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Wissenschaft<br />

UMWELT<br />

Die Rettung der Maronen<br />

Ein Pilz hat die Amerikanische Kastanie dahingerafft, nur noch kärgliche<br />

Triebe kümmern im Forst. Genforscher lassen den<br />

prächtigen Baum jetzt auferstehen: mit eingebautem Schädlingsschutz.<br />

Willkommen auf dem Mond“, sagt<br />

Fred Hebard und zeigt in die<br />

Grube, die sich vor ihm auftut.<br />

Über graubraunes Geröll quälen sich vollbeladene<br />

40-Tonner den Berg empor,<br />

Staub wirbelt, weiter unten kratzen Schaufelbagger<br />

schwarze Halden zusammen.<br />

„Erstaunlich? Aufrüttelnd? Bestürzend?“<br />

Hebard sucht nach dem richtigen<br />

Wort. Am Ende findet er, dass „schockierend“<br />

die Sache am besten trifft. Hier, inmitten<br />

der nordamerikanischen Appalachen,<br />

sprengen Konzerne ganze Berge<br />

weg, um an die reichen Steinkohlevorkommen<br />

der Region heranzukommen.<br />

Doch Hebards Expertise gilt nicht der<br />

Zerstörung, sein Fachgebiet ist die Wiedergeburt.<br />

Sein Werk lässt sich auf einem<br />

kleinen Versuchsfeld bewundern. Dort<br />

wuchert, gehegt von Forstwirten, Bodenkundlern<br />

und Botanikern, junge Wildnis.<br />

Ahorne, Eichen und Platanen recken<br />

sich vier, fünf Meter hoch aus den Ritzen<br />

im Geröll, dazwischen ranken Dornen -<br />

büsche: Der Wald erobert sich das Terrain<br />

zurück. Und auch die Tierwelt kehrt allmählich<br />

heim. „Da, ein d<strong>eu</strong>tliches Zeichen,<br />

dass hier wieder Säugetiere leben“,<br />

sagt Hebard und zerquetscht eine Zecke<br />

zwischen den Fingernägeln.<br />

Dann bahnt er sich den Weg zum<br />

eigentlichen Symbol der Wiederauferstehung:<br />

einem wackeren Bäumchen, das<br />

die anderen überragt. „Sieht gesund aus“,<br />

sagt Hebard zufrieden, während er den<br />

fast armdicken Stamm inspiziert. Dass<br />

dieser Baum hier so gut gedeiht, ist in<br />

den USA von geradezu nationaler Bed<strong>eu</strong>tung.<br />

Denn vor dem Pflanzenpathologen<br />

Fred Hebard wächst eine fünfjährige<br />

Amerikanische Kastanie.<br />

Kaum zu glauben, dass dieser Baum,<br />

der h<strong>eu</strong>te so gut wie ausgestorben ist,<br />

einst die Wälder im Osten Nordamerikas<br />

beherrschte. Gut 30 Meter hoch, galt Castanea<br />

dentata als „Redwood des Ostens“.<br />

Jeder vierte Baum in den Appalachen<br />

war eine Kastanie, ihre Früchte nährten<br />

Hirsche, Waschbären und Truthühner.<br />

Ein Eichhörnchen hätte im Castanea-Kronendach<br />

von Georgia bis nach Maine gelangen<br />

können. Mehr als tausend Orte<br />

mit „Chestnut“ (englisch für „Kastanie“)<br />

im Namen hätten am Weg gelegen.<br />

126<br />

Im Herbst zogen die Bewohner ganzer<br />

Ortschaften morgens in den Wald, um<br />

abends mit Säcken voller Maronen zurückzukehren.<br />

In Eisenbahnwaggons wurde<br />

die Ernte dann nach Baltimore, Philadelphia<br />

oder New York verfrachtet, um<br />

dort geröstet auf den Straßen feilgeboten<br />

zu werden.<br />

Aus dem wetterfesten Holz der Kastanienbäume<br />

fertigte man mit Vorliebe Telefonmasten,<br />

Schindeln, Zäune oder Eisenbahnschwellen.<br />

Gerber nutzten die<br />

Tannine aus Holz und Rinde. Und die<br />

Hausfrauen kochten aus den Blättern Brühe<br />

gegen Husten oder Tee zur Stärkung<br />

des Herzens.<br />

Kastanienbäume in den Appalachen 1910<br />

Die Lebensader abgeschnitten<br />

H<strong>eu</strong>te ist all das Vergangenheit. Nur<br />

noch kärgliche Triebe der ehedem so riesigen<br />

Bäume kümmern im Unterholz.<br />

Wie einst Menschen die Kastanien, so<br />

sammeln jetzt Volkskundler die alten Geschichten<br />

über diese Bäume. Und der<br />

Truthahn zu Thanksgiving wird nun mit<br />

Austern statt mit Maronen gefüllt.<br />

Kaum dass ein Stämmchen auf Daumendicke<br />

herangereift ist, z<strong>eu</strong>gen schorfige<br />

Geschwülste an der Rinde davon,<br />

dass sich Cryphonectria parasitica hier<br />

eingenistet hat. Zwischen Holz und Borke<br />

breitet sich dieser Pilz aus, bis er den ganzen<br />

Stamm umschlossen und damit dem<br />

Baum die Lebensader abgeschnitten hat.<br />

DER SPIEGEL 33/2013<br />

THE AMERICAN CHESTNUT FOUNDATION / COURTESY OF THE FOREST HISTORY SOCIETY<br />

Im Jahr 1904 wurde der aus Asien eingeschleppte<br />

Pilz erstmals in Amerika gesichtet,<br />

als Kastanienbäume im Zoo der<br />

New Yorker Bronx ein rätselhaftes Siechtum<br />

befiel. Gut zehn Jahre später waren<br />

ganze Landstriche von den toten Gerippen<br />

der Kastanienbäume geprägt.<br />

Verzweifelt suchten die Förster dem<br />

Sterben Einhalt zu gebieten – und verschlimmerten<br />

damit nur den Schaden. Um<br />

dem Schädling seine Nahrung zu nehmen,<br />

fällten sie auch gesunde Kastanien. Manch<br />

ein mit natürlicher Resistenz ausgestatteter<br />

Baum dürfte dabei den Tod durch die<br />

Axt gefunden haben. Zudem trugen die<br />

Waldarbeiter in ihrem Eifer wahrscheinlich<br />

an den Stiefeln haftende Pilzsporen<br />

auch in den letzten noch nicht befallenen<br />

Winkel des Landes.<br />

Schließlich war es so weit: „Good bye,<br />

Chestnuts“ überschrieb die Zeitschrift<br />

„American Forests“ einen Nachruf auf<br />

Castanea dentata. Die Zahl der Bäume,<br />

die der Epidemie zum Opfer fielen, wird<br />

auf drei bis vier Milliarden geschätzt.<br />

Der Niedergang der Amerikanischen<br />

Kastanie ist damit zum Paradefall einer<br />

Baums<strong>eu</strong>che geworden, von der immer<br />

wieder ganze Weltregionen heimgesucht<br />

werden. So rafften in Europa eingeschleppte<br />

Pilze Millionen Ulmen dahin.<br />

Ein Pilz war es auch, der in der ersten<br />

Hälfte des 20. Jahrhunderts dem süd -<br />

amerikanischen Kautschukboom ein<br />

Ende setzte.<br />

In <strong>D<strong>eu</strong>tschland</strong> ist das Siechtum der<br />

Rosskastanien zum Inbegriff eines Baumleidens<br />

geworden. Die Larven bestimmter<br />

Kleinschmetterlinge, sogenannter Miniermotten,<br />

fressen („minieren“) winzige<br />

Gänge in die Blätter, was diese schon im<br />

Hochsommer verwelken lässt. Weil diese<br />

Motten in Mittel<strong>eu</strong>ropa keine effektiven<br />

natürlichen Feinde haben, ist es schwer,<br />

ihnen Einhalt zu gebieten.<br />

Der Befall durch Mottenlarven ist für<br />

die Bäume allerdings nicht tödlich. In<br />

manchen Teilen Nordrhein-Westfalens jedoch<br />

ist ein zweiter Feind hinzugekommen,<br />

der die Rosskastanien (die im Übrigen<br />

mit der Amerikanischen Kastanie<br />

nicht mehr als den Namen und die Ähnlichkeit<br />

der Frucht gemein haben) ernsthaft<br />

schädigt: Ein stäbchenförmiges Bak-

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