Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Reformation</strong><br />
<strong>Reformation</strong><br />
PROF. DR. REINER<br />
ANSELM ist Professor<br />
für Ethik an der<br />
Theologischen Fakultät<br />
der Georg-August-<br />
Universität Gött<strong>in</strong>gen.<br />
8<br />
> Protestantismus lange Zeit mit modernen<br />
Staatsauffassungen schwertat. Denn zu dieser<br />
Vorstellung gehört auch, dass man den Landesherrn,<br />
der sich am reformatorischen Glauben<br />
orientiert, als Verkörperung von Gottes weltlichem<br />
Regiment ansieht, der dem Übel wehrt<br />
und die Schwachen schützt. Wie Gott E<strong>in</strong>er<br />
ist, so kann auch hier nur E<strong>in</strong>er herrschen: der<br />
Landesherr im Staat, der Vater <strong>in</strong> der Familie.<br />
Zudem weiß der Landesherr genau, was für die<br />
Untertanen am besten ist. Daraus resultiert nicht<br />
nur e<strong>in</strong> theologisches Votum für die Monarchie,<br />
sondern auch e<strong>in</strong>e Verklärung paternalistischer<br />
Strukturen. Mehr noch: Wo die Obrigkeit als<br />
Verkörperung des von Gott angeordneten Regiments<br />
angesehen wird, kommt es zu e<strong>in</strong>er deutlichen<br />
Abwertung des dritten Standes. Politische<br />
Ordnungen, die auf dem Zusammenschluss oder<br />
dem Votum der Bürger beruhen wie die Demokratie,<br />
mussten <strong>in</strong> dieser Perspektive als unvere<strong>in</strong>bar<br />
mit dem Willen Gottes gedeutet werden.<br />
Die Distanz des Protestantismus zur Demokratie<br />
liegt hier begründet, aber auch se<strong>in</strong>e Nähe zum<br />
Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert: Mit<br />
dem Aufkommen des Nationalstaates wandelt<br />
sich der Protestantismus zur Nationalreligion.<br />
Politische Aus e<strong>in</strong>andersetzungen im Zeitalter<br />
des Imperialismus und Nationalismus wurden<br />
dadurch religiös aufgeladen – e<strong>in</strong>e Entwicklung,<br />
die vor allem den Konflikt mit Frankreich, mit<br />
E<strong>in</strong>schränkungen auch mit England motivierte.<br />
Für den Dreischritt Luther – Bismarck – Hitler,<br />
vom französischen Germanisten Edmond<br />
Vermeil erstmals 1934 formuliert und dann vielfältig<br />
aufgenommen, gab und gibt es also durchaus<br />
Anhaltspunkte. Bestimmte Denkfiguren <strong>in</strong><br />
den reformatorischen, besonders <strong>in</strong> den lutherischen<br />
<strong>Kirche</strong>n ließen e<strong>in</strong>e Mentalität entstehen,<br />
die sie anfällig machten für den Nationalsozialismus.<br />
Im Führerpr<strong>in</strong>zip sah man die Rückkehr<br />
zum Idealbild der sittlich verantwortlichen Obrigkeit,<br />
die die Herrschaft der Masse und damit<br />
den Widerstand gegen die gottgegebene Ordnung<br />
beendet. Hitler wusste sich diese Mentalität<br />
geschickt und skrupellos zunutze zu machen<br />
– mit fatalen Konsequenzen auch für den deutschen<br />
Protestantismus, wie die Folgezeit zeigte.<br />
PRÄGEND: EVANGELISCHE SKEPSIS<br />
GEGENÜBER HIERARCHIEN<br />
Dennoch wäre es verkürzt, den Beitrag des Protestantismus<br />
zur politischen Kultur <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
auf diese dunkle Seite mit ihren fürchterlichen<br />
Folgen zu beschränken. Denn gleichzeitig<br />
trugen die bereits genannten anders gerichteten<br />
Elemente dazu bei, e<strong>in</strong>e moderne, an den Partizipationsrechten<br />
des E<strong>in</strong>zelnen orientierte<br />
Staatsform zu fördern. Dabei bleiben die <strong>Kirche</strong>n<br />
selbst oft <strong>in</strong> ihrer <strong>in</strong>stitutionellen B<strong>in</strong>dung<br />
an den Staat gefangen. Trotzdem befördert die<br />
evangelische Lehre e<strong>in</strong>e nachhaltige Veränderung<br />
des politischen Denkens <strong>in</strong> der Moderne.<br />
Die Skepsis gegenüber Hierarchien und Autoritäten,<br />
die Hochschätzung des Geme<strong>in</strong>deideals<br />
<strong>in</strong> manchen Kreisen des Protestantismus, die<br />
Betonung des allgeme<strong>in</strong>en Priestertums aller<br />
Gläubigen sowie von deren unterschiedsloser<br />
Sündhaftigkeit leisteten wichtige Beiträge für die<br />
Heraufkunft des modernen politischen Bewusstse<strong>in</strong>s.<br />
Die Grundrechte, der Verfassungsgedanke,<br />
die weltanschauliche Neutralität des Staates und<br />
das Pr<strong>in</strong>zip der Rechtsstaatlichkeit lassen sich<br />
auch als – vielfach transformierte – Folgerungen<br />
reformatorischer Überzeugungen lesen: Jedem<br />
Menschen kommt von Gott gleiche Würde zu.<br />
Zwischen geistlicher und weltlicher <strong>Macht</strong> ist<br />
strikt zu unterscheiden. Der Mensch ist von sich<br />
aus nicht <strong>in</strong> der Lage, das Gute letztgültig zu erkennen.<br />
– Es bedurfte erst des Zusammenbruchs<br />
von 1945, damit <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> diese Elemente<br />
größere Wirkkraft entfalteten. Erst die Pervertierbarkeit<br />
des Obrigkeitsideals machte den Weg<br />
frei für e<strong>in</strong>e nachdrückliche Unterstützung des<br />
freiheitlichen, an Grund- und Menschenrechte<br />
gebundenen Staates der Bundesrepublik.<br />
ALLE SOLLEN MIT INS BOOT<br />
Bekanntlich dauerte es dennoch bis <strong>in</strong> die 1980er<br />
Jahre, dass die <strong>Evangelische</strong> <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
<strong>in</strong> ihrer Demokratiedenkschrift die Demokratie<br />
als Staatsform ausdrücklich befürwortete.<br />
Anders als es manche Kritiker unterstellten, liegt<br />
der Grund dafür aber nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er heimlichen<br />
Sympathie mit nationalsozialistischen oder obrigkeitsstaatlichen<br />
Vorstellungen. Dass e<strong>in</strong> Neues<br />
werden müsse, dass es ke<strong>in</strong>e Kont<strong>in</strong>uität zu den<br />
politischen Ideen vor 1945 geben könne, stand<br />
allen Beteiligten <strong>in</strong> der Nachkriegszeit deutlich<br />
vor Augen. Allerd<strong>in</strong>gs gab es e<strong>in</strong>e gewisse Skepsis,<br />
<strong>in</strong> wieweit diese Auffassung tatsächlich von<br />
der Mehrheit der Bevölkerung geteilt werde. Im<br />
S<strong>in</strong>ne der Verantwortungsübernahme für e<strong>in</strong>en<br />
Neuaufbruch fremdelten daher manche <strong>in</strong> Theologie<br />
und <strong>Kirche</strong>nleitung mit dem Gedanken e<strong>in</strong>er<br />
auf der Souveränität des Bürgers gegründeten<br />
Staatsordnung. Das kann aber nicht darüber<br />
h<strong>in</strong>wegtäuschen, dass der Protestantismus auf<br />
der Grundlage se<strong>in</strong>er geschilderten Leitüberzeugungen<br />
maßgeblichen Anteil an der Mentalitätsveränderung<br />
hatte, auf der e<strong>in</strong> stabiler,<br />
demokratischer Staat <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> entsteht<br />
– zunächst im Westen, dann immer mehr auch<br />
im Osten: Die strikte Säkularisierung der <strong>Politik</strong>,<br />
die Erkenntnis <strong>in</strong> die Vorläufigkeit menschlicher<br />
FOTOS: DDP; LAIF<br />
GRÜNDUNGSFEST DER NORDKIRCHE<br />
FOTO: BASTI ARLT<br />
TRAUERFEIER<br />
Bundespräsident<br />
JOACHIM GAUCK und<br />
EKD-Ratsvorsitzender<br />
NIKOLAUS SCHNEIDER<br />
im Dom <strong>in</strong> Ratzeburg.<br />
Unten: Trauerfeier für<br />
drei <strong>in</strong> Afghanistan<br />
gefallene Soldaten im<br />
Juni 2011 <strong>in</strong> der evangelischen<br />
Epiphanias-<br />
<strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Hannover.<br />
Erkenntnis und die daraus resultierende Relativierung<br />
politischer Anschauungen, die Kompromisse<br />
ermöglicht, sowie der Gedanke der Gleichheit<br />
aller Menschen s<strong>in</strong>d es, die sich im Raum der<br />
evangelischen <strong>Kirche</strong>, auf Synoden und <strong>Kirche</strong>ntagen,<br />
aber auch <strong>in</strong> den Kreisen der Jugendarbeit<br />
und im diakonischen Engagement verbreiten.<br />
Dies geschieht zunächst zaghaft, seit den späten<br />
1950er Jahren mit wachsendem Nachdruck und<br />
dann, seit den 1970er Jahren mit großer Geschw<strong>in</strong>digkeit.<br />
In ihrer Partizipationskultur, die<br />
sich nicht zuletzt dem Mangel an Hauptamtlichen<br />
<strong>in</strong> der Nachkriegszeit verdankt, werden<br />
die evangelischen <strong>Kirche</strong>n zu e<strong>in</strong>er Schule demokratischer<br />
Kultur. Das Bewusstse<strong>in</strong>, selbst entscheiden<br />
und selbst Verantwortung übernehmen<br />
zu können, sei es – um nur zwei große Kontroversen<br />
dieser Zeit zu nennen – im Blick auf die Wiederaufrüstungs-<br />
und die Nachrüstungsdebatte<br />
oder bei der Elternschaft und Familienplanung<br />
– fördert und prägt e<strong>in</strong>e demokratische Kultur,<br />
längst bevor sich die EKD offiziell zur Demokratie<br />
als der dem Christentum nahestehendsten<br />
Staatsform bekennt.<br />
Bis <strong>in</strong> die 1990er Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> – und gerade<br />
auch bei der friedlichen Revolution beim Zusammenbruch<br />
der DDR – bedeutete Engagement für<br />
die Demokratie das Engagement für die Freiheit<br />
des E<strong>in</strong>zelnen gegenüber autoritärer Bevormundung.<br />
Heute liegen die Herausforderungen auf<br />
e<strong>in</strong>em etwas anderen Gebiet: Protestantisches<br />
Engagement ist durch das Streben nach umfassender<br />
Gleichberechtigung und gesellschaftlicher<br />
Inklusion gekennzeichnet. Differenzen,<br />
gar Hierarchien oder Ausschlüsse werden mit<br />
äußerster Skepsis betrachtet. Im Bemühen aber,<br />
möglichst ke<strong>in</strong>en auszugrenzen und allen ihren<br />
Platz zu ermöglichen, kommt es zu e<strong>in</strong>er so ungekannten<br />
„Fundamentalliberalisierung“ (Jürgen<br />
Habermas), <strong>in</strong> der nicht mehr Traditionen,<br />
Überzeugungen und vorgegebene Werturteile<br />
als Herausforderung und als Bedrohung der eigenen<br />
Freiheit wahrgenommen werden, sondern<br />
das Fehlen von Orientierungsmaßstäben, die<br />
unendlichen Möglichkeiten, aber auch die neuen<br />
Zwänge, sich zu entscheiden. E<strong>in</strong>e evangelische<br />
Ethik des Politischen wird die hier drohende<br />
neue Paradoxie <strong>in</strong> den Blick zu nehmen haben:<br />
Aus dem Bemühen umfassender Inklusion entsteht<br />
e<strong>in</strong> Kursverlust der Freiheit, der politisches<br />
Engagement überflüssig ersche<strong>in</strong>en und zugleich<br />
die Sehnsucht nach Orientierung wachsen lässt.<br />
Das dar<strong>in</strong> liegende Bedürfnis gilt es aufzunehmen,<br />
ohne die gesellschaftliche Pluralisierung<br />
zurückdrehen zu wollen. E<strong>in</strong> Spagat, der <strong>in</strong> den<br />
nächsten Jahren viel Aufmerksamkeit auf sich<br />
ziehen dürfte.<br />
9