Reformation. Macht. Politik - Evangelische Kirche in Deutschland
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POLITIK POLITIK<br />
E<strong>in</strong>e neue Vision<br />
macht sich breit:<br />
Von e<strong>in</strong>em Wohlstand,<br />
der andere<br />
nicht arm macht.<br />
Und bei dem<br />
es um Glück geht.<br />
Wer geht voran?<br />
VON HEINRICH<br />
BEDFORD-STROHM<br />
W<br />
arum beschäftigen sich die <strong>Kirche</strong>n<br />
mit ökonomischen Fragen? Warum<br />
mischen sie sich <strong>in</strong> die von großer<br />
fachlicher Komplexität gekennzeichneten Diskussionen<br />
um Energiewende, Umgang mit dem<br />
Klimawandel oder ökologische Umstellung von<br />
Produktionsvorgängen e<strong>in</strong>? Die Antwort ist<br />
ziemlich e<strong>in</strong>fach und wenig überraschend: weil<br />
Christen die Welt als Schöpfung Gottes verstehen<br />
und sich aufgrund ihrer Gottesbeziehung<br />
für Gottes Schöpfung mitverantwortlich fühlen.<br />
Wer die außermenschliche Natur als Schöpfung<br />
Gottes versteht, der kann sie nicht nur als<br />
Sache behandeln. Und wer jeden Menschen als<br />
Geschöpf Gottes sieht und ihm deswegen gleiche<br />
Rechte zubilligt, der sucht nach e<strong>in</strong>em fairen Ausgleich<br />
der eigenen Lebensmöglichkeiten mit den<br />
Lebensmöglichkeiten zukünftiger Generationen.<br />
Jeder Mensch sieht sich und die eigene Zeit<br />
als zentral. Das ist normal, weil die eigene Erfahrung<br />
<strong>in</strong> der Zeit e<strong>in</strong>fach tiefer geht als die Lektüre<br />
von Geschichten aus vergangenen Zeiten oder<br />
von wissenschaftlichen Abhandlungen über Entwicklungen<br />
<strong>in</strong> der Zukunft. Und trotzdem geht<br />
der Blick des Glaubens über die eigene Existenz<br />
<strong>in</strong> der je eigenen Zeit h<strong>in</strong>aus. Der amerikanische<br />
Theologe Larry Rasmussen hat für diesen Blick<br />
<strong>in</strong> die Zeit die Metapher e<strong>in</strong>es zehnbändigen<br />
Werkes mit jeweils 500 Seiten aufgegriffen, <strong>in</strong> das<br />
die Geschichte des Kosmos e<strong>in</strong>geschrieben ist:<br />
Selbst wenn wir die ersten zehn Milliarden Jahre<br />
der Entwicklung des Kosmos überspr<strong>in</strong>gen und<br />
den Beg<strong>in</strong>n des Werkes bei den letzten fünf Milliarden<br />
Jahren ansetzen, dann erzählt jede Seite<br />
die Geschichte von 1 Million Jahren. Zellulares<br />
Leben wird erstmals im Band 8 erwähnt. Der<br />
größte Teil dieses Bandes handelt von Pflanzen<br />
und später von Amphibien. Warmblüter tauchen<br />
auf S. 455 dieses Bandes auf. Erst auf S. 499 des<br />
letzten Bandes, also auf der vorletzten Seite des<br />
gesamten Werkes, ersche<strong>in</strong>t der Mensch. Die<br />
letzten beiden Worte auf der allerletzten Seite<br />
erzählen schließlich die 6000 Jahre dauernde<br />
Geschichte menschlicher Zivilisation bis heute.<br />
Das Erstaunliche ist die letzte Silbe des letzten<br />
Wortes des letzten Bandes: Hier haben die Menschen,<br />
gegenüber dem E<strong>in</strong>gebettetse<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Natur<br />
von Anbeg<strong>in</strong>n an, den Spieß umgedreht und<br />
e<strong>in</strong>en Prozess begonnen, der zur fortgesetzten<br />
Beschädigung oder Zerstörung natürlichen Lebens<br />
führt.<br />
Verschiedene wissenschaftliche Expertisen<br />
haben <strong>in</strong> den letzten Jahren die Dr<strong>in</strong>glichkeit<br />
der Wahrnehmung dieser fortgesetzten<br />
Zerstörung unterstrichen, vom neuen Bericht<br />
des Club of Rome (2052. Der neue Bericht an<br />
den Club of Rome: E<strong>in</strong>e globale Prognose für<br />
die nächsten 40 Jahre) über das Gutachten des<br />
FOTOS: EICHHÖFER/OSTKREUZ; PLAINPICTURE<br />
Wissen schaftlichen Beirats der Bundesregierung<br />
Globale Umweltveränderungen (WBGU) von<br />
2011 mit dem Titel „Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag<br />
für e<strong>in</strong>e Große Transformation“<br />
bis h<strong>in</strong> zur entsprechenden Studie des World<br />
Wild Life Funds (Liv<strong>in</strong>g Planet Report) s<strong>in</strong>d sie<br />
übere<strong>in</strong>stimmend zu dem Ergebnis gekommen,<br />
dass es e<strong>in</strong>er grundlegenden ökologischen Umorientierung<br />
der Wirtschaft bedarf, wenn wir<br />
auch <strong>in</strong> Zukunft gut leben wollen.<br />
Neben notwendigen Veränderungen <strong>in</strong> <strong>Politik</strong><br />
und Wirtschaft stehen wir auch als E<strong>in</strong>zelne<br />
vor der großen Aufgabe, neu zu def<strong>in</strong>ieren, was<br />
wir unter „Wohlstand“ verstehen wollen. Ist es<br />
Wohlstand, wenn wir uns die große Fernreise<br />
leisten können? Ist es Wohlstand, wenn wir neue<br />
Möbel kaufen, obwohl die alten eigentlich noch<br />
gut s<strong>in</strong>d oder neue Kleider kaufen, obwohl der<br />
Kleiderschrank schon voll ist? Oder ist es viel<br />
mehr Wohlstand, wenn wir wieder Zeit haben<br />
füre<strong>in</strong>ander, wenn wir am Wochenende nicht arbeiten<br />
müssen, sondern mit den Freunden e<strong>in</strong>en<br />
Ausflug machen können? Das alles s<strong>in</strong>d offene<br />
Fragen, die jeder und jede, je nach Vorlieben,<br />
vielleicht auch unterschiedlich<br />
beantworten wird. Und<br />
wir werden dabei an<br />
allen Ecken und<br />
Enden auf<br />
Spannungen und Widersprüche im eigenen Leben<br />
stoßen, die nur schwer aufzulösen s<strong>in</strong>d. Ist<br />
es richtig, <strong>in</strong>terkulturellen Austausch zu pflegen,<br />
die ökumenische Geme<strong>in</strong>schaft zu stärken und<br />
auf ökumenischen Konferenzen dann etwa auch<br />
e<strong>in</strong>en weltweit koord<strong>in</strong>ierten Beitrag der <strong>Kirche</strong>n<br />
zur Bekämpfung des Klimawandels <strong>in</strong> Gang zu<br />
setzen, wenn die damit verbundene Beziehungspflege<br />
und Konferenzreisetätigkeit nur durch<br />
e<strong>in</strong>e Fülle von Flugreisen möglich ist, die genau<br />
Teil des Problems s<strong>in</strong>d? Die Möglichkeit, die<br />
CO 2<br />
-Emission durch Kompensationszahlungen<br />
(etwa auf www.klimakollekte.de) auszugleichen,<br />
mildert den damit verbundenen <strong>in</strong>neren Widerspruch,<br />
sie beseitigt ihn aber nicht. Die<br />
Widersprüche jedenfalls wahrzunehmen,<br />
könnte <strong>in</strong>dessen schon der<br />
erste Schritt zum Annehmen<br />
der Herausforderungen<br />
se<strong>in</strong>. ><br />
ICH MÖCHTE WOANDERS HIN<br />
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