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Es ist Tag eins nach dem Verkauf der<br />
„Washington Post“ an den Internetunternehmer<br />
Jeff Bezos, und die<br />
Zeitungen schlagen bereits den Ton von<br />
Geschichtsbüchern an. „Zäsur“, „Zeitenwende“,<br />
„Ära“. Bezos wird als „Retter<br />
aus dem Internet“ bejubelt, der nicht nur<br />
an die „Washington Post“ glaube, sondern<br />
an die Zukunft der Zeitung ganz allgemein.<br />
In Washington sichern sich die „Post“-<br />
Mitarbeiter rasch noch ein persönliches<br />
Exemplar ihres Blattes mit der Titelzeile<br />
„Grahams to sell the ,Post‘“, das jetzt<br />
schon als historisch gilt. Morgens um<br />
n<strong>eu</strong>n Uhr sind die Zeitungskörbe im Verlagsgebäude<br />
– sonst den ganzen Vormittag<br />
über gutgefüllt – bereits leergeräumt.<br />
<strong>D<strong>eu</strong>tschland</strong>s Journalisten sind ähnlich<br />
aufgeschreckt wie ihre US-Kollegen. Immerhin<br />
ist es erst zwei Wochen her, dass<br />
Springer sich von einem Schwung international<br />
eher unbed<strong>eu</strong>tender Blätter für<br />
eine knappe Milliarde Euro trennte. Und<br />
nun geht ein Weltsymbol für investigativen<br />
Journalismus für den lächerlichen<br />
Preis von 250 Millionen Dollar (etwa 190<br />
Millionen Euro) weg. An ein Weltsymbol<br />
für das Revolutionieren oder – je nach<br />
Perspektive – Zerstören einer anderen<br />
Printbranche, des Buchmarkts.<br />
An Tag vier nach dem Deal ist die Debatte<br />
noch keinen Millimeter weiter. Journalisten<br />
und Zeitungen machen das, was<br />
sie am besten können: Sie kreisen um<br />
sich selbst. Kaum einer stellt die naheliegende<br />
Frage: Was hat Bezos von dem<br />
Deal?<br />
Seit einiger Zeit ist eine d<strong>eu</strong>tliche<br />
Tendenz zu beobachten: Die führenden<br />
Köpfe des Silicon Valley, schwerreich, erfolgsverwöhnt<br />
und ökonomisch mit die<br />
mächtigsten US-Manager, sind zunehmend<br />
bemüht, ihren wirtschaftlichen und<br />
kulturellen Einfluss auf die politische<br />
Bühne zu übertragen.<br />
Bislang war das Motto der Weltveränderer<br />
im Silicon Valley: Wozu sich<br />
einmischen in Washington, wo es nur<br />
die Mittelmäßigen hinverschlägt, die<br />
nicht wirklich etwas bewegen?<br />
Aber zunehmend haben einige der<br />
führenden Köpfe durchblicken lassen,<br />
dass sie anders denken. Sie merken, dass<br />
die von ihnen gest<strong>eu</strong>erte digitale Revolution<br />
tatsächlich die Welt verändert. Dass<br />
sie ihren Glauben an die Berechenbarkeit<br />
von allem und jedem, ihre Philosophie<br />
der totalen Transparenz in Realität umsetzen<br />
können – dass sie dafür aber politischen<br />
Einfluss benötigen.<br />
Es sind die großen Namen der Branche,<br />
die mit einem Mal Gefallen am politischen<br />
Geschäft und politischer Debatte<br />
finden: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg<br />
und seine Vertraute Sheryl Sandberg,<br />
Yahoo-Chefin Marissa Mayer, Google-<br />
Mann Eric Schmidt – also die geballte<br />
ökonomische und technologische Kraft<br />
8,5 Mrd. $ 1,65<br />
2011<br />
30<br />
Mio. $<br />
2013<br />
250<br />
Mio. $<br />
2013<br />
Wirtschaft<br />
dessen, wofür das Silicon Valley symbolhaft<br />
steht.<br />
Auch Bezos ist so ein Typ. Auch wenn<br />
er 1300 Kilometer abseits des Valley residiert.<br />
Einer mit einer unternehmerischen<br />
Vision, die längst nicht mehr bloß unternehmerisch<br />
ist. Seine Idee von der absoluten<br />
Verfügbarkeit aller Waren zu jeder<br />
Zeit an jedem Ort, der er alles unterordnet,<br />
ist in Wahrheit ein politisches Projekt.<br />
Es ist das Projekt eines Kommerzes<br />
ohne Einschränkung.<br />
Bezos arbeitet unermüdlich an seinem<br />
Reich. Er ist ja längst nicht mehr nur der<br />
Herrscher des weltweiten Online-Handels,<br />
sondern ist beteiligt an Weltraumprojekten,<br />
an der Erforschung des Quantencomputers<br />
und Dutzenden anderen Innova -<br />
tions-Dingen. Zudem kommt Amazon das<br />
politische Tagesgeschäft immer häufiger<br />
in die Quere. Hier werden Mehrwert -<br />
st<strong>eu</strong>erprivilegien in Frage gestellt, dort<br />
wird das Preismodell für E-Books kritisiert.<br />
„Die Ironie ist, dass viele von uns in<br />
Studententagen politisch aktiv waren“,<br />
sagt Kevin Hartz. Er weiß genau, was das<br />
Silicon Valley bewegt. Wenige sind an so<br />
vielen Erfolgsgeschichten der vergangenen<br />
Jahre beteiligt wie er. Seitdem Hartz<br />
bereits Ende der n<strong>eu</strong>nziger Jahre sein erstes<br />
IT-Unternehmen verkaufte, hat er immer<br />
wieder früh in Start-ups investiert,<br />
die auch dank seiner Hilfe zu globalen<br />
Größen aufstiegen: PayPal, Airbnb (siehe<br />
Seite 80), Pinterest – unter anderem.<br />
Die Politik sei lange als „aufgeblasener,<br />
bürokratischer Prozess“ wahrgenommen<br />
Billiges Papier<br />
Kaufpreise von Internetunternehmen<br />
verglichen<br />
mit der „Washington Post“<br />
315<br />
Mio. $<br />
2010<br />
580<br />
Mio. $<br />
2005<br />
Mrd. $<br />
2006<br />
715<br />
Mio. $<br />
2012<br />
worden, sagt Hartz. Als Technologie -<br />
unternehmer lasse sich mehr bewegen,<br />
fänden die klugen Köpfe im Silicon Valley.<br />
„Jetzt aber wird realisiert, dass wir<br />
mehr Einfluss nehmen müssen in Washington.<br />
Wir verstehen nur die dortigen<br />
Mechanismen noch nicht genau, das lernen<br />
wir gerade.“<br />
Doch es sei klar: Ähnlich wie man hier<br />
ständig auf der Suche nach technischen<br />
N<strong>eu</strong>erungen sei, müsse nun ein innovativer<br />
Ansatz für den Umgang mit Politik<br />
und Regierung gefunden werden. Der<br />
Kauf einer einflussreichen Zeitung mitsamt<br />
ihrem Renommee ist so ein Ansatz,<br />
zwar kein wirklich innovativer, aber ein<br />
relativ billiger. Die Preise von Zeitungen<br />
sind rasant gefallen. 2007 war dem Milliardär<br />
Sam Zell die Tribune-Gruppe, zu<br />
der die „Chicago Tribune“ und die „Los<br />
Angeles Times“ gehören, noch sagenhafte<br />
8,2 Milliarden Dollar wert. Und in<br />
<strong>D<strong>eu</strong>tschland</strong> wurden im gleichen Jahr für<br />
die „Braunschweiger Zeitung“ noch 210<br />
Millionen Euro aufgerufen, d<strong>eu</strong>tlich mehr,<br />
als die „Post“ jetzt wert sein soll.<br />
Doch die Branche redet sich weiter<br />
Mut zu, hofft auf Retter Bezos und merkt<br />
kaum, dass der Verkauf einer ihrer Ikonen<br />
in der anderen Branche, von der sie<br />
aufgesogen wird, lediglich noch eine<br />
Randnotiz ist. Kann sein, dass Bezos die<br />
Zeitung rettet, aber das ist bloß ein Nebeneffekt.<br />
Bei der „Post“ beantwortete Chefredakt<strong>eu</strong>r<br />
Martin Baron in der vergangenen<br />
Woche Fragen aus seiner Belegschaft. Er<br />
erwarte „n<strong>eu</strong>e große Ideen“ von Bezos,<br />
sagte er. „Er investiert in uns, weil er eine<br />
große unternehmerische Gelegenheit<br />
sieht.“ Gesprochen mit dem n<strong>eu</strong>en Eigentümer<br />
hatte er da noch nicht, aber er gab<br />
sich notorisch optimistisch. Bezos habe<br />
„nicht nur den Buchmarkt, sondern<br />
auch den gesamten Einzelhandel umgekrempelt“,<br />
so Baron. „Das war revolutionär.“<br />
Ein solcher Unternehmer<br />
kaufe sich für 250 Millionen<br />
Dollar nicht einfach nur ein<br />
Spielz<strong>eu</strong>g.<br />
Vielleicht kein Spielz<strong>eu</strong>g.<br />
1,1<br />
Mrd. $<br />
2013<br />
1,0<br />
Mrd. $<br />
2013<br />
Aber ein Werkz<strong>eu</strong>g? Der<br />
Amazon-Gründer wäre ja<br />
nicht der erste Protagonist<br />
der Digitalbranche, der sich<br />
nicht mehr damit zufriedengeben<br />
will, die digitale Revolution<br />
bloß ökonomisch<br />
und gesellschaftlich voranzutreiben.<br />
Es ist nach der<br />
technologischen auch die intellektuelle<br />
Umwälzung, die im<br />
Silicon Valley jetzt alle anzustreben<br />
scheinen. Und das ironischerweise am<br />
liebsten immer noch mit den alten Mitteln<br />
der politischen Debatte – bedrucktem<br />
Papier.<br />
Im Frühjahr veröffentlichte Google-<br />
Chairman Eric Schmidt gemeinsam mit<br />
DER SPIEGEL 33/2013 73