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Sport<br />

SPORTPOLITIK<br />

Weggucken, wegducken<br />

Der Aufschrei über das Dopingsystem der alten Bundesrepublik zeigt:<br />

Vielen Politikern und Funktionären fehlt das Interesse daran, die<br />

Vergangenheit aufzuklären und den Betrug von h<strong>eu</strong>te konsequent zu bekämpfen.<br />

Ein einziger Tag im September 2011<br />

hätte genügt, um im d<strong>eu</strong>tschen<br />

Sport ein Beben auszulösen. Damals<br />

präsentierten Historiker aus Berlin<br />

und Münster der Presse, was sie über den<br />

Betrug im westd<strong>eu</strong>tschen Sport erforscht<br />

hatten. Zwei Jahre lang hatten sie Archive<br />

durchforstet und Zeitz<strong>eu</strong>gen befragt, das<br />

Ergebnis war ein Bild des Schreckens: Vor<br />

der Wende existierte in der Bundesre -<br />

publik ein umfassendes Dopingsystem,<br />

betrieben von Sportärzten, gedeckt von<br />

Funktionären, gefördert vom Staat.<br />

Am selben Tag, dem 26. September,<br />

beschrieb der SPIEGEL (39/2011) auf fünf<br />

Seiten, was der damalige Zwischenbericht<br />

der Forscher im Detail enthielt. Es<br />

ging um kriminelle Energie und<br />

Cliquenwirtschaft, um medaillenhungrige<br />

Politiker, die im Kalten<br />

Krieg mit der DDR mithalten<br />

wollten, um rücksichtslose<br />

Mediziner und missbrauchte<br />

St<strong>eu</strong>ermillionen, um eine ganze<br />

Menge also, was einen Aufschrei<br />

hätte auslösen können.<br />

Es passierte: fast nichts. Die<br />

Resonanz unter Politikern, Funktionären<br />

und in der Öffentlichkeit<br />

blieb verhalten. Es überraschte<br />

wohl niemanden mehr, dass auch<br />

im Westen gedopt worden war, anders<br />

organisiert als im Osten, klüngelhafter,<br />

aber ebenfalls systematisch.<br />

Nun, im zweiten Anlauf, kommt es<br />

doch noch zu dieser Empörung. Am<br />

Samstag vor einer Woche berichtete die<br />

„Südd<strong>eu</strong>tsche Zeitung“ über die Studie;<br />

inhaltlich N<strong>eu</strong>es war darin kaum zu finden,<br />

allerdings stellte sich nun heraus,<br />

dass seit März 2012 ein rund 800 Seiten<br />

dicker Abschlussbericht der Berliner Forschergruppe<br />

existiert – ohne veröffentlicht<br />

worden zu sein. Sollte das Konvolut<br />

im Keller verstauben?<br />

Der Verdacht liegt nahe, da solle etwas<br />

vertuscht werden, weil es einigen nicht<br />

in den Kram passt. Das hat die Aufregung<br />

ebenso entfacht wie die Tatsache, dass<br />

die Studie ältere Erkenntnisse bestätigt<br />

und das Bild erweitert, strukturiert und<br />

zusammenfügt. Schon 1991, kurz nach<br />

der Wende und während der Enthüllungen<br />

um den DDR-Sport, war zum Beispiel<br />

eine Untersuchungskommission des<br />

D<strong>eu</strong>tschen Sportbundes Hinweisen auf<br />

der Spur, die stark an der Saga vom sauberen<br />

Westen kratzten.<br />

N<strong>eu</strong>e Fragen werden nun gestellt:<br />

Wenn damals so systematisch gedopt wurde,<br />

ist die Bundesrepublik immer noch<br />

vers<strong>eu</strong>cht? Wird genug dagegen unternommen?<br />

Manche bezweifeln das. So<br />

melden sich Befürworter eines d<strong>eu</strong>tschen<br />

Anti-Doping-Gesetzes wieder zu Wort,<br />

um die Gunst des Moments zu nutzen.<br />

Sie hoffen auf Gehör, denn ihr Unterfangen<br />

hat sich als mühsam erwiesen.<br />

Erkennbar ist, wie sehr es vielen Sportfunktionären<br />

und Politikern an Interesse<br />

SPIEGEL-Artikel 2011 über Doping im Westen: Kriminelle Energie<br />

fehlt, sich mit der Vergangenheit aus -<br />

einanderzusetzen. Auf die plötzliche<br />

Wucht, mit der debattiert wird, reagieren<br />

sie beschwichtigend.<br />

Das Bundesinnenministerium versucht,<br />

die Studie zu einem „bestenfalls stark<br />

überarbeitungsbedürftigen Zwischenprodukt“<br />

kleinzureden. Ähnlich bremst das<br />

Bundesinstitut für Sportwissenschaft, immerhin<br />

Auftraggeber der Historiker: Methodisch<br />

sei unsauber gearbeitet worden,<br />

so der Vorwurf. Der Sportausschuss des<br />

Bundestags fordert jetzt, näher aufgeklärt<br />

zu werden – nachdem sich seine Mitglieder<br />

lange vertrösten ließen, wenn sie<br />

mehr über die Inhalte des Berichts erfahren<br />

wollten.<br />

Und Thomas Bach, 59, Präsident des<br />

D<strong>eu</strong>tschen Olympischen Sportbundes<br />

(DOSB)? Hält sich zugute, schon als Athletensprecher<br />

gegen das Doping eingetreten<br />

zu sein, hatte einst als Fechter allerdings<br />

nie etwas davon mitbekommen.<br />

Sagt der oberste Sportwart der Nation,<br />

der doch sonst bestens vernetzt ist.<br />

Mit geringer Auskunftsfr<strong>eu</strong>de haben<br />

die Historiker bei ihrer dreijährigen Arbeit<br />

oft zu kämpfen gehabt, Archive waren<br />

schwer oder gar nicht zugänglich (siehe<br />

Interview Seite 140). Manchmal war<br />

der Widerstand grotesk. Als der SPIE-<br />

GEL (40/2011) meldete, die Forscher hätten<br />

einen Brief entdeckt, der belege, bei<br />

der Weltmeisterschaft 1966 seien bei drei<br />

Nationalspielern feine Spuren von Ephedrin<br />

gefunden worden, reagierte der<br />

D<strong>eu</strong>tsche Fußball-Bund. Doch während<br />

sich die englische Boulevardpresse über<br />

aufgeputschte d<strong>eu</strong>tsche WM-Verlierer<br />

amüsierte, verging dem DFB der Humor.<br />

Er ließ einen Juristen ein 16-seitiges<br />

Gutachten erstellen, das<br />

jeglichen Verdacht aus der Welt<br />

schaffen sollte, hierbei habe es<br />

sich um Doping gehandelt.<br />

In zwei bis drei Wochen will<br />

der Sportausschuss nun in einer<br />

Sondersitzung Fragen stellen.<br />

Innenminister Hans-Peter Friedrich<br />

hat sein Kommen zugesagt,<br />

auch Bach erhielt eine Einladung.<br />

Allerdings wird er keine Zeit<br />

haben – zu viele andere Termine.<br />

Er will am 10. September zum Präsidenten<br />

des Internationalen Olympischen Komitees<br />

(IOC) gewählt werden, es wäre der<br />

letzte Schritt auf seinem langen Weg zum<br />

mächtigsten Mann des Weltsports.<br />

Bach lässt sich zu allerlei Anlässen von<br />

der Politik hofieren, das gibt schöne Bilder.<br />

Rechenschaft gegenüber Volksvertretern<br />

mag er weniger gern ablegen. Kaum<br />

hatte die Aufregung um die Dopingstudie<br />

begonnen, da verkündete er, der DOSB<br />

werde zur Aufklärung eine unabhängige<br />

Kommission ins Leben rufen, geleitet<br />

vom ehemaligen Bundesverfassungsrichter<br />

Udo Steiner, 73. Er steht Bach nahe.<br />

Steiner hatte vor vier Jahren bereits geholfen,<br />

eine Debatte um Olympiapferde,<br />

die mit verbotenen Mitteln behandelt<br />

worden waren, geräuschlos zu beenden.<br />

Bachs Vorstoß klingt nach Tatkraft und<br />

d<strong>eu</strong>tscher Gründlichkeit, aber die Erfahrung<br />

mit solchen Kommissionen im Sport<br />

ist ernüchternd. Meist nützen sie nur je-<br />

DER SPIEGEL 33/2013 139

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