen Institutionen, der Geme<strong>in</strong>den<br />

und des Lebens der e<strong>in</strong>zelnen Christ<strong>in</strong>nen und<br />

Christen bestimmt. Es war im Gegenteil so, dass<br />

sie von Anfang an von kritischen Fragen aus allen<br />

Bereichen der kirchlichen Wirklichkeit umgeben<br />

war und <strong>in</strong> den 80er Jahren von diesen Fragen<br />

regelrecht zersetzt wurde. Nach dem Ende der<br />

DDR hat Bischof Albrecht Schönherr, der sich <strong>in</strong><br />

der DDR-Zeit besonders für diese Formel e<strong>in</strong>gesetzt<br />

hat, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Biographie bekannt, dass dies<br />

e<strong>in</strong> Fehler war. Es g<strong>in</strong>g der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong><br />

um ihren E<strong>in</strong>satz für die Menschen <strong>in</strong> der Gesellschaft,<br />

der von der Staatspartei der Sozialismus<br />

als Weltanschauung, Gesellschaftskonzept und<br />

Programm politischer <strong>Macht</strong>ausübung verordnet<br />

war. Es g<strong>in</strong>g aber nicht darum, den christlichen<br />

Glauben <strong>in</strong> dieser Weltanschauung zu<br />

ZU NAH<br />

GERÜCKT?<br />

Die <strong>Evangelische</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> der<br />

DDR setzte dem Staat zu, aber<br />

machte auch Zugeständnisse.<br />

Ließ sie sich zu sehr vere<strong>in</strong>nahmen?<br />

VON WOLF KRÖTKE<br />

beheimaten, das sozialistische Gesellschaftskonzept<br />

e<strong>in</strong>fach h<strong>in</strong>zunehmen und zu allen <strong>Macht</strong>demonstrationen<br />

des sozialistischen Staates „Ja<br />

und Amen“ zu sagen.<br />

RELIGION STARB NICHT EINFACH AB<br />

Es ist hier nicht der Ort, darzustellen, wie es zu<br />

dieser Formel gekommen ist. Das ist h<strong>in</strong>reichend<br />

aufgeklärt. Der grundsätzlich religionsfe<strong>in</strong>dliche<br />

sozialistische Staat begann, je länger die<br />

DDR exis tierte, sich darauf e<strong>in</strong>zustellen, dass die<br />

„Religion“ <strong>in</strong> Gestalt der <strong>Kirche</strong> nicht e<strong>in</strong>fach<br />

„abstarb“, wie es die marxistisch-len<strong>in</strong>istische<br />

Theorie aufgrund e<strong>in</strong>er sozialistischen Gesellschaftsgestaltung<br />

vorsah. Dieses „Absterben“<br />

durch Druck auf die Glieder der <strong>Kirche</strong> zu befördern,<br />

blieb e<strong>in</strong> Ziel sozialistischer <strong>Macht</strong>ausübung<br />

vom Anfang der DDR bis zu ihrem Ende.<br />

Das war auch erfolgreich. Die Christenheit <strong>in</strong> der<br />

DDR schrumpfte unter diesem Druck drastisch.<br />

Aber es blieb noch e<strong>in</strong> Viertel der Bevölkerung,<br />

das sich diesem Druck nicht fügte. Die <strong>Kirche</strong><br />

blieb auch <strong>in</strong> dezimierter Gestalt e<strong>in</strong>e im ganzen<br />

Land gegenwärtige Institution, die mit ihrem<br />

Parochialsystem e<strong>in</strong> nicht zu ignorierender<br />

gesellschaftlicher Großfaktor war. Im Geiste<br />

FOTO: WILMAR/AGEFOTOSTOCK/AVENUE IMAGES<br />

Die St. Marienkirche<br />

und der<br />

Fernsehturm <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> Mitte,<br />

ehemals Ostberl<strong>in</strong><br />

sozialis tischer „Strategie und Taktik“, wie sie Len<strong>in</strong><br />

gelehrt hatte, haben die Ideologen des DDR-<br />

Sozialismus darum versucht, durch Integration<br />

der <strong>Kirche</strong> „<strong>in</strong> den Sozialismus“ der als „klassenfe<strong>in</strong>dlich“<br />

e<strong>in</strong>gestuften „Religion“ den Zahn<br />

zu ziehen. „<strong>Kirche</strong> im Sozialismus“ war <strong>in</strong> ihrer<br />

Vorstellung e<strong>in</strong>e der sozialistischen <strong>Macht</strong>ausübung<br />

hörige <strong>Kirche</strong>, die sich der Kritik an der<br />

Weltanschauung der Staatspartei enthält und die<br />

„Errungenschaften“ des „real existierenden Sozialismus“<br />

im höheren Tone zu preisen weiß.<br />

Heute wird gefragt, warum sich der „Bund<br />

der <strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong>n <strong>in</strong> der DDR“ die Formel<br />

von der „<strong>Kirche</strong> im Sozialismus“, deren parteiamtliche<br />

Lesart ja bekannt war, mit der E<strong>in</strong>schränkung<br />

„nicht neben, nicht gegen, sondern<br />

im Sozialismus“, zu eigen gemacht hat. Dabei<br />

wird man gerechterweise e<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung würdigen<br />

müssen, unter der die <strong>Kirche</strong>n und Geme<strong>in</strong>den<br />

<strong>in</strong> der DDR zu leben hatten. Nach menschlichem<br />

Ermessen war entschieden, dass das von<br />

der gewaltigen Militärmacht der Sowjetunion<br />

gestützte System des DDR-Sozialismus auf unabsehbare<br />

Zeit existieren würde. Es blieb auch der<br />

<strong>Kirche</strong> nichts anderes übrig, als sich im Interesse<br />

des Lebens der Geme<strong>in</strong>deglieder mit den <strong>Macht</strong>habern<br />

des Sozialismus und ihrer Propaganda<br />

<strong>in</strong>s Benehmen zu setzen. Jede Dorfgeme<strong>in</strong>de<br />

stand vor dieser Herausforderung. Dem Sozialismus<br />

mit se<strong>in</strong>er sozialen Grundidee das Beste abzugew<strong>in</strong>nen<br />

und zu unterstützen; was diese Idee<br />

<strong>in</strong> der Realität durchaus Gutes bewirken konnte,<br />

war deshalb e<strong>in</strong> ehrlich geme<strong>in</strong>tes Anliegen der<br />

Christenheit <strong>in</strong> der DDR, das auch <strong>in</strong> die vage<br />

Formel von der „<strong>Kirche</strong> im Sozialismus“ h<strong>in</strong>e<strong>in</strong><br />

schwang.<br />

WEGBEREITER FÜR DIE WENDE<br />

Nicht zu vergessen ist auch, dass diese Formel<br />

e<strong>in</strong>e gewisse Entkrampfung bei den allgegenwärtigen<br />

Funktionären der Staatspartei bewirkt<br />

hat. Sie hatten die Christ<strong>in</strong>nen und Christen und<br />

all die Pfarrer<strong>in</strong>nen und Pfarrer, Katechet<strong>in</strong>nen<br />

und Katecheten, Diakon<strong>in</strong>nen und Diakonen per<br />

Anweisung des Politbüros nun nicht mehr bloß<br />

als „Speerspitze des Klassenfe<strong>in</strong>des“ zu betrachten,<br />

sondern mussten sich angewöhnen, Glieder<br />

der <strong>Kirche</strong> als solche zu behandeln, die es mit<br />

dem „Sozialismus“ gut me<strong>in</strong>en – besser freilich<br />

sogar, als sie es selber im S<strong>in</strong>ne hatten. Aber gerade<br />

hier lag der Hase im Pfeffer. Denn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

christlichen Geme<strong>in</strong>de und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kirchlichen<br />

Institution lässt sich der Geist nicht bändigen,<br />

der Gutes für uns Menschen nur zu schätzen<br />

weiß, wenn es auf dem Boden von Freiheit gedeiht.<br />

Gutes ohne Freiheit verstopft unser S<strong>in</strong>nen<br />

und Trachten mit Korken von Ideologien und<br />

Zwangsvorstellungen, die uns Menschen nur als<br />

Marionetten irgendwelcher <strong>Macht</strong>haber auf der<br />

politischen und gesellschaftlichen Bühne sehen<br />

wollen. Mit den Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> der DDR, denen<br />

sich die Institution der <strong>Kirche</strong> verpflichtet wusste,<br />

war diese Verstopfung des Geistes der Freiheit<br />

auf die Dauer nicht möglich. Sie s<strong>in</strong>d deshalb<br />

zum Konzentrationsort der „Friedlichen Revolution“<br />

von 1989 geworden.<br />

Wer heute von der <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> der DDR als<br />

„<strong>Kirche</strong> im Sozialismus“ spricht, muss darum<br />

dazu sagen, wie diese <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> allen ihren Gliederungen<br />

dem „Sozialismus“ ausdauernd zugesetzt<br />

hat. Dass dabei auch erbärmliches und<br />

beklagenswertes Versagen <strong>in</strong> Sachen Wahrheitsliebe<br />

und Zivilcourage dazwischen gespukt hat,<br />

ist wohl wahr. Wir haben es nach 1989 sehr beschämt<br />

zu Kenntnis genommen. Im politischen<br />

Felde e<strong>in</strong>er <strong>Kirche</strong> der <strong>Reformation</strong> gibt es ja<br />

überhaupt nicht allzu viel, auf das wir als Christenheit<br />

wirklich stolz se<strong>in</strong> können. Aber e<strong>in</strong><br />

bisschen können wir uns ohne alle Selbstgerechtigkeit<br />

wohl zugutehalten, dass die „<strong>Kirche</strong> im<br />

Sozialismus“ dazu beigetragen hat, den Boden<br />

für e<strong>in</strong> Leben freier Menschen im Lande der <strong>Reformation</strong><br />

zu bereiten.<br />

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