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Kultur<br />
SUHRKAMP<br />
Pleite ohne Pleite<br />
Der berühmteste d<strong>eu</strong>tsche<br />
Literaturverlag ist zahlungsunfähig,<br />
aber nicht am Ende. Der Insolvenz -<br />
plan macht den Minderheitseigner<br />
Hans Barlach zum Statisten.<br />
Auf Seite fünf des Insolvenzplans<br />
ist die Erschöpfung und Ermüdung<br />
fast spürbar. Die Rede ist<br />
dort von den Streitereien der vergangenen<br />
Jahre. Von unterschiedlichen Auffassungen<br />
über die Ausrichtung des Verlags,<br />
über die Geschäftspolitik, über Führung<br />
des operativen Geschäfts und auch über<br />
den Umgang mit den Gewinnen. Und<br />
schließlich: „Diese Streitigkeiten haben<br />
die Kräfte der Geschäftsführung zunehmend<br />
gebunden, mehr und mehr die<br />
Führung der Geschäfte beeinträchtigt und<br />
deren Fortentwicklung gelähmt.“<br />
Uff. Aber jetzt ist es vorbei. Vergangenen<br />
Dienstag hat das Amtsgericht in<br />
Berlin-Charlottenburg das Insolvenzverfahren<br />
eröffnet. Im Oktober wird die sogenannte<br />
Gläubigerversammlung den<br />
Insolvenzplan verabschieden. Die Suhrkamp<br />
GmbH & Co. KG ist tot, es lebe<br />
die Suhrkamp Aktiengesellschaft.<br />
Es ist vermutlich auch eine Art Abschied<br />
von Hans Barlach, der 2006 bei<br />
Suhrkamp einstieg, gefürchtet und gehasst,<br />
der jetzt seine Macht verliert, mit der er<br />
den Verlag und dessen Geschäftsführung<br />
zu besserem Wirtschaften und vor allem<br />
zu vernünftigen Renditen zwingen wollte.<br />
Der Insolvenzplan sieht vor, umstrittene<br />
Forderungen der Gesellschafter nach<br />
Ausschüttungen von Gewinnen, die in<br />
den Jahren 2010 und 2011 durch den Verkauf<br />
des Archivs und des Frankfurter Verlagsgebäudes<br />
entstanden waren und zur<br />
Eröffnung des Verfahrens führten, zu erlassen.<br />
Gleichzeitig soll die Umwandlung<br />
in eine Aktiengesellschaft sicherstellen,<br />
„dass der insolvenzauslösende Gesellschafterstreit<br />
nicht länger das operative<br />
Geschäft beeinflussen kann“. Zwar werden<br />
die bisherigen Gesellschafter auch zu<br />
Aktionären des n<strong>eu</strong>en Unternehmens,<br />
aber im Vergleich zu früher hat Barlach<br />
kaum Einfluss. Er ist nur noch Statist.<br />
Er wird nicht einmal verhindern können,<br />
dass der Vorstand mit Zustimmung<br />
des Aufsichtsrats den Kreis der Aktionäre<br />
erweitert und das Kapital erhöht, was<br />
wohl dazu führen würde, dass sich Barlachs<br />
Anteil am Verlag verringert. In vielen<br />
Aktiengesellschaften sind für solche<br />
drastischen Einschnitte qualifizierte Mehrheiten<br />
nötig, also 75 Prozent. Bei der<br />
Suhrkamp Verlag AG reicht die einfache<br />
Mehrheit, was bei Aktionären, bei denen<br />
AXEL SEIDEMANN / DAPD<br />
Geschäftsführerin Unseld-Berkéwicz: „Mehr und mehr gelähmt“<br />
der eine – die Familienstiftung um Ulla<br />
Unseld-Berkéwicz – 61 Prozent der Aktien<br />
besitzt und der andere nur 39 Prozent,<br />
jede Abstimmung auf einer Hauptversammlung<br />
eigentlich überflüssig macht.<br />
Es ist sogar vorstellbar, dass Barlach nicht<br />
einmal im Aufsichtsrat vertreten sein<br />
wird.<br />
Für den Fall, dass einem der Aktionäre<br />
diese Lösung nicht behagt, sieht der Plan<br />
ein Abfindungsangebot von 50 Euro pro<br />
Aktie vor. Im Falle Barlachs wäre das<br />
knapp eine Million Euro. Investiert haben<br />
dürfte er mehr als 12 Millionen.<br />
Stattdessen, auch das wird im Insolvenzplan<br />
erwähnt, bestätigt das Ehepaar<br />
Sylvia und Ulrich Ströher in einem Schreiben,<br />
dass es sich an der AG beteiligen<br />
will. Die Ströhers, seit Wochen schon als<br />
mögliche Investoren gehandelt (SPIEGEL<br />
23/2013), gehörten zu den Besitzern des<br />
Wella-Konzerns, der 2003 für 6,5 Milliarden<br />
Euro an Procter & Gamble verkauft<br />
wurde. Das Ehepaar selbst soll dabei<br />
1,6 Milliarden Euro bekommen haben.<br />
„Wir wären bereit“, heißt es in dem<br />
Schreiben, „uns im Rahmen einer Kapital -<br />
Gesellschafter Barlach<br />
Katastrophale Niederlage<br />
VALESKA ACHENBACH<br />
erhöhung zu beteiligen oder Aktien bisheriger<br />
Gesellschafter zu erwerben.“<br />
Barlach selbst bestätigt ein Angebot<br />
der Ströhers schon aus dem Mai. Es belief<br />
sich damals auf 10 Millionen Euro. Barlach<br />
hat abgelehnt. Das war vor der Eröffnung<br />
des Schutzschirmverfahrens: Barlach<br />
sah da den Wert des Unternehmens<br />
bei 75 Millionen Euro und seinen Anteil<br />
somit bei rund 30 Millionen. Das war es<br />
wahrscheinlich nie wert, h<strong>eu</strong>te ist es das<br />
ganz sicher nicht.<br />
Die Eröffnung des Verfahrens bed<strong>eu</strong>tet<br />
für ihn eine katastrophale Niederlage.<br />
Trotzdem sagt er: „Ich werde meine Anteile<br />
vorerst nicht verkaufen.“ Bald wird<br />
er dies nur noch mit Zustimmung des Aufsichtsrats<br />
tun können, auch das sieht die<br />
Satzung der n<strong>eu</strong>en Suhrkamp AG vor.<br />
Im September werden vor dem Frankfurter<br />
Landgericht die Klagen der Familien -<br />
stiftung und der Medienholding auf gegenseitigen<br />
Ausschluss verhandelt. Ob<br />
allerdings ein Landgericht in ein laufendes<br />
Insolvenzverfahren eingreifen wird,<br />
erscheint fraglich. Alle weiteren juristischen<br />
Schritte wären langwierig und würden<br />
hohe Kosten verursachen, weil eine<br />
außerordentliche Beschwerde wegen<br />
Rechtsmissbrauchs oder eine Klage auf<br />
Schadens ersatz gegen die Geschäftsführung<br />
und deren Berater wegen der Entwertung<br />
der Suhrkamp-Anteile auf juristisch<br />
schwieriges Terrain führt.<br />
Ein Fall mit Seltenheitswert: eine Pleite<br />
ohne Pleite. Aus dem Insolvenzplan geht<br />
auch hervor, dass der Verlag nicht überschuldet<br />
gewesen wäre, wenn die Familien -<br />
stiftung die Ausschüttung ihrer Gewinne<br />
in Höhe von fast 5 Millionen Euro zurückgestellt<br />
hätte. Ohne die Insolvenz, so<br />
die Prognose des Verlags, stünde am<br />
Ende des Jahres ein operatives Minus von<br />
610000 Euro. Nicht das größte Minus in<br />
der Ära Unseld-Berkéwicz.<br />
LOTHAR GORRIS, CLAUDIA VOIGT<br />
DER SPIEGEL 33/2013 103