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Serie<br />
Dieter sagt: „Wir sind Links-Denker.“<br />
Weil Rudi Malzahn gern das letzte<br />
Wort behält, sagt er noch: „Wir sind die<br />
Kümmerer.“<br />
Das hat er auch Sigmar Gabriel auf<br />
einer Veranstaltung zugerufen, dem Parteichef,<br />
damit der weiß, wer die echten<br />
Kümmerer sind, diejenigen, die sich<br />
schon gekümmert haben, bevor die nordrhein-westfälische<br />
Ministerpräsidentin<br />
Hannelore Kraft und ihre L<strong>eu</strong>te sich<br />
ständig Kümmerer nannten. „Sigmar“,<br />
rief Malzahn mit seiner durchdringen -<br />
den Stimme, „hömma, wir sind die Küm -<br />
merer!“<br />
Das war der Versuch, Bochum-Hamme<br />
zum Modell zu machen – für die ganze<br />
Partei. Es war auch der Versuch, dem Vorsitzenden<br />
zu erklären, warum sich die Sozialdemokratie<br />
in Nordrhein-Westfalen<br />
nach ein paar elenden Jahren politisch<br />
erholt hat, warum sie konstanter ist als<br />
die Bundespartei, erfolgreicher.<br />
Nordrhein-Westfalen wird von der SPD<br />
regiert, zusammen mit den Grünen. Bei<br />
der Landtagswahl im Mai 2012 holte die<br />
Partei der Ministerpräsidentin 39 Prozent<br />
der Stimmen. In Meinungsfragen steht<br />
Kraft noch h<strong>eu</strong>te ungewöhnlich gut da.<br />
Martin sagt: „In vier Jahren ist sie Kanzlerkandidatin.“<br />
Norbert sagt: „Wenn Hannelore<br />
Kraft jetzt schon angetreten wäre,<br />
hätten wir bessere Chancen.“ Es ist völlig<br />
klar, dass sie einem Kandidaten, der niemals<br />
eine Flasche Pinot Grigio für fünf<br />
Euro kauft, von Grund auf misstrauen.<br />
In der Adventszeit verteilen die L<strong>eu</strong>te<br />
von der SPD Bochum-Hamme Weihnachtsmänner<br />
aus Schokolade, versehen<br />
mit einem kleinen Flugblatt. Am Muttertag<br />
verschenken sie Rosen, auch mit Flugblatt.<br />
Sie besorgen Wohnungen für Alte,<br />
beschaffen dem Fußballverein Geld. Sie<br />
setzten sich dafür ein, eine Baracke niederzureißen,<br />
in der Asylbewerber lebten,<br />
und die Menschen auf andere Wohnungen<br />
zu verteilen. Gerd sagt, er habe ein<br />
Foto vom Patriarchen eines Roma-Clans<br />
geschossen, der am Straßenrand auf einem<br />
Sessel thront und seine Füße in einer<br />
Wasserwanne badet.<br />
Die Männer von der SPD sind für geordnete<br />
Verhältnisse. Sie prozessieren<br />
gern. Im Augenblick klagen sie gegen den<br />
Betrieb einer Mülldeponie. Steckt man<br />
in einem Konflikt, dann ist es bestimmt<br />
ein beruhigendes Gefühl, einen dieser<br />
Männer hinter sich zu wissen. Aber sie<br />
sind auch die Pest. Es muss nur einer von<br />
Malzahns Gruppe in einer Behörde auftauchen.<br />
Man kann sich gut vorstellen,<br />
wie sich die Sachbearbeiter dann in ihren<br />
Zimmern einschließen, weil sie ahnen,<br />
dass gleich eines ihrer Vorhaben blockiert<br />
werden soll.<br />
Malzahns Männer waren auch dagegen,<br />
dass die Love Parade in Bochum stattfindet,<br />
wegen der Enge und des Drecks.<br />
„Die Geschichte hat uns recht gegeben“,<br />
sagt Martin. Norbert sagt: „Sozialdemokrat<br />
ist man, wenn man sich für die Mehrheit<br />
der Bevölkerung einsetzt.“<br />
Rudi sagt: „Wir sind hier weit und breit<br />
der einzige Ortsverein mit einem Mitgliederzuwachs.“<br />
160 Genossen, Jahr für Jahr<br />
ein paar mehr. Einer ist mal ausgetreten,<br />
der ehemalige Schriftführer, wegen des<br />
Rauchverbots in Kneipen. Gerd sagt: „Ich<br />
habe schon in der dritten Klasse geraucht.“<br />
In die Gesichter dieser Männer haben<br />
sich Lebensgeschichten gegraben. Rudi<br />
Malzahn und seine Genossen spielen sich<br />
Mitglieder des SPD-Ortsvereins Bochum-Hamme*<br />
auf, aber sie verstellen sich nicht. Sie verkörpern<br />
etwas, um das sich Politiker bemühen.<br />
Man braucht nicht viel Phantasie, um<br />
die politische Linie aus Bochum-Hamme<br />
zur Staatskanzlei in Düsseldorf zu verlängern,<br />
wo seit drei Jahren eine Sozialdemokratin<br />
regiert, die viel Geld in benachteiligte<br />
Städte und in benachteiligte<br />
Familien steckt, die Studiengebühren gestrichen<br />
und damit ärmere Familien entlastet<br />
hat, die den gemeinsamen Schulunterricht<br />
von behinderten und nicht -<br />
behinderten Kindern fördert. „Kein Kind<br />
zurücklassen“, das ist ihre wichtigste poli -<br />
tische Botschaft.<br />
Fasst man Krafts Bilanz wohlwollend<br />
zusammen, dann kann man sagen: Sie<br />
macht die Sozialdemokratie bei den Menschen<br />
glaubhaft, die sie wählen sollen.<br />
Sie macht sich verdient um Politik, weil<br />
DER SPIEGEL 33/2013<br />
sie der Politikverdrossenheit, die im Kern<br />
aus Politikerverdrossenheit besteht, mit<br />
ihrer frappierenden Normalität entgegenwirkt.<br />
Von anderen Sozialdemokraten<br />
wird sie um ihre Popularität beneidet.<br />
Das Erstaunliche an Hannelore Kraft<br />
ist die Stille, die sie geschaffen hat. Ihre<br />
Politik verursacht fast keine störenden<br />
Geräusche. Sie koaliert mit den Grünen,<br />
aber anders als bei ihren sozialdemokratischen<br />
Vorgängern Peer Steinbrück und<br />
Wolfgang Clement, die lieber mit der<br />
FDP als mit den Grünen regiert hätten,<br />
dringt kein politischer Streit nach draußen.<br />
Es ist ihr gelungen, sich durchzusetzen,<br />
ohne sich in Kämpfen aufzureiben.<br />
„Sie hat zwar die Macht, aber sie fängt<br />
damit wenig an“, sagt ein Sozialdemo-<br />
krat, der viele SPD-Politiker ehemaliger<br />
Landesregierungen gut kennt. „Früher<br />
stellte sich ein Ministerpräsident gegen<br />
den Wind, weil er glaubte, er müsse die<br />
Richtung des Windes ändern. Hannelore<br />
Kraft lässt sich mit dem Wind treiben.<br />
Vielleicht ist das die weibliche Art, Politik<br />
zu machen, vielleicht ist es sogar die klügere<br />
Methode.“<br />
Der Christdemokrat Jürgen Rüttgers,<br />
der im Jahr 2010 als Ministerpräsident<br />
von Nordrhein-Westfalen abgelöst wurde,<br />
hoffte noch, sich das Image des früheren<br />
SPD-Regierungschefs Johannes Rau aneignen<br />
zu können. Aber das ging schief.<br />
Rüttgers bemühte sich um den Nachlass<br />
des politischen Gegners und machte sich<br />
* V. l.: Martin Oldengott, Dieter Schröder, Rudolf Malzahn,<br />
Gerhard Gleim, Norbert Kriech im Vereinsheim<br />
Caro linenglück.<br />
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KARSTEN SCHÖNE / DER SPIEGEL