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Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland

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POLITIK POLITIK<br />

ABGESEGNET?<br />

Auf Postkarten<br />

wurde die E<strong>in</strong>igkeit<br />

von <strong>Kirche</strong> und Staat<br />

demonstriert: E<strong>in</strong> Pfarrer<br />

bei der Segnung von<br />

Feldsoldaten (l.); Banner<br />

„Mit Gott für König und<br />

Vaterland“ (M.); Das<br />

gezückte Gewehr unter<br />

den Worten „De<strong>in</strong> Wille<br />

geschehe“ (r.)<br />

MIT GOTT IN DEN KRIEG<br />

Als 1914 die ersten deutschen Soldaten <strong>in</strong> die Schlacht zogen, standen die <strong>Kirche</strong>n<br />

h<strong>in</strong>ter ihnen. Aber nicht geschlossen VON SEBASTIAN KRANICH<br />

D<br />

ie evangelischen <strong>Kirche</strong>n im Deutschen<br />

Reich haben von jeher e<strong>in</strong>e nationale Haltung<br />

e<strong>in</strong>genommen. Sie waren überzeugt,<br />

ihrem christlichen Charakter nichts zu vergeben,<br />

wenn sie dem Kaiser gaben, was des Kaisers<br />

war.“ So schrieb der Generalsuper<strong>in</strong>tendent<br />

der <strong>Kirche</strong>nprov<strong>in</strong>z Schlesien, Mart<strong>in</strong> Schian,<br />

im Rückblick auf den vergangenen Weltkrieg.<br />

Damit lag er richtig: Vom Topos der „teutschen<br />

Nation“ <strong>in</strong> der Wittenberger <strong>Reformation</strong> über<br />

den Konnex von Pietismus und Patriotismus bis<br />

h<strong>in</strong> zu den Befreiungskriegen war der deutsche<br />

Protestantismus mit dem Gedanken der Nation<br />

verbunden. Recht und Pflicht zum Krieg für das<br />

Vaterland standen 1914 weith<strong>in</strong> außer Frage. Die<br />

altpreußische Landeskirche etwa ergänzte vor<br />

Kriegsbeg<strong>in</strong>n ihre Wehrmachtsfürbitte lediglich<br />

um „Luftfahrzeuge“. Moderner Pazifismus und<br />

Ökumene blieben als Novitäten e<strong>in</strong>e Sache von<br />

M<strong>in</strong>derheiten.<br />

Im Krieg leisteten die Volkskirchen – wie<br />

auch <strong>in</strong> Frankreich oder England – mit großer<br />

Selbstverständlichkeit Unterstützung an Front<br />

und „Heimatfront“: Gottesdienste bei Siegen und<br />

Niederlagen, Kriegsbetstunden und vielfältige<br />

sozialdiakonische Hilfen auf Geme<strong>in</strong>de ebene<br />

waren dabei die e<strong>in</strong>e Seite der Medaille, das<br />

enge Zusammenspiel von <strong>Kirche</strong>n- und Reichskriegsbehörden<br />

die andere. So ließ der <strong>Evangelische</strong><br />

Oberkirchenrat <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> zu Kriegsbeg<strong>in</strong>n<br />

e<strong>in</strong>en – von ihm selbst entworfenen – kaiserlichen<br />

Erlass von den Kanzeln verlesen, <strong>in</strong> dem<br />

es hieß: „Re<strong>in</strong>en Gewissens über den Ursprung<br />

des Krieges, b<strong>in</strong> ich der Gerechtigkeit unserer Sache<br />

vor Gott gewiß“. 1917 verwies er angesichts<br />

wachsender Resignation auf die Passion Jesu als<br />

FOTOS: ANSICHTKARTENPOOL; EPD (2)<br />

Vorbild für das Durchstehen von Leiden und<br />

machte schließlich die Werbung für Kriegsanleihen<br />

zum pfarramtlichen Auftrag.<br />

Wirkmächtig bis heute s<strong>in</strong>d die Bilder der<br />

Kriegsbegeisterung vom August 1914. Karl Barth<br />

me<strong>in</strong>te damals, <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> seien „Vaterlandsliebe,<br />

Kriegslust und christlicher Glaube<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> hoffnungsloses Durche<strong>in</strong>ander“ geraten<br />

und es herrsche e<strong>in</strong>e uniforme „Kriegstheologie“.<br />

Beides lässt sich so nicht halten. Die Kriegsbegeisterung<br />

war weder flächendeckend noch von<br />

der ganzen Bevölkerung getragen. Besonders<br />

flammte sie nach den ersten Siegen auf. Der Leipziger<br />

Pfarrer Georg Liebster schrieb daraufh<strong>in</strong>:<br />

„Jedes Verständnis für Jesus, für Demut, Fe<strong>in</strong>desliebe<br />

ist im religiösen Kriegsfuror erloschen.“<br />

Die Beschwörung des „Geistes von 1914“ <strong>in</strong> der<br />

Folgezeit war dann e<strong>in</strong> Propagandamittel der<br />

Heeresführung gegen nachlassenden Enthusiasmus.<br />

Auch Ernst Troeltsch dichtete zunächst mit<br />

am Mythos „jener unbeschreiblichen E<strong>in</strong>heit des<br />

Opfers, der Brüderlichkeit, des Glaubens und der<br />

Siegesgewißheit“.<br />

Der Hauptstrom kirchlicher Verkündigung<br />

und Verlautbarung bewegte sich <strong>in</strong> den Bahnen<br />

e<strong>in</strong>er nationalkonservativen Geschichtstheologie.<br />

Nach Me<strong>in</strong>ung der führenden deutschen<br />

Intellektuellen verteidigte sich „e<strong>in</strong> Kulturvolk,<br />

dem das Vermächtnis e<strong>in</strong>es Goethe, e<strong>in</strong>es<br />

Beethoven, e<strong>in</strong>es Kant ebenso heilig ist wie se<strong>in</strong><br />

Herd und se<strong>in</strong>e Scholle“, wie es im „Aufruf an die<br />

Kulturwelt“ hieß.<br />

Jedoch: E<strong>in</strong>e „Vere<strong>in</strong>igung von Potsdam und<br />

Bethlehem“ (Friedrich Naumann) konnte aus<br />

politischen wie theologischen Gründen nicht<br />

dauerhaft gel<strong>in</strong>gen. Für Liebster war das Ge- ><br />

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