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Serie<br />

Menschen zu sagen, der keine schwere<br />

Last mehr trägt?<br />

Tine Hördum ist so ein Mensch. In ihrer<br />

Familie gibt es keine Bergarbeiter, sie<br />

fährt auch keinen Opel. Vor einem Café<br />

in Köln bindet sie ihr Fahrrad an einem<br />

Laternenpfahl fest. Sie setzt sich lachend<br />

auf einen Stuhl und steckt die Sonnenbrille<br />

ins Haar. Sie sagt, sie mag den Sommer.<br />

Tine Hördum ist 30 Jahre alt, seit<br />

2012 ist sie im Landesvorstand der SPD.<br />

Tine Hördum machte auf sich auf -<br />

merksam, weil sie die erste Frau war, die<br />

in Köln die Juso-Gruppe leitete, in der<br />

dann die Zahl der Mitglieder überraschend<br />

stark stieg. Sie wohnt in Köln-<br />

Rodenkirchen, einem sehr bürgerlichen<br />

Viertel, frei von sozialen Schäden. Zwischen<br />

Tine Hördum in Köln-Rodenkirchen<br />

und Rudi Malzahn in Bochum-<br />

Hamme gibt es keine Verbindung außer<br />

dem Parteibuch.<br />

Man müsste Tine Hördum mühevoll erklären,<br />

wie eine Kokerei funktioniert.<br />

Viele Menschen verstehen nicht sofort,<br />

was sie meint, wenn sie mit einer ihrer<br />

liebsten Abkürzungen um sich wirft:<br />

ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr).<br />

Bei den Kölner Stadtwerken ist sie<br />

für Europapolitik zuständig. Europa beschäftigt<br />

sie sehr. Sie hat Fr<strong>eu</strong>nde in Italien,<br />

sie hat einen dänischen und einen<br />

68<br />

d<strong>eu</strong>tschen Pass. Oft hat sie in Brüssel zu<br />

tun. Das ist die berufliche Seite.<br />

Die sozialdemokratische Seite ist anders.<br />

Sobald sie sich für Familien in sozialen<br />

Brennpunkten einsetzt, muss sie<br />

das Viertel verlassen, in dem sie lebt. Sie<br />

muss sich für Menschen interessieren, die<br />

Schwierigkeiten haben, die Miete zu zahlen.<br />

Sie muss sich aus ihrem eigenen Leben<br />

entfernen. Sie vertieft sich in Probleme,<br />

die nicht ihre sind. Das ist ein poli -<br />

tischer Auftrag, und den nimmt sie ernst.<br />

Sie sagt, sie sei in die SPD eingetreten,<br />

weil das die Partei des sozialen Zusam-<br />

Stahlarbeiter in Duisburg<br />

menhalts sei. Sie ist bereit, bis Bochum-<br />

Hamme zu denken, auch wenn ihr Brüssel<br />

näherliegt.<br />

Eine junge Sozialdemokratin, die in<br />

<strong>eu</strong>ropäischen Kategorien denkt, fern von<br />

alten Seilschaften, das könnte ein interessanter<br />

Weg sein. Jemand wie Tine Hördum<br />

könnte Modell stehen für eine so -<br />

zialdemokratische Idee, die sich gegen<br />

ihre Beharrungskräfte durchsetzt. Aber<br />

so sind die Verhältnisse in Nordrhein-<br />

Westfalen noch lange nicht, das ist das<br />

sozialdemokratische Dilemma. Was sich<br />

nicht aus der Vergangenheit erschließt,<br />

gilt sofort als verdächtig oder als Verrat.<br />

Man sieht es an Norbert Römer, dem<br />

Fraktionschef der SPD im Landtag. Er ist<br />

Hannelore Krafts wichtigster Vertrauter,<br />

DER SPIEGEL 33/2013<br />

VOLKER HARTMANN / DAPD<br />

66 Jahre alt. Römer war früher Chef der<br />

Bergarbeiterzeitung „Einheit“, ein knochenharter<br />

Lobbyist der Montanindustrie.<br />

Die „Einheit“ war für die SPD an der<br />

Ruhr immer das, was der „Bayernkurier“<br />

für die CSU ist, nicht bloß eine Zeitung,<br />

sondern eine Festung. Wer wie Römer<br />

der „Einheit“ vorstand, hat sich als Planierraupe<br />

bewährt. Manche seiner Genossen<br />

nennen ihn „Hannelores Kettenhund“.<br />

Das Überraschende daran ist, dass<br />

es Kraft gelungen ist, Römer an ihre Kette<br />

zu legen.<br />

Stärker denn je versucht sie, die Fraktion<br />

im Landtag geschlossen auf ihre Linie<br />

zu ziehen. Ein Abgeordneter sagt: „Kraft<br />

hat einen Plan, den kaum jemand kennt.<br />

Römer könnte ihn kennen.“ Der Plan<br />

könnte sein: Bundesvorsitzende der Partei<br />

zu werden, falls SPD-Chef Sigmar Gabriel<br />

am 22. September über eine drastische<br />

Wahlniederlage stürzen sollte. Dann würde<br />

sich die Frage nach der Ern<strong>eu</strong>erung<br />

stellen, und auf Hannelore Kraft käme<br />

die SPD sehr schnell. Bundespolitik, Berlin?<br />

Das hat sie immer dementiert.<br />

Ministerpräsidentin, so bet<strong>eu</strong>ert sie,<br />

werde sie bleiben, und ihre Absage an<br />

Berlin ist auch ein Instrument in Düsseldorf.<br />

Rebellen gibt es in ihrer Fraktion<br />

ohnehin nicht mehr, aber wenn mal ein<br />

Abgeordneter wagt, sich querzustellen,<br />

kommt hinterher Norbert Römer oder<br />

einer seiner Verbündeten und bittet den<br />

Abweichler zum Gespräch. Über die Besoldung<br />

von Beamten wurde im Juli heftig<br />

gestritten. „In der ganzen Debatte“,<br />

sagt ein Abgeordneter, „bewegte sich<br />

Kraft keinen Millimeter. Das ging schon<br />

Richtung Basta-Politik. Sie fühlt sich persönlich<br />

angegriffen, wenn zu viele L<strong>eu</strong>te<br />

nicht ihrer Meinung sind. In dieser Unerbittlichkeit<br />

ähnelt sie inzwischen Wolfgang<br />

Clement.“<br />

Es gibt niemanden in der Fraktion, der<br />

ihr gefährlich werden könnte, niemanden,<br />

der es wagt, sie herauszufordern. Des -<br />

wegen nennen einige SPD-Abgeordnete<br />

sie „Mutti“ – Angela Merkels Spitzname.<br />

Aber das ist ein heimlicher Spott, eine<br />

kleine Gemeinheit, die bloß getuschelt<br />

wird. Dass es sich niemand mit ihr verderben<br />

will, sagt etwas über Hannelore<br />

Krafts Autorität, aber es sagt noch viel<br />

mehr über die Verzagtheit in ihrer Partei.<br />

Krafts Fraktionschef Norbert Römer<br />

drückt es so aus: „Die SPD ist da am<br />

erfolgreichsten, wo sie ganz alt ist und<br />

sich auf ihre Traditionen besinnt.“ Treffender<br />

kann man das Dilemma nicht<br />

beschreiben.<br />

Im nächsten Heft: Regieren im Haifisch -<br />

becken Berlin. Dazu ein Essay über das<br />

Ostd<strong>eu</strong>tsche in Angela Merkel.

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