Schauspielerin Juri als Romanfigur Helen KINO Der Körper als Schlachtfeld Kann man Charlotte Roches Skandalroman „F<strong>eu</strong>chtgebiete“ verfilmen? Man kann. Man kann ihn sich sogar anschauen, ohne vor lauter Ekel aus dem Kino zu rennen. Von Georg Diez
Kultur Was war gleich noch mal „F<strong>eu</strong>chtgebiete“? Ach ja, die Befreiung des Körpers aus der Diktatur der Schönheit und der Sauberkeit, natürlich ein feministisches Fanal und, das sagt sich halt so leicht, eine Generalabrechnung mit einem Kapitalismus, der uns von uns selbst entfremdet und zu Sexualobjekten degradiert. Ein Erbeben. Ein Erschaudern. Mehr als zwei Millionen verkaufte Bücher. Die Geschichte der jungen Helen Memel, deren Hobby das Ficken ist und die sich sonst gern mit dem Duschkopf befriedigt, die von der „Muschiflora“ redet, den „Hahnenkämmen“ und ihrem „Perlen- rüssel“ – die aber irgendwann mit einer hässlichen Wucherung am Hintern im Krankenhaus landet und schließlich, nachdem reichlich Blut, Sperma und Scheiße vergossen wurden, mit ihrem Pfleger Robin glücklich wird. Wie konnte es sein, dass ausgerechnet eine Frau aus dem Fernsehen eine Art Fuck-you-Feminismus erfand? Die D<strong>eu</strong>tungsmaschine lief heiß damals, wie es immer ist, wenn etwas größer ist als der Schreibtisch der F<strong>eu</strong>ille tonisten. „Sexualität ist Wahrheit“, das war der Titel eines der klügeren Texte – und trotzdem: Butter ist doch auch Wahrheit und Schlafen und die Wolken über dem Wald. Die einen sahen in der Hygieneverweigerung von Charlotte Roches Romanfigur eine Forderung nach mehr Natur, Natürlichkeit, Haar unter den Achseln; die anderen erklärten, es sei gerade der Irrtum des alten Feminismus gewesen, dass er Hässlichkeit mit Selbständigkeit verwechselt habe. Es war, als wäre Simone de Beauvoir ins Dschungelcamp geraten, und die Kritikerinnen und Kritiker konnten sich nicht entscheiden, ob sie sie rausholen sollten. Fünf Jahre ist das alles her, und wenn nun die Verfilmung von „F<strong>eu</strong>chtgebiete“ in die Kinos kommt, dann kann man ermessen, wie sich das Land und das Reden über Feminismus in dieser Zeit verändert haben: von der Analfissur und Avocadokernen als Masturbationshilfe zu Kita- Plätzen und der Quote. Von der Freiheit des Sex zu den Folgen des Sex. Von der anarchischen Lust zur Logik der Angestelltenkultur. Anders gesagt: Die Wirkung von „F<strong>eu</strong>chtgebiete“ war gleich null. Der Spaß des Buches war dafür umso größer. Das wurde schon in den Erklärungsversuchen 2008 übersehen, als alle Welt rätselte, was das bed<strong>eu</strong>ten könnte, Analsex, Spermabonbons, die Hämorrhoiden der Heldin Helen: „Die D<strong>eu</strong>tschen“, schrieb die „New York Times“ damals, „neigen zur Überanalyse. Manchmal ist ein lustiges, schmutziges Buch genau das, ein lustiges, schmutziges Buch.“ Auch wenn es schwer zu akzeptieren ist in diesem Land, das gute Laune gern mit Kulturverfall verwechselt, in dem Erfolg erklärungsbedürftig ist und auch das mehr oder weniger Banale eine Bed<strong>eu</strong>tung haben muss. „F<strong>eu</strong>chtgebiete“ war keine Streitschrift für eine selbstbestimmte Körperlichkeit, sondern ein satirischer Roman, mit Stärken und Schwächen. Hatte denn auch im Ernst jemand geglaubt, dass man Millionen Bücher mit Feminismus verkauft? Es ging bei „F<strong>eu</strong>chtgebiete“ um etwas anderes, und der Abstand der fünf Jahre lässt das besser erkennen, fünf Jahre, in denen sich erst mit der Banken- und Finanzkrise und dann mit dem Euro-Debakel das Ökonomische wieder vor das Ästhetische geschoben hat: Die Figur der Helen war immer das Symbol einer Suche nach Identität. Und Sex, Lust, Schmutz, oder was man eben dafür hält, waren nur die Mittel, diese Suche voranzutreiben. Bestsellerautorin Roche: „Voll auf die Klobrille“ Eine klassische, sehr h<strong>eu</strong>tige Comingof-age-Story, die Selbstbeschreibung einer selbstbewussten, suchenden Frau – darin lagen die Schönheit und die Stärke des Buches: Und hier setzt auch der Film an, der am 11. August bei den Filmfestspielen in Locarno seine Weltpremiere feiert und am 22. August in die Kinos kommt. Jugend, weiß Regiss<strong>eu</strong>r David Wnendt, ist ein Drama, Sex ist Selbsterforschung, und Lust ist ein Weg zur Freiheit. Es ist ein existentielles Delirium, in das er den Zuschauer in der ersten Hälfte seines Films stößt, mit Bildern, die sich ins Hirn bohren wollen, mit Musik, die einen durchschießt, mit einer Hauptdarstellerin, die jede Frage danach, ob diese Helen etwa mit Charlotte Roche zu verwechseln sei, souverän beantwortet: Helen ist Carla Juri, eine Frau wie ein Junge, ein Gesicht wie eine Heilige, ein zerschlissenes T-Shirt der Band Bad Religion um den dünnen Körper – diese so gut wie unbekannte 28-jährige Schauspielerin aus der Schweiz trägt in der Rolle der 18-jährigen Helen den Film mit einer fast philoso - phischen Naivität, die es ihr erlaubt, auch die abstrusesten Sätze zu sagen. „Mir macht es Riesenspaß, mich nicht nur immer und überall bräsig voll auf die dreckige Klobrille zu setzen“, schreibt Charlotte Roche in dem surreal-heiteren Ton, der das ganze Buch durchzieht und den auch der Film trifft. „Wenn ich mit der Muschi auf der Klobrille ansetze, gibt es ein schönes schmatzendes Geräusch, und alle fremden Schamhaare, Tropfen, Flecken und Pfützen jeder Farbe und Konsistenz werden von meiner Muschi aufgesogen. Das mache ich jetzt schon seit vier Jahren auf jeder Toilette. Am liebsten an Raststätten, wo es für Männer und Frauen nur eine Toilette gibt. Und ich habe noch nie einen einzigen Pilz gehabt.“ Das ist die Komik, die Charlotte Roche sucht und die auch David Wnendt sucht – eine Komik, die sich aus Ekel, Scham und Demütigungen zusammensetzt, so wie die Kindheit ja auch, mit einer Heldin, die vom Schwanzlutschen und der eigenen Sterilisation redet und zu sehr in ihrer eigenen Welt lebt, um ins Tragische abzugleiten. Carla Juri nun gleitet und lächelt und nuschelt sich durch diesen Film, sie kurvt wild auf dem Skateboard und wild durch ihr Leben, sie ist eine Figur an der Grenze von Aufklärung und Wohlstandsverwahrlosung, sie ist Freiheitsheldin und Verlorene zugleich – und damit einer anderen Figur sehr ähnlich, die Wnendt 2011 in seinem ersten, furiosen Spielfilm „Kriegerin“ beschrieben hat: dem rechtsradikalen ostd<strong>eu</strong>tschen Mädchen Marisa, das prügelt und säuft und ihren wüst tätowierten, dünnen Leib durch eine Welt ohne Sinn und Schönheit schiebt. Wnendt, 35, ist, so scheint es, ein Experte für antibürgerliche Extremistinnen, und so wird Helen bei ihm eine Kriegerin der ganz anderen Art: Auch sie kämpft mit dem Körper und um den Körper, auch MAJESTIC FILM (L.); HERMANN BREDEHORST / POLARIS / LAIF (R.) DER SPIEGEL 33/2013 101
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