Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
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POLITIK POLITIK<br />
CORNELIA COENEN-<br />
MARX ist Oberkirchenrät<strong>in</strong>,<br />
Referent<strong>in</strong> für<br />
Sozial- und Gesellschaftspolitik<br />
sowie<br />
für die Verb<strong>in</strong>dung von<br />
<strong>Kirche</strong> und Diakonie im<br />
<strong>Kirche</strong>namt der EKD.<br />
Z<br />
urzeit erleben wir verschiedene Krisen,<br />
die sich gegenseitig bed<strong>in</strong>gen und zuspitzen<br />
und nur sche<strong>in</strong>bar e<strong>in</strong>ander widersprechen.<br />
Für die meisten Menschen steht derzeit die<br />
F<strong>in</strong>anzmarktkrise im Vordergrund. Die fehlende<br />
politische Regulierung und Kontrolle der<br />
F<strong>in</strong>anzmärkte und e<strong>in</strong>e zu expansive Geldpolitik<br />
drohen Demokratie, Wirtschaft und Beschäftigung<br />
<strong>in</strong> Europa zu destabilisieren. Ob an ihrem<br />
Beg<strong>in</strong>n die Überschuldung von Staaten stand,<br />
oder ob die F<strong>in</strong>anzmarktkrise umgekehrt erst<br />
dazu führt, dass Staaten handlungsunfähig und<br />
Gesellschaften <strong>in</strong> Geiselhaft der F<strong>in</strong>anzmärkte<br />
genommen werden können, ist nach wie vor strittig.<br />
In jedem Fall erleben wir im Kontext der Krise<br />
<strong>in</strong> den südlichen Staaten Europas e<strong>in</strong>e erschreckend<br />
hohe Arbeitslosigkeit, <strong>in</strong>sbesondere der<br />
jungen Generation. Und auch im Norden breiten<br />
sich unter dem Druck der „Märkte“ prekäre Beschäftigung<br />
und <strong>in</strong>formelle Tätigkeit aus, und die<br />
Ungleichheiten zwischen Arm und Reich spitzen<br />
sich zu. Die Abhängigkeit der Sozialstaaten von<br />
der Erwerbsarbeit hat nicht nur <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
zu Reformprozessen der sozialen Sicherungssysteme<br />
geführt, die immer mehr Menschen von<br />
e<strong>in</strong>er gerechten Teilhabe an Bildung, Kultur und<br />
sozialer Sicherung ausschließen.<br />
Fast dah<strong>in</strong>ter zurückgetreten ist die ökologische<br />
Krise, die sich <strong>in</strong> vermehrtem Raubbau<br />
und e<strong>in</strong>er Überschreitung der ökologischen<br />
Tragfähigkeit der Erde, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sich beschleunigenden<br />
Klimawandel, e<strong>in</strong>er zunehmenden<br />
Knappheit nicht erneuerbarer Ressourcen, wachsenden<br />
Konflikten um Rohstoffe und e<strong>in</strong>em fortschreitenden<br />
Rückgang der Biodiversität zuspitzt<br />
– und gleichermaßen die Ernährungskrise, die<br />
durch die weltweite Spekulation mit Land und<br />
Nahrung noch verstärkt wird. Unsere geme<strong>in</strong>same<br />
Zukunft ist gefährdet.<br />
„Unsere geme<strong>in</strong>same Zukunft“ – das war der<br />
programmatische Titel des Berichts der norwegischen<br />
M<strong>in</strong>isterpräsident<strong>in</strong> Bro Harlem Brundtland<br />
von 1987, der die Formel von der „nachhaltigen<br />
Entwicklung“ geprägt hat. Letztlich geht es<br />
darum, die Bedürfnisse der Gegenwart zu befriedigen,<br />
ohne zu riskieren, dass künftige Generationen<br />
ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen<br />
können. Die <strong>Kirche</strong>n gehörten zu den ersten<br />
Institutionen, die den Begriff der nachhaltigen<br />
WAS<br />
MACHT<br />
UNS<br />
WIRKLICH<br />
REICH?<br />
Ungebremstes Wirtschaftswachstum<br />
zerstört Natur und<br />
Mensch. Unter dem Stichwort<br />
„Transformation“ diskutiert<br />
man auch <strong>in</strong> der <strong>Kirche</strong>, was<br />
stattdessen wachsen soll<br />
VON CORNELIA COENEN-MARX<br />
FOTOS: XXXXXXXXXX<br />
Entwicklung nutzen, um die notwendigen gesellschaftlichen<br />
Entwicklungsprozesse zu beschreiben.<br />
Schon seit Ende der 1970er Jahre hat das Programm<br />
des Weltkirchenrats für „Justice, Peace<br />
and Integrity of Creation“ (JPIC) friedensethische<br />
und ökologische Fragestellungen konsequent mit<br />
theologischen Debatten der „Faith and Order“-<br />
Kommission verknüpft und damit <strong>in</strong> vielen <strong>Kirche</strong>n<br />
breite Wirkung entfalten können. Der Konziliare<br />
Prozess der deutschen <strong>Kirche</strong>n hat diesen<br />
Ansatz <strong>in</strong> den 1980er Jahren aufgenommen und<br />
dabei auch soziale und gesellschaftspolitische<br />
Fragestellungen wie Armut und Lebensschutz<br />
thematisiert. Angesichts der sich zuspitzenden<br />
Krisen werden diese Fragen heute<br />
unter dem Begriff „Transformation“<br />
wieder aufgenommen. Damit<br />
geht der Gedanke e<strong>in</strong>her, nicht nur<br />
über e<strong>in</strong>en neuen, ökologisch gerahmten<br />
Wachstumsbegriff nachzudenken,<br />
sondern auch über e<strong>in</strong>e<br />
neue „Wohlstandsvision“. Denn<br />
„wenn die gesamte Lebenswirklichkeit<br />
dem Gew<strong>in</strong>nstreben unterworfen<br />
wird, verkehrt sich der ökonomische<br />
Nutzen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Verlust an<br />
Lebenswert“. Der gesellschaftliche<br />
Wohlstand s<strong>in</strong>kt, das Geme<strong>in</strong>wohl<br />
zerfällt, die Umweltzerstörung<br />
nimmt zu. „E<strong>in</strong> ‚Weiter so‘ wäre<br />
fatal“, schrieb der damalige Ratsvorsitzende<br />
Wolfgang Huber 2009<br />
<strong>in</strong> der Stellungnahme des Rates zur F<strong>in</strong>anzmarktkrise<br />
(„Wie e<strong>in</strong> Riss <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er hohen Mauer“).<br />
Die Frage, welches Wachstum wir brauchen,<br />
ist wohl die entscheidende Zukunftsfrage der<br />
nächsten Jahre. Haben die <strong>Kirche</strong>n zu der anstehenden<br />
Debatte etwas beizutragen? Um diese<br />
Frage geht es <strong>in</strong> dem folgenden Beitrag des<br />
bayerischen Landesbischofs He<strong>in</strong>rich Bedford-<br />
Strohm und <strong>in</strong> dem Interview mit Fritz Erich<br />
Anhelm. Die beiden ordnen die Fragen von<br />
Transformation und Nachhaltigkeit <strong>in</strong> den Kontext<br />
aktueller Forschungen und Ereignisse e<strong>in</strong><br />
und nehmen Stellung zur besonderen Verantwortung<br />
der <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> diesem Zusammenhang.<br />
Nach Auffassung beider geht es bei den genannten<br />
Fragen um die zentralen Zusammenhänge,<br />
an denen sich das Verhältnis von <strong>Kirche</strong> und <strong>Politik</strong><br />
heute wie im Brennspiegel zeigt.<br />
THEM A<br />
„TRANSFORMATION“<br />
AUCH IN DEN<br />
NACHFOLGENDEN<br />
ARTIKELN:<br />
HEINRICH BEDFORD-<br />
STROHM: Ich möchte<br />
woanders h<strong>in</strong><br />
S. 94<br />
„Verdrängen gilt nicht<br />
mehr“ Interview mit<br />
FRITZ ERICH ANHELM,<br />
S. 97<br />
FRIEDEMANN<br />
MAGAARD: Orangensaft?<br />
Nicht regional!<br />
S. 100<br />
FOTO: PLAINPICTURE<br />
92<br />
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