Deutschland - elibraries.eu
Deutschland - elibraries.eu
Deutschland - elibraries.eu
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
SOZIALDEMOKRATEN<br />
Pakt mit<br />
der Basis<br />
Nach der Wahl will Sigmar<br />
Gabriel einen Konvent einberufen<br />
und damit seine Macht sichern:<br />
Fraktionschef Steinmeier muss das<br />
als Kampfansage betrachten.<br />
Die Vorlage für den Parteichef<br />
kommt aus Nordrhein-Westfalen.<br />
Es ist Montagvormittag,<br />
die SPD-Vorstandssitzung in<br />
WAHL<br />
Berlin plätschert vor sich hin.<br />
2013 Michael Groschek, General -<br />
sekretär der nordrhein-westfälischen SPD,<br />
hat jetzt genug gehört von den Phrasen<br />
über den Haustürwahlkampf, genug von<br />
den seichten Erlebnisberichten seiner Vorstandskollegen.<br />
Er will endlich über den<br />
Tag danach reden, den Tag nach der drohenden<br />
Pleite am 22. September.<br />
„Wie sollen eigentlich die Entscheidungen<br />
nach der Bundestagswahl laufen?“,<br />
fragt er, „werden die wichtigen Beschlüsse<br />
wieder im engsten Kreis gefasst?“ Die<br />
Parteilinke Hilde Mattheis springt ihm<br />
bei: „Ich bin dafür, die Mitglieder so weit<br />
es geht einzubinden“, fordert sie.<br />
Sigmar Gabriel nutzt die Gelegenheit<br />
und greift das Thema auf. Eigentlich hatte<br />
er den Punkt unter „Verschiedenes“ am<br />
Ende der Sitzung abhandeln wollen. Doch<br />
jetzt muss er sich dem Begehren stellen.<br />
„Wir werden direkt nach der Wahl einen<br />
Parteikonvent einberufen“, kündigt der<br />
Parteichef an. Die Vorstandskollegen sind<br />
baff. Kurz darauf steht auch der Termin<br />
fest: am Dienstag, 24. September, 16 Uhr,<br />
26<br />
Parteichef Gabriel<br />
DER SPIEGEL 33/2013<br />
KAY NIETFELD / PICTURE ALLIANCE / DPA<br />
in Berlin. Nicht einmal 48 Stunden nach<br />
Schließung der Wahllokale – und einen<br />
Tag bevor die Fraktion über die eigene<br />
Führung entscheiden kann.<br />
Gabriels Kollegen in der SPD-Spitze<br />
sind vor den Kopf gestoßen. Unmittelbar<br />
nach Ende der Sitzung greifen zahlreiche<br />
Genossen zu ihrem Handy, für viele hat<br />
der Parteichef mal wieder einen Alleingang<br />
hingelegt, ohne Rücksprache in den<br />
engeren Führungszirkeln, ohne Diskus -<br />
sion im Parteivorstand. Aber niemand<br />
hatte den Mut, ihn offen zu kritisieren:<br />
Der Konvent wird ohne Gegenstimme beschlossen.<br />
In der Regel trifft nach einer Bundestagswahl<br />
die Fraktion die erste Entscheidung<br />
– am Dienstag mit der Wahl ihres<br />
Vorsitzenden. Die Partei muss warten. So<br />
hat es Tradition, und so sicherten sich Angela<br />
Merkel 2005 in der Union und Frank-<br />
Walter Steinmeier 2009 in der SPD nach<br />
desolaten Wahlergebnissen die Macht.<br />
Doch genau das will Gabriel dieses Mal<br />
verhindern. Die Stunden und Tage nach<br />
der Wahl könnten auch über sein politisches<br />
Schicksal entscheiden. Sollte das<br />
Ergebnis für die Sozialdemokraten dramatisch<br />
schlecht ausfallen, muss Gabriel<br />
um den Parteivorsitz fürchten. Kein Szenario<br />
wäre dann gefährlicher als dieses:<br />
Ein Kanzlerkandidat, der sich aus dem<br />
Staub macht, ein Fraktionschef, der sich<br />
rasch im Amt bestätigen lässt, und ein<br />
Parteivorsitzender, auf den allein sich der<br />
Frust über eine ern<strong>eu</strong>te Niederlage konzentriert.<br />
Mit dem kleinen Parteitag verbündet<br />
sich Gabriel mit dem Mittelbau der Partei.<br />
Im Konvent kann er auf Unterstützung<br />
hoffen, selbst bei einem schlechten Wahlergebnis.<br />
So ist der Vorstoß auch eine<br />
Kampfansage, nicht zuletzt an Frank-<br />
Walter Steinmeier. Der hatte sich vor vier<br />
Jahren noch am Abend der Niederlage<br />
im Schulterschluss mit Franz Müntefering<br />
zum Fraktionschef ausgerufen – obwohl<br />
er das schlechteste Ergebnis seit 1949 geholt<br />
hatte. Ein zweites Mal soll ihm das<br />
nicht gelingen.<br />
Bisher hatte Steinmeier gehofft, mit<br />
den Abgeordneten im Rücken von den<br />
Folgen einer möglichen Wahlpleite verschont<br />
zu bleiben. Doch dieser Plan ist<br />
perdu. Bevor der Fraktionschef sich wiederwählen<br />
lassen könnte, muss er sich<br />
nun den Funktionären stellen – mit ungewissem<br />
Ausgang. Ein Konvent von<br />
rund 200 Delegierten ist unkalkulierbar.<br />
Die Abrechnung wird dieses Mal nicht in<br />
den Hinterzimmern, sondern auf offener<br />
Parteibühne stattfinden.<br />
Mit dem Konvent hofft Gabriel den<br />
Parteivorsitz für sich zu retten. Dafür hat<br />
er in letzter Zeit Verbündete gewonnen:<br />
Die Parteilinke hat ihre Zuneigung zum<br />
Vorsitzenden entdeckt. Mit ihm als starkem<br />
Mann, so das Kalkül, ließe sich nach<br />
der Bundestagswahl ein echter Linkskurs<br />
umsetzen.<br />
Und auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin<br />
Hannelore Kraft, sonst<br />
gern anderer Meinung als Gabriel, ist unverhofft<br />
zur Verbündeten geworden. Sie<br />
hat kein Interesse an einem Sturz Gabriels,<br />
weil sie dann, so ihre Sorge, möglicherweise<br />
selbst SPD-Chefin werden<br />
müsste. Kraft hat Respekt vor Berlin. Sie<br />
fürchtet, dasselbe Schicksal zu erleiden<br />
wie Kurt Beck oder Matthias Platzeck,<br />
die als Parteichefs in der Hauptstadt nie<br />
wirklich ankamen.<br />
Geht es nach Gabriel, ist der Konvent<br />
erst der Anfang. Sollten es die Mehrheiten<br />
bei der Wahl ergeben, will er die Partei<br />
in einem Mitgliederentscheid über die<br />
ungeliebte Große Koalition entscheiden<br />
lassen. Dass der Ausgang einer solchen<br />
Abstimmung offen wäre, stört ihn dabei<br />
keineswegs. So oder so könnte er sich an<br />
die Spitze der Bewegung setzen.<br />
Als der Vorstand am Montag den Konvent<br />
beschloss, fehlte in der Sitzung nicht<br />
nur Steinmeier, auch Spitzenkandidat<br />
Peer Steinbrück war gerade nicht im<br />
Raum. Für ihn kommt die Debatte zur<br />
Unzeit: Schon wieder befasst sich die<br />
SPD mit einer möglichen Niederlage.<br />
HORAND KNAUP, GORDON REPINSKI