Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
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<strong>Macht</strong><br />
MACHT<br />
ENTSCHLOSSEN<br />
Dietrich Bonhoeffer<br />
1915 als Neunjähriger,<br />
1923 als Student, 1932<br />
am Genfer See, 1936<br />
<strong>in</strong> Wiesendangen/<br />
Schweiz und 1944 <strong>in</strong><br />
Berl<strong>in</strong> (v.l.n.r.). Im April<br />
1945 wurde er mit 41<br />
Jahren im KZ Flossenbürg<br />
h<strong>in</strong>gerichtet.<br />
PROF. DR. DR.<br />
WOLFANG HUBER,<br />
Bischof i. R. der<br />
<strong>Evangelische</strong>n <strong>Kirche</strong><br />
Berl<strong>in</strong>-Brandenburgschlesische<br />
Oberlausitz,<br />
war 2003 – 2009<br />
Vorsitzender des Rates<br />
der <strong>Evangelische</strong>n<br />
<strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>.<br />
> werden. Sie war aber auch nicht zureichend<br />
charakterisiert, wenn man sie lediglich machtpolitisch<br />
als die Fähigkeit verstand, den eigenen<br />
Willen gegen Widerstreben durchzusetzen, wie<br />
der berühmte Soziologe Max Weber das formuliert<br />
hatte. 4 Vielmehr musste man <strong>Macht</strong> elementarer<br />
als die Fähigkeit verstehen,<br />
geme<strong>in</strong>sam mit anderen zu handeln<br />
und die Wirklichkeit zu gestalten. 5<br />
Recht und Frieden konnten – diese<br />
Erfahrung musste jeder machen,<br />
der <strong>in</strong> der Weimarer Zeit aufwuchs<br />
– nicht ohne <strong>Macht</strong> gesichert werden.<br />
Umso gefährlicher freilich war<br />
es, wenn diese <strong>Macht</strong> pervertiert, an<br />
falsche Ziele gebunden und unter Manipulation<br />
der Massen e<strong>in</strong>gesetzt wurde.<br />
Das geschah im Jahr 1933. Für den Freundeskreis<br />
der Familien im Berl<strong>in</strong>er Grunewald, zu<br />
dem Dietrich Bonhoeffer gehörte, konnte ke<strong>in</strong><br />
Zweifel daran se<strong>in</strong>, wie man auf diese Wende <strong>in</strong><br />
der deutschen Geschichte zu reagieren hatte. Der<br />
<strong>in</strong>nere Widerstand begann sofort. Bei ke<strong>in</strong>em<br />
war das deutlicher zu sehen als bei Dietrich Bonhoeffer.<br />
Bei ihm hatte das freilich besondere Gründe.<br />
Er war nicht nur durch die Prägung <strong>in</strong> Familie<br />
und Freundeskreis <strong>in</strong>nerlich gefestigt. Er hatte<br />
„<br />
DER WENDE-<br />
PUNKT: DIE<br />
BEGEGNUNG<br />
MIT DER<br />
BERGPREDIGT.<br />
“<br />
darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>en sehr eigenen Weg e<strong>in</strong>geschlagen.<br />
Er hatte e<strong>in</strong>en Weg <strong>in</strong> die <strong>Kirche</strong> gefunden<br />
und war Theologe geworden.<br />
H<strong>in</strong>zu kam e<strong>in</strong> Erlebnis, das er im Rückblick<br />
auf das Jahr 1932 datierte: die Begegnung mit der<br />
Bergpredigt Jesu. Oft habe er die Bibel gelesen,<br />
so bekennt er später, aber nun habe<br />
sie ihm die Augen geöffnet. Es habe<br />
sich ihm gezeigt, dass er zwar Theologe<br />
gewesen, aber noch nicht Christ<br />
geworden sei. Se<strong>in</strong>e Zielstrebigkeit<br />
ersche<strong>in</strong>t ihm im Rückblick wie e<strong>in</strong><br />
„wahns<strong>in</strong>niger Ehrgeiz“; nun erst erkennt<br />
er es als se<strong>in</strong>e Aufgabe, sich <strong>in</strong><br />
se<strong>in</strong>em Leben ganz an Jesus Christus<br />
auszurichten und se<strong>in</strong>en Ort <strong>in</strong> der wirklichen,<br />
der sichtbaren <strong>Kirche</strong> zu f<strong>in</strong>den. 6<br />
Welch e<strong>in</strong>e Fügung, dass Bonhoeffer diese<br />
Klarheit gewann, bevor die nationalsozialistische<br />
Gewaltherrschaft im Jahr 1933 ihren Anfang<br />
nahm. Denn ohne Zweifel war es dieser doppelte<br />
H<strong>in</strong>tergrund – die Urteilsfähigkeit, die er aus<br />
Familie und Freundeskreis mitbrachte, und die<br />
Klarheit se<strong>in</strong>es Christusbekenntnisses – , der ihn<br />
dazu befähigte, gleich im Jahr 1933 so unzweideutig<br />
zu reden, wie er es tat.<br />
Für den 1. Februar 1933 hatte Bonhoeffer e<strong>in</strong>en<br />
Rundfunkvortrag übernommen. Es sollte<br />
FOTOS: BPK/ROTRAUT FORBERG (3); DDP/DAPD; EPD<br />
der e<strong>in</strong>zige se<strong>in</strong>es Lebens bleiben. „Wandlungen<br />
des Führerbegriffs <strong>in</strong> der jungen Generation“<br />
hieß das Thema. Auf die deutsche Wirklichkeit,<br />
wie sie sich seit zwei Tagen darstellte, passte<br />
dieses Thema nur zu gut. Und es klang wie e<strong>in</strong>e<br />
e<strong>in</strong>same Stimme der Vernunft, wenn Bonhoeffer<br />
gegen Ende se<strong>in</strong>es Vortrags sagte: Lässt der Führer<br />
„sich vom Geführten dazu h<strong>in</strong>reißen, dessen<br />
Idol darstellen zu wollen – und der Geführte<br />
wird das immer von ihm erhoffen – , dann gleitet<br />
das Bild des Führers über <strong>in</strong> das des Verführers,<br />
„<br />
DER ECHTE<br />
FÜHRER MUSS<br />
JEDERZEIT<br />
ENTTÄUSCHEN<br />
KÖNNEN.<br />
“<br />
dann handelt er unsachlich am Geführten<br />
wie an sich selbst. Der echte<br />
Führer muss jederzeit enttäuschen<br />
können. Das gerade gehört zu se<strong>in</strong>er<br />
Verantwortlichkeit und Sachlichkeit.“<br />
7<br />
Übertragen wurden diese Sätze<br />
freilich nicht mehr. Das Mikrofon<br />
war zuvor schon abgeschaltet worden.<br />
8 Se<strong>in</strong> Blick auf den Umgang mit politischer<br />
<strong>Macht</strong> war aus diesem Text schon vergleichbar<br />
klar zu erkennen wie – nur wenige Monate später<br />
– aus dem Vortrag, den Bonhoeffer über „Die<br />
<strong>Kirche</strong> vor der Judenfrage“ hielt. 9 Auch an ihm<br />
kann man sehen: Es g<strong>in</strong>g ihm nicht darum, die<br />
Notwendigkeit politischer <strong>Macht</strong> zu leugnen.<br />
Sondern es g<strong>in</strong>g ihm um deren richtigen Gebrauch.<br />
Er war aber klar und unzweideutig daran<br />
zu messen, ob Recht und Frieden gewahrt<br />
und gefördert wurden. Den Staat an diesen Auftrag<br />
zu er<strong>in</strong>nern, sah Bonhoeffer deshalb als die<br />
entscheidende politische Aufgabe der <strong>Kirche</strong><br />
an. Wo immer der Staat dieser Aufgabe untreu<br />
wurde und Menschen dem rechts- und friedenswidrigen<br />
Handeln des Staates zum Opfer fielen,<br />
ergab sich daraus als Aufgabe der <strong>Kirche</strong>, die Opfer<br />
unter dem Rad zu verb<strong>in</strong>den. Doch wenn der<br />
Staat beharrlich gegen se<strong>in</strong>e Aufgabe verstieß, für<br />
Recht und Frieden zu sorgen, dann<br />
genügte es, so erklärte Bonhoeffer<br />
unmissverständlich, nicht, die Opfer<br />
unter dem Rad zu verb<strong>in</strong>den,<br />
man musste vielmehr „dem Rad<br />
selbst <strong>in</strong> die Speichen fallen“. Denn<br />
dann, so sagte er, war e<strong>in</strong> „unmittelbares<br />
politisches Handeln“ der <strong>Kirche</strong><br />
gefordert.<br />
Wor<strong>in</strong> dieses politische Handeln bestehen<br />
konnte, erläuterte Bonhoeffer <strong>in</strong> dem Vortrag von<br />
1933 nicht; aber er illustrierte es durch se<strong>in</strong> eigenes<br />
Wirken. Dazu gehörte der Aufruf zu e<strong>in</strong>em<br />
Konzil des Friedens im Jahr 1934 mit dem Appell<br />
an die <strong>Kirche</strong>n, „ihren Söhnen die Waffen aus der<br />
Hand zu nehmen“ 10 – e<strong>in</strong> Schritt zu e<strong>in</strong>em gerade<br />
<strong>in</strong> der damaligen Zeit wohl erwogenen Pazi<br />
><br />
5<br />
Vgl. Hannah Arendt, <strong>Macht</strong><br />
und Gewalt, 8. Aufl. München<br />
1993, 45.<br />
6<br />
Brief an Elisabeth Z<strong>in</strong>n<br />
vom 27.01.1936, <strong>in</strong>: Dietrich<br />
Bonhoeffer, Illegale Theologenausbildung<br />
F<strong>in</strong>kenwalde<br />
1935-1937 (DBW 14), Gütersloh<br />
1996, 112ff.<br />
7<br />
Der Führer und der<br />
E<strong>in</strong>zelne <strong>in</strong> der jungen<br />
Generation, <strong>in</strong>: Dietrich<br />
Bonhoeffer, Berl<strong>in</strong> 1932-1933<br />
(DBW12), Gütersloh 1997,<br />
242-260 (257f.).<br />
8<br />
Rundschreiben an Kollegen<br />
und Freunde vom<br />
02.02.1933, <strong>in</strong>: Bonhoeffer<br />
(DBW 12) 1997: 47; vgl. Bethge<br />
2005: 308.<br />
9<br />
Die <strong>Kirche</strong> vor der Judenfrage,<br />
<strong>in</strong>: Bonhoeffer (DBW 12)<br />
1997: 349ff.<br />
10<br />
<strong>Kirche</strong> und Völkerwelt, <strong>in</strong>:<br />
Bonhoeffer (DBW 13) 1994:<br />
298ff. (301).<br />
42<br />
43