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Aktivistinnen Karantza, Xydia in Athen*: „Sie haben uns behandelt wie unmündige Kinder“<br />

Es gibt da eine Frage, die Mary Karantza<br />

schon seit längerem umtreibt,<br />

sie stellt sie auch an diesem August-<br />

Nachmittag wieder. Diesmal allerdings<br />

laut. Die Frage lautet: Was unterscheidet<br />

Griechenland von Rest <strong>eu</strong>ropa?<br />

Warum ticken die Griechen anders als<br />

die D<strong>eu</strong>tschen? Warum leben sie jahrelang<br />

unbekümmert über ihre Verhältnisse,<br />

verweigern ihrem Staat die St<strong>eu</strong>ern und<br />

werfen ihren Müll ungetrennt in große<br />

Container, obwohl sie wissen, dass er auf<br />

illegalen Deponien entsorgt wird?<br />

Karantza sitzt in ihrem hellen, loft -<br />

artigen Büro, der Weg dorthin führt<br />

durchs Zentrum Athens, ein Stahltor mit<br />

Gegensprechanlage sichert den Zugang<br />

zum Gebäude. Die Junkies hier in Psiri,<br />

so erklärt Karantza, spritzten sich seit kur-<br />

* Im einst verwahrlosten Teil der Hauptstadt in einer<br />

Gasse, die sie mit n<strong>eu</strong>en Lampen versahen.<br />

92<br />

GRIECHENLAND<br />

Lebenszeichen aus Athen<br />

Die Krise hat eine Generation von jungen, aufbegehrenden<br />

Bürgern hervorgebracht. Dem Stillstand begegnen<br />

sie mit Gemeinsinn, Kooperativen und kreativen Ideen.<br />

DER SPIEGEL 33/2013<br />

zem einen Cocktail, versetzt mit Batteriesäure.<br />

Seither seien sie unberechenbar.<br />

Mit ihren Fragen will die 33-jährige<br />

Designerin, schmal und im schwarzen Jerseykleid,<br />

nicht etwa unfr<strong>eu</strong>ndliche Klischees<br />

über die Griechen aufzählen, im<br />

Gegenteil. Sie will mit diesen Klischees<br />

aufräumen, der Moment dafür sei gekommen,<br />

sagt sie. Ihr Loft dient als Labor.<br />

Das Experiment: eine griechische Zivilgesellschaft<br />

aufzubauen. Karantza ist, zusammen<br />

mit Ähnlichdenkenden, Pionierin<br />

dieser n<strong>eu</strong>en Bewegung.<br />

An einer Glasscheibe in ihrem Büro<br />

klebt in dicken, roten Lettern ein Bukowski-Zitat:<br />

„A chance for change is<br />

some where.“ Irgendwo existiert eine<br />

Chance auf Veränderung.<br />

Man muss sie nur suchen. Für Karantza<br />

bed<strong>eu</strong>tet die Krise diese Chance. Sie hat,<br />

gemeinsam mit Stephania Xydia, 26,<br />

„Imagine the City“ gegründet. Die Nichtregierungsorganisation<br />

ist eine Koordinierungsstelle<br />

für Bürgerinitiativen, zugleich<br />

aber auch eine Art Umerziehungsmaßnahme<br />

mit dem Ziel eines besseren<br />

Managements in Städten und Dörfern.<br />

Die Griechen, sagt Stephania Xydia,<br />

hätten nie gelernt, sich am öffentlichen<br />

Leben zu beteiligen, es selbst zu gestalten.<br />

„Der Staat hat uns behandelt wie unmündige<br />

Kinder, und die meisten waren froh<br />

darüber.“ Sie selbst ist in Luxemburg aufgewachsen,<br />

hat in England studiert. Erst<br />

2011 ist sie nach Athen zurückgekehrt,<br />

ihren Job als Unternehmensberaterin in<br />

London hat sie aufgegeben. Ihren Eltern<br />

war das nicht recht. Was willst du in<br />

Athen?, fragten sie. Etwas tun, antwortete<br />

die Tochter.<br />

Jetzt hält sie gemeinsam mit Karantza<br />

die lokalen Behörden in ganz Griechenland<br />

auf Trab. Seit es „Imagine the City“<br />

gibt, können die Bürger untereinander<br />

leichter Informationen austauschen, Gutachten<br />

und Statistiken etwa. Bürgermeister<br />

können nun nicht mehr schnell ein<br />

n<strong>eu</strong>es Rathaus oder einen n<strong>eu</strong>en Dorfplatz<br />

bauen, Dinge, die niemand braucht<br />

– außer den Verantwortlichen, die die<br />

Aufträge ihren Fr<strong>eu</strong>nden zuschanzen.<br />

Es bewegt sich etwas in Griechenland<br />

in diesen Monaten. Es wird nicht mehr<br />

nur gestreikt, gezetert und aus Protest<br />

mit Joghurt geschmissen. Es bildet sich,<br />

ausgelöst durch die Krise, ein n<strong>eu</strong>es Be-<br />

NIKOS PILOS / DER SPIEGEL

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