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Autorin Cahalan SACHBÜCHER Irre Eine amerikanische Reporterin wird plötzlich psychotisch und nur mit Glück geheilt. In einem Buch erzählt sie von ihrer Exkursion in den Wahnsinn. Die Frau in dem Video sieht aus wie sie, wie Susannah Cahalan. Sie liegt in einem Krankenhausbett und trägt ein Krankenhausnachthemd. Ihre Stimme klingt verzweifelt und hyste - risch. „Ich bin in den Nachrichten!“, wimmert die Frau und zeigt panisch auf den Fernseher. Sie glaubt, dass draußen vor der Klinik Übertragungs wagen stehen, ein Heer von Paparazzi und Reportern, die über sie berichten. Die Frau klammert die Hände vors Gesicht, wirft sich zur Seite: Alle sind hinter ihr her. Doch es gibt keinen Übertragungs - wagen vor dem Krankenhaus, keine Paparazzi, es gibt keine Nachrichten über sie. All das existiert nur in ihrer Einbildung. Sie glaubt, die anderen machten ihr das Leben zur Hölle. Doch der Teufel steckt in ihr. Es gibt nur dieses Video der Patientin im Bett. Die Ärzte im Krankenhaus haben die Wahnvorstellungen von Susannah Cahalan per Kamera dokumentiert. Erst nach ihrer Heilung hat sich Cahalan diese Aufnahmen immer wieder angesehen. Noch heute findet sie das Material gruselig. Diese Frau ist sie – und sie ist es auch nicht. Cahalan erinnert sich nicht, diese Frau dort im Video gewesen zu sein, sie erinnert sich aber an ihre Halluzina - tion. Sie nennt die Frau in dem Video ein Monster. Sie sagt „sie“, wenn sie über die Frau spricht, nicht „ich“. Sie sagt: „Das ist der elektronische Beweis für meinen Monat im Wahn.“ Was sie damals erlebte, wie sie zum Monster wurde und wie sie geheilt wurde, das hat die 28-jährige Reporterin der „New York Post“, der das alles zustieß, zu einem Buch verarbeitet: „Brain on Fire – My Month of Madness“ war in den USA auf der Bestsellerliste der „New York Times“, nun erscheint es auf Deutsch 112 unter dem Titel „Feuer im Kopf – Meine Zeit des Wahnsinns“*. Der Teufel kam vor vier Jahren in ihren Körper. Er fühlte sich an wie eine Grippe. Sie spürte einen scharfen Schmerz im Kopf, ihre Beine wurden schwach. Sie konnte nicht schlafen, nichts essen. Sie schwankte zwischen Betrübtheit und Begeisterung. Ihre linke Hand fing an zu kribbeln, wurde taub, dann der linke Fuß. Ein Arzt tippte auf Pfeiffersches Drüsen - fieber. Sie wurde vergesslich, unruhig, aggressiv. Sie sah die Wände ihres Büros auf sich zukommen. Sie bekam Krampfanfälle. Ein Arzt sagte, sie feiere zu viel, typische Symptome eines Alkoholentzugs. Sie zweifelte an sich, vielleicht war alles zu viel: das Leben in Manhattan, die Arbeit beim Boulevardblatt, der neue Freund. Sie diagnostizierte sich selbst: bipolare Störung. Die Ärzte im Krankenhaus glaubten an eine Psychose. Sie analysierten Urin und Blut, schauten mit Magnet resonanztomografen ins Gehirn, untersuchten Nerven wasser aus dem Patientin Cahalan im Krankenhaus „Ich habe Macht“ DER SPIEGEL 33/2013 MIKE MCGREGOR / CONTOUR BY GETTY IMAGES Rückenmarks kanal. Alle Tests: negativ. Sie sprach nur noch verworren, ihre Zunge verdrehte sich, sie faselte, sabberte, gab meist nur noch Silben von sich, manchmal auch nur ein Grunzen. Sie lag nur da, stumm und starr. Sie schien verloren, die Ärzte zweifelten, ob sie sie jemals retten könnten. Die Liste der Krankheiten, an denen sie nicht litt, wurde länger. Nach drei Wochen in der Klinik zeigte eine Unter suchung: Das Gehirn ist entzündet. An der New Yorker Uni-Klinik war Susannah Cahalan die erste Patientin, bei der eine spezielle Autoimmunerkrankung festgestellt wurde. Die 217. weltweit. Erst 2007 ist die Krankheit entdeckt worden. Cahalan konnte geheilt werden. Cahalan hat während der Recherche über ihr Leben mit der Krankheit Hunderte Gespräche mit Ärzten, Pflegern, mit ihrer Familie und ihren Freunden geführt, hat das Klinik-Notizbuch gelesen, das ihre geschiedenen Eltern führten, um sich auszutauschen. Sie hat über ihr aufgelöstes Selbst geforscht, um das aufzuarbeiten, was sie verpasst hat, zum Beispiel diesen Abend im März 2009: Mit ihrem Freund Stephen liegt sie auf der Couch, sie schauen eine Reality-Show. Cahalan versucht zu entspannen, sie hat beim Essen keinen Bissen Nudeln herunterbekommen, sie raucht eine Zigarette nach der anderen und sieht auf dem Bildschirm, wie Gwyneth Paltrow in einem dünnflüssigen Ziegenmilchjoghurt herumstochert. Plötzlich wird es dunkel. Als Stephen mir vorschlug, ich solle versuchen, mich zu entspannen, wandte ich ihm mein Gesicht zu, wobei ich wie besessen durch ihn hindurchstarrte. Plötzlich schlugen meine Arme gestreckt nach vorne aus, mein Körper versteifte sich, ich schnappte nach Luft. Mein Körper versteifte sich weiter, als ich wiederholt einatmete, ohne jedoch auszuatmen. Durch die zusammengebissenen Zähne quollen Blut und Schaum aus meinem Mund. Es ist der erste schwere Blackout, Beginn ihrer verlorenen Zeit. Cahalan hat sie recherchiert und rekonstruiert, als handelte es sich nicht um ihr Ich, sondern um eine dritte Person. Eine schwierige Recherche. Sie erinnert sich an ein orangefarbenes Bändchen mit der Aufschrift „Fluchtgefahr“, das sie um ihr Handgelenk trug. Die Schwestern und Ärzte erzählten ihr, dass es solche Bändchen nicht gibt. Während Cahalan versucht, Tatsachen von Fiktion zu unterscheiden, merkt sie, wie viel sie sich eingebildet hat. Sie entfernt sich immer mehr von dieser kranken Susannah, aber die Wahngedanken, die die kranke Susannah hatte, sind immer noch da, so als ob dieses zweite Ich ihr sagte: Ich bin gegangen, aber nicht vergessen. * Susannah Cahalan: „Feuer im Kopf – Meine Zeit des Wahnsinns“. MVG Verlag; 272 Seiten; 17,99 Euro.
Kultur Die Schilderungen ihrer Halluzina - tionen, ihrer Paranoia sind die stärksten Abschnitte im Buch: Ich muss pinkeln. Ich schnappe meinen rosa Rucksack, ziehe die Schnur heraus und gehe zur Gemeinschaftstoilette. Als ich meine schwarzen Leggins und meinen Slip bis zu den Knien hinunterschiebe, werde ich das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Ich schaue nach rechts – ein großes braunes Auge starrt mich durch einen Schlitz in der Tür an. „Hau ab, verdammt noch mal!“ Ich bedecke meine Blöße, ziehe meine Hosen wieder hoch und renne zurück ins Bett, ziehe mir die Decke bis über die Augen. (…) Alle wollen mich kriegen. Ich bin hier nicht sicher. Sie glaubt, dass ihre Zimmernachbarin sie ausspioniert und Informationen an die Medien weitergibt. Sie glaubt, dass ihr Vater ein Betrüger und Entführer ist, dass er ihre Stiefmutter umgebracht hat. Sie glaubt, dass sie eine besondere Gabe hat. Ich starre auf die Wangenknochen der Ärztin und ihre hübsche olivfarbene Haut. Ich starre fester, fester und noch fester. Ihr Gesicht wirbelt vor mir herum. Strähne für Strähne ergraut ihr Haar. Falten, zuerst nur um die Augen, dann um ihren Mund und über ihre Wangen durchziehen jetzt ihr ganzes Gesicht (…) Ich habe eine Gabe. Ich kann Leute mit meinem Geist altern lassen. Das bin ich. Das können sie mir nicht nehmen. Ich habe Macht. Vielleicht wäre Cahalan heute tot, zumindest aber wäre sie wohl in einer geschlossenen Anstalt, wäre nicht ein Neurologe zu dem Fall neu hinzugezogen worden. Als er zu ihr kommt, macht er einen simplen Test: Er bittet sie, eine Uhr auf ein Blatt Papier zu zeichnen. Sie quetscht alle Zahlen auf die rechte Hälfte: Da, wo eine Sechs stehen müsste, steht die Zwölf. Das ist es. Testergebnis: positiv. Die rechte Gehirnhälfte, zuständig für das linke Gesichtsfeld, ist entzündet. „Ihr Gehirn steht in Flammen“, sagt der Doktor. „Ihr Gehirn wird von Ihrem eigenen Körper angegriffen.“ Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis. Der Teufel hat jetzt einen Namen. Wie er in ihren Körper gekommen ist, bleibt ein Rätsel: Das Immunsystem, das eigentlich schützen soll, hat die Nervenzellen im Gehirn attackiert. Wahrscheinlich war es eine genetische Veranlagung zusammen mit einem äußeren Auslöser. Sie bekommt Medikamente und fängt ein halbes Jahr später an zu arbeiten. Sie sieht sich ein erstes Mal die Videos aus dem Krankenhaus an. Sie schämt sich. Heute hält Cahalan Vorträge in Universitäten und Krankenhäusern, immer wieder zeigt sie die Aufnahmen. Ihre Krankheit, sagt sie, sei auch ein Geschenk gewesen. SONJA HARTWIG Bestseller Belletristik 1 (1) Dan Brown Inferno Lübbe; 26 Euro 2 (2) Kerstin Gier Silber – Das erste Buch der Träume Fischer JB; 18,99 Euro 3 (3) Timur Vermes Er ist wieder da Eichborn; 19,33 Euro 4 (4) Nina George Das Lavendelzimmer Knaur; 14,99 Euro 5 (5) Martin Suter Allmen und die Dahlien Diogenes; 18,90 Euro 6 (15) Alex Capus Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer Hanser; 19,90 Euro Ein Pazifist, eine Musikantentochter und ein Kunststudent: drei Schweizer Biografien in einem Roman 7 (9) Dora Heldt Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen! dtv; 17,90 Euro 8 (8) Stephen King Joyland Heyne; 19,99 Euro 9 (10) John Green Das Schicksal ist ein mieser Verräter Hanser; 16,90 Euro 10 (6) Donna Leon Tierische Profite Diogenes; 22,90 Euro 11 (16) Suzanne Collins Die Tribute von Panem – Gefährliche Liebe Oetinger; 18,95 Euro 12 (11) Eugen Ruge Cabo de Gata Rowohlt; 19,95 Euro 13 (17) Hans Pleschinski Königsallee C. H. Beck; 19,95 Euro 14 (14) Suzanne Collins Die Tribute von Panem – Flammender Zorn Oetinger; 18,95 Euro 15 (7) Joachim Meyerhoff Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war Kiepenheuer & Witsch; 19,99 Euro 16 (12) Anne Gesthuysen Wir sind doch Schwestern Kiepenheuer & Witsch; 19,99 Euro 17 (13) Volker Klüpfel/Michael Kobr Herzblut Droemer; 19,99 Euro 18 (–) Kerstin Gier Saphirblau – Liebe geht durch alle Zeiten Arena; 16,99 Euro 19 (–) Kerstin Gier Smaragdgrün – Liebe geht durch alle Zeiten Arena; 18,99 Euro 20 (18) Martin Walker Femme fatale Diogenes; 22,90 Euro Im Auftrag des SPIEGEL wöchentlich ermittelt vom Fachmagazin „buchreport“; nähere Informationen und Auswahl - kriterien finden Sie online unter: www.spiegel.de/bestseller Sachbücher 1 (1) Florian Illies 1913 – Der Sommer des Jahrhunderts S. Fischer; 19,99 Euro 2 (4) Rolf Dobelli Die Kunst des klaren Denkens Hanser; 14,90 Euro 3 (3) Meike Winnemuth Das große Los Knaus; 19,99 Euro 4 (5) Hannes Jaenicke Die große Volksverarsche Gütersloher Verlagshaus; 17,99 Euro 5 (2) Bronnie Ware 5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen Arkana; 19,99 Euro 6 (6) Markus Gabriel Warum es die Welt nicht gibt Ullstein; 18 Euro 7 (8) Eben Alexander Blick in die Ewigkeit Ansata; 19,99 Euro 8 (7) Dieter Nuhr Das Geheimnis des perfekten Tages Bastei Lübbe; 14,99 Euro 9 (10) Dirk Müller Showdown Droemer; 19,99 Euro 10 (–) Ruth Maria Kubitschek Anmutig älter werden Nymphenburger; 19,99 Euro Wenn Gelassenheit auf Weisheit trifft: Schönheitstipps der 82-jährigen Schauspielerin 11 (12) Rolf Dobelli Die Kunst des klugen Handelns Hanser; 14,90 Euro 12 (9) Hans-Olaf Henkel Die Euro-Lügner Heyne; 19,99 Euro 13 (–) Gerd Ruge Unterwegs – Politische Erinnerungen Hanser; 21,90 Euro 14 (11) Richard David Precht Anna, die Schule und der liebe Gott Goldmann; 19,99 Euro 15 (14) Guillem Balagué Pep Guardiola C. Bertelsmann; 19,99 Euro 16 (17) Frank Schirrmacher Ego – Das Spiel des Lebens Blessing; 19,99 Euro 17 (13) Wilhelm Schlötterer Wahn und Willkür Heyne; 19,99 Euro 18 (–) Ronald Reng Spieltage Piper; 19,99 Euro 19 (–) Hubert Wolf Die Nonnen von Sant’Ambrogio C. H. Beck; 24,95 Euro 20 (19) Andreas Platthaus 1813 – Die Völkerschlacht und das Ende der alten Welt Rowohlt Berlin; 24,95 Euro DER SPIEGEL 33/2013 113
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