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Ausland<br />
„Emirs“ Asadullah al-Schischani aus der<br />
grenznahen Dschihadisten-Hochburg Atmeh:<br />
„Vor einem Monat ist ein Dutzend<br />
Tschetschenen unbehelligt von Hatay<br />
wieder nach Hause geflogen. Dabei hatten<br />
sie uns erzählt, sie würden alle von<br />
Interpol gesucht.“<br />
Al-Qaidas diffuse Ideologie vom fortwährenden<br />
Kampf verschafft der Organisation<br />
den taktischen Vorteil, bei diversen<br />
Konflikten gleichzeitig präsent sein zu<br />
können. Die einzelnen Qaida-Ableger<br />
nähren sich wie Parasiten von ihren<br />
unterschiedlichen Gegnern: Im Jemen<br />
kämpfen sie gegen die Regierungsarmee<br />
und gegen die USA; in Syrien gegen die<br />
alawitische Diktatur von Baschar al-Assad<br />
und gegen die Kurden; in Mali gegen<br />
die Regierung und die Tuareg; und im<br />
Irak vor allem gegen das schiitische Regime<br />
von Premier Nuri al-Maliki.<br />
Bin Ladens einstige Maxime vom „fernen<br />
Feind“, den es in Amerika und<br />
Europa zu treffen gelte, ist abgelöst worden<br />
vom Prinzip der Vereinnahmung lokaler<br />
Auseinandersetzungen unterschiedlichster<br />
Prägung.<br />
Den innerislamischen Bruderkrieg gegen<br />
die Schiiten erkannte schon Abu Mussab<br />
al-Sarkawi, der ehemalige, inzwischen<br />
getötete Qaida-Führer im Irak, als<br />
günstige Gelegenheit, einen ohnehin<br />
schwelenden Konflikt für die eigenen Ziele<br />
zu nutzen. Damals versuchte Osama<br />
Bin Laden noch, ihn zu stoppen; h<strong>eu</strong>te<br />
ist die Terrororganisation im Irak wieder<br />
im Aufschwung. Sie profitiert von der<br />
Politik des Premiers, der zugunsten seiner<br />
schiitischen Machtbasis systematisch alle<br />
Sunniten aus wichtigen Ämtern verdrängt.<br />
Der „Islamische Staat im Irak und Syrien“<br />
(Isis) ist zum schlagkräftigsten Ableger<br />
von al-Qaida aufgestiegen. Nach<br />
und nach übernimmt die Organisation in<br />
Syrien Kämpfer und Basen der Nusra-<br />
Front, einst ein Sammelbecken der Dschihadisten.<br />
Die Qaida-Führung hat hier allerdings<br />
wenig zu sagen: „Die erfolglosen<br />
Versuche Sawahiris, interne Konflikte beizulegen,<br />
zeigen die Grenzen seiner Befehlsgewalt“,<br />
so der Uno-Bericht.<br />
Sawahiris schwache Führungsposition<br />
brachte den „Washington Post“-Autor<br />
Max Fisher zu einer ganz n<strong>eu</strong>en Vermutung,<br />
warum der Qaida-Chef auf der angeblichen<br />
Schaltkonferenz so geschwätzig<br />
wurde: „Dass er eine große Operation anzuordnen<br />
vermochte, könnte ihm im internen<br />
Machtgerangel helfen.“<br />
Washingtons hektische Reaktion auf<br />
das Gespräch – ein gutes halbes Dutzend<br />
Drohnenattacken im Jemen und eine<br />
weltweite Reisewarnung für Amerikaner<br />
– dürfte ihn dann gefr<strong>eu</strong>t haben. Hätte<br />
Sawahiri doch genau jenen Effekt erzielt,<br />
den er beabsichtigte. Voraus gesetzt, die<br />
Geschichte stimmt.<br />
CHRISTOPH REUTER<br />
„Haarsträubende Fehler“<br />
Der US-Nahostexperte Gregory D. Johnsen über den Aufstieg<br />
von al-Qaida im Jemen und den Drohnenkrieg Amerikas<br />
Johnsen gilt als einer der<br />
besten Kenner von al-<br />
Qaida im Jemen. Ende<br />
2012 erschien zum gleichen<br />
Thema sein Buch<br />
„The Last Refuge“.<br />
Autor Johnsen<br />
„Schlechte Informanten“<br />
JEFF TAYLOR<br />
SPIEGEL: Die USA haben<br />
gerade den siebten<br />
Drohnenangriff in weniger<br />
als zwei Wochen auf<br />
mutmaßliche Mitglieder<br />
der Qaida im Jemen<br />
ausgeführt. Seit 2009<br />
gab es dort 75 Drohneneinsätze.<br />
Im gleichen<br />
Zeitraum stieg die Zahl<br />
der Qaida-Kämpfer von<br />
rund 300 auf über 1000 Kämpfer an –<br />
eine Folge der Drohnen?<br />
Johnsen: Es sind nicht nur die Drohnen,<br />
die zum Erstarken der Qaida im Jemen<br />
beigetragen haben. Aber sie sind<br />
das wichtigste Element. Denn sie treffen<br />
eben nicht nur Radikale, sondern<br />
auch deren Kinder, sie treffen unbeteiligte<br />
Zivilisten – und sie bringen die<br />
Jemeniten insgesamt gegen die USA<br />
auf. Denn sie sehen diese Attacken<br />
aus der Luft als Demütigung. Außerdem<br />
passieren immer wieder haarsträubende<br />
Dinge.<br />
SPIEGEL: Ein Beispiel?<br />
Johnsen: Der Geistliche Salim Ahmed<br />
Bin Ali Dschabir aus dem Ostjemen<br />
hielt im vergangenen Jahr Predigten<br />
gegen Qaida-Mitglieder und beschuldigte<br />
sie, keine wahren Muslime, sondern<br />
Mörder zu sein. Der Mann war<br />
so erfolgreich, dass al-Qaida aus seiner<br />
Gegend keine Rekruten mehr bekam.<br />
Also baten sie um ein Treffen mit<br />
ihm – und wurden alle zusammen von<br />
einer amerikanischen Drohne getötet:<br />
der Prediger, sein Begleiter und die<br />
Männer von al-Qaida. Schlechte In -<br />
formanten, das ist ein Kernproblem.<br />
Aber selbst wenn die Angriffe nur Mitglieder<br />
der Qaida träfen, würde das<br />
von den meisten Jemeniten nicht unbedingt<br />
als Maßnahme im Anti-Terror-Kampf<br />
verstanden.<br />
SPIEGEL: Sondern wie?<br />
Johnsen: Al-Qaida besteht im Jemen,<br />
anders als in Afghanistan, nicht im<br />
Wesentlichen aus Ausländern, sondern<br />
aus Einheimischen. Und jeder Jemenit<br />
hat eine Familie<br />
und einen Stamm. Wird<br />
er umgebracht, zählt für<br />
seine Angehörigen in<br />
erster Linie, dass einer<br />
der Ihren getötet wurde,<br />
was Vergeltung fordert.<br />
SPIEGEL: Haben die<br />
Drohnenangriffe am<br />
Ende also mehr n<strong>eu</strong>e<br />
Feinde geschaffen?<br />
Johnsen: Ich bin kein<br />
grundsätzlicher Kritiker<br />
der Einsätze. Aber die<br />
Obama-Regierung hat<br />
im Jemen den Fehler gemacht,<br />
den Verlockungen<br />
des taktischen Nutzens<br />
von Drohnen zu erliegen. Dar -<br />
über wurde versäumt, eine Strategie<br />
zu entwerfen, wie man mit al-Qaida<br />
langfristig umgehen will. Die Drohnen<br />
sollen alles richten. Und so etwas geht<br />
schief.<br />
SPIEGEL: Sie haben vor kurzem geschrieben,<br />
nur die Stammesführer und<br />
Geistlichen könnten al-Qaida dort<br />
schwächen. Aber wie?<br />
Johnsen: Indem man ihnen die Chance<br />
dazu lässt. Die Lage hat sich völlig<br />
verändert. Es geht inzwischen nicht<br />
mehr um Jemeniten gegen al-Qaida,<br />
sondern um Amerikaner gegen al-Qaida<br />
im Jemen. Die zahlreichen Angriffe<br />
lassen Qaida-Mitglieder in den Augen<br />
vieler Jemeniten als Patrioten erscheinen,<br />
während ihre Gegner als Handlanger<br />
der Amerikaner angesehen<br />
werden.<br />
SPIEGEL: Was würde eigentlich geschehen,<br />
wenn al-Qaida im Jemen einfach<br />
verschwände?<br />
Johnsen: Das Land würde dann wieder<br />
in Vergessenheit geraten, und mit den<br />
Millionenhilfen aus Amerika wäre es<br />
auch vorbei. Die USA sehen den Jemen<br />
nur noch im Zusammenhang mit<br />
al-Qaida. Das müsste sich als Erstes<br />
ändern. Das Land ist unfassbar arm,<br />
leidet unter Wassermangel, der Staat<br />
existiert in vielen Landesteilen kaum,<br />
Krankenversorgung, Strom und Gerichte<br />
funktionieren so gut wie nicht.<br />
Hier müsste Amerika helfen. Wenn<br />
sich nur die Radikalen kümmern, werden<br />
die populär, das gilt auch für al-<br />
Qaida.<br />
DER SPIEGEL 33/2013 89