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Serie<br />

FOTOS: KARSTEN SCHÖNE / DER SPIEGEL<br />

Opel-Betriebsrat Einenkel<br />

Sozialdemokratin Hördum<br />

dadurch unglaubwürdig. Hannelore Kraft<br />

unternimmt gar nicht erst den Versuch,<br />

sich mit ihren Vorgängern in eine Reihe<br />

zu stellen. Ohnehin misstraut sie den alten<br />

Männerbünden der nordrhein-westfälischen<br />

SPD, den Skatrunden und Biertischbeschlüssen,<br />

und deswegen misstraut<br />

sie zugleich einem Teil ihrer eigenen Biografie.<br />

So ist sie ja groß geworden, in Mülheim<br />

an der Ruhr, umgeben von der Stahl -<br />

arbeiter-SPD der siebziger und achtziger<br />

Jahre. Sie kann fünfmal kurz hintereinander<br />

„dat“ und „wat“ sagen – was dann<br />

wie eine Verneigung vor ihrer eigenen<br />

Geschichte wirkt. Aber man würde Hannelore<br />

Kraft unterschätzen,<br />

wenn man annähme, sie führe<br />

nichts im Schilde.<br />

Besucht man sie in ihrem<br />

Büro in Düsseldorf, dann sitzt<br />

man einer auf merksamen<br />

Frau gegenüber, die eine knallrote<br />

Hose trägt und nicht bereit<br />

ist, sich politisch festzu -<br />

legen. Fragt man sie, ob sie für die untere<br />

Hälfte der Gesellschaft Politik mache,<br />

dann antwortet sie: „Nicht ausschließlich.“<br />

Sie handle auch im Sinne der<br />

mittelstän dischen Unternehmer.<br />

Hannelore Kraft spricht von Politik wie<br />

von einer Werkstatt. Politik müsse reparieren,<br />

was kaputtgegangen sei. Sie sagt:<br />

„Ich sehe all die Menschen vor mir, die<br />

es im Leben schwer haben.“ Dafür findet<br />

man in ihrer Politik eine Menge Belege.<br />

Dann, am Ende des Gesprächs, wird sie<br />

<strong>eu</strong>phorisch und sagt über die SPD einen<br />

bemerkenswerten Satz: „Wir sind die Guten.“<br />

Das ist ein Satz, der hängenbleibt.<br />

Man könnte denken, das sei ein flapsiger<br />

Wahlkampf-Slogan, aber sie meint<br />

diesen Satz ernst. Als sich Kraft nach der<br />

66<br />

Landtagswahl im Jahr 2010 mit den Verhandlungsführern<br />

der CDU im Konferenzraum<br />

eines Düsseldorfer Flughafenhotels<br />

traf, um die Chancen für eine gemeinsame<br />

Regierung zu sondieren, ging<br />

es anderthalb Stunden lang allein darum,<br />

den Christdemokraten moralisches Versagen<br />

vorzuhalten. Kraft regte sich damals<br />

über ein „Kraftilanti“-Wahlplakat<br />

der CDU auf, das sie als ätzenden Spott<br />

empfunden hatte. Beobachter erinnern<br />

sich daran, wie unablässig Hannelore<br />

Kraft die CDU-Politiker in jeder der gemeinsamen<br />

Sitzungen zu einer Katharsis<br />

nötigen wollte, bevor sie bereit war, über<br />

Inhalte zu reden. Die politische Stärke<br />

ALLES, WAS SICH NICHT AUS<br />

DER VERGANGENHEIT ERGIBT, GILT<br />

ALS VERDÄCHTIG. DAS IST DAS<br />

SOZIALDEMOKRATISCHE DILEMMA.<br />

war ihr nicht genug, auch moralisch musste<br />

sie gewinnen.<br />

„Wir sind die Guten.“ Das könnte die<br />

Losung des Jahres 2013 werden. Jeder<br />

möchte gut sein, moralisch überlegen. Sogar<br />

die Anti-Euro-Partei Alternative für<br />

<strong>D<strong>eu</strong>tschland</strong> plakatierte den Satz auf eine<br />

Wand in einer Versammlungshalle. Selbst<br />

Politiker, die aus der Politik geflohen sind,<br />

wie der ehemalige Hamburger Bürgermeister<br />

Ole von B<strong>eu</strong>st, bemühen mora -<br />

lische Kategorien, um ihre Motive zu veredeln.<br />

Die Guten sind überall. Nur: Was<br />

ändert sich dadurch?<br />

Die Sozialdemokratie ist zu einem unscheinbaren<br />

Gast geworden an einem Ort,<br />

der ihr eigentlich gehören müsste, den<br />

Opel-Werken in Bochum. Die Stadt wird<br />

DER SPIEGEL 33/2013<br />

von der SPD regiert, seit es die Bundesrepublik<br />

gibt. Auch als andere rote Städte<br />

an der Ruhr plötzlich schwarz wurden,<br />

blieb Bochum rot.<br />

Opel war der Beweis für politische Weitsicht.<br />

Noch bevor die meisten Bergwerke<br />

in den sechziger Jahren starben, trafen<br />

sich Politiker mit den Managern des Autokonzerns<br />

General Motors in Hotels außerhalb<br />

der Stadt. In geheimen Verhandlungen<br />

holten Politiker die Opel-Werke<br />

in die Stadt, gegen den Willen des Bergbaus,<br />

der sich vor einer Konkurrenz fürchtete,<br />

die höhere Löhne zahlen könnte.<br />

Dem Bergbau gehörten die Flächen, auf<br />

denen die Opel-Werke entstehen sollten,<br />

und die Politiker traten als Zwischenhändler<br />

auf, die ihre wahren<br />

Absichten verschleierten.<br />

Opel war ihr Scoop.<br />

Das Werk wurde später zu<br />

einem Aushängeschild der Sozialdemokratie,<br />

weil in ihm<br />

vieles zusammenkam, wofür<br />

die SPD stand. Opel war der<br />

Sieg des politischen Willens über die vorherrschende<br />

Industrie. Opel bed<strong>eu</strong>tete Ern<strong>eu</strong>erung,<br />

20000 Arbeitsplätze. Opel löste<br />

ein Versprechen ein, das die Sozialdemokraten<br />

der siebziger Jahre gaben: Morgen<br />

wird es <strong>eu</strong>ch besser gehen. Das war ein<br />

ma terialistischer Zugang zur Politik, aber<br />

einer, der ein ganzes Land beflügelte.<br />

Inzwischen steckt Opel tief in der Krise,<br />

das Bochumer Werk soll Ende kommenden<br />

Jahres geschlossen werden, dagegen<br />

haben die Arbeiter oft protestiert. Früher<br />

waren das Veranstaltungen, auf denen<br />

die roten Fahnen der IG Metall neben<br />

denen der SPD flatterten. Fragt man<br />

Rainer Einenkel, den Chef des Betriebsrats<br />

im Bochumer Autowerk, wie viele<br />

seiner L<strong>eu</strong>te h<strong>eu</strong>te noch Sozialdemokra-

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