Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
4<br />
DIALOG<br />
Wie eine Königin<br />
Sitzbank im Renaissancestil von H. Löwenherz, Coburg<br />
?<br />
Diese Banktruhe stammt von meinen Großeltern aus Traben-Trarbach<br />
an der Mosel aus einem Winzerhaushalt.<br />
Mein Großvater kannte sie schon als Kind, er war Jahrgang<br />
1906. Wenn Sie mir über diese Winzer-Sitzbank mit Truhe<br />
und ihren Wert etwas sagen könnten, wäre ich Ihnen sehr<br />
dankbar. Die Maße: Höhe 1,10 m, Breite 1,15 m, Tiefe 0,55 m.<br />
N. Kastner, Berg. Gladbach<br />
!<br />
Die Jahrhunderte vergehen, ihre Stile lösen sich ab, das<br />
mittlere und späte 19. Jahrhundert bestand bei der möglich<br />
gewordenen industriellen Anfertigung von allen historischen<br />
Stilrichtungen in Architektur und Kunstgewerbe<br />
auf seine „Fortschrittlichkeit“ bei der Bewältigung von allen<br />
Problemen der Alltagsästhetik und der Jugendstil setzt diesem<br />
bunten Treiben ein Ende, wie in der Fachliteratur gelegentlich<br />
zu lesen ist, indem er den Historismus des späten<br />
19. Jahrhunderts – die klassische Periode des Rückgriffs auf<br />
historische Formen und Dekore – als „überwunden“ auf<br />
dem Weg zu einem modernen, den Bedürfnissen der Menschen<br />
besser angepassten Architektur- und Einrichtungsstil<br />
deklarierte. Diese ideale Feststellung ist einigermaßen korrekt,<br />
aber die ganze Geschichte der praktischen Entwicklung<br />
beispielsweise der Möbelherstellung im frühen 20.<br />
Jahrhundert zur Zeit des Jugendstils und des ab 1907 auf<br />
Schlichtheit und Materialverschonung bedachten Deutschen<br />
Werkbunds gibt sie nicht wieder. Es musste natürlich<br />
immer Ausnahmen auf dem Weg in die Moderne gegeben<br />
haben, denn es liegt auf der Hand, dass der avantgardistische<br />
Jugendstil nicht jedermanns Geschmack sein konnte.<br />
Jugendstilmöbel der gehobenen Art waren keineswegs<br />
günstig zu erwerben: Ein im 19. Jahrhundert geschulter,<br />
konservativ gebliebener Geschmack, der von einer teuren<br />
Einrichtung verlangte, sie sollte bei soviel Geld nach etwas<br />
„aussehen“, wäre ohne den Fortbestand des historistischen<br />
Stils in der Inneneinrichtung auf verlorenem Posten gewesen.<br />
Der Stil versprach nach 1900 weiterhin den sichtbaren<br />
und sehr soliden Komfort und dokumentierte weiterhin<br />
den überlegenen Geschmack einer fundierten Bildung. Man<br />
wollte sich den modernen Zeiten zum Trotz dennoch mit<br />
Rokoko und Renaissance umgeben und nicht, genau so wie<br />
Vater und Großvater, plötzlich auf modischen Firlefanz<br />
angewiesen werden.<br />
Gerade diese schöne und repräsentative Sitzbank im italienischen<br />
Renaissancestil passt gut in diese Überlegungen<br />
hinein. Es kann sein, dass der Entwurf aus den 1880er-Jahren<br />
stammt, als die Begeisterung in Deutschland für den<br />
Renaissancestil einen Höhepunkt erreichte, aber die helle,<br />
statt dunkle Farbe des Holzes deutet vielleicht darauf hin,<br />
dass sie im frühen 20. Jahrhundert ausgeführt wurde.<br />
Anhand der Verkaufskataloge der Möbelfabriken, die bis<br />
1914 und auch nach dem Ersten Weltkrieg noch historistische<br />
neben in die Jahre gekommenen Jugendstil- und<br />
modernen Art déco-Möbel anboten, lässt sich der Fortbestand<br />
des konservativen Geschmacks gut dokumentieren.<br />
Im vorliegenden Fall der Sitzbank ist es sogar ausnahmsweise<br />
möglich, ihren Hersteller zu identifizieren, nämlich<br />
das Unternehmen H. Löwenherz in Coburg, das seine Fabriken<br />
in Eisfeld, Thüringen, unterhielt. Eine sehr ähnliche Sitzbank<br />
von H. Löwenherz, die wir hier abbilden, erschien als<br />
eine der Illustrationen zu einem Beitrag „Vom passenden<br />
Möbel! Die Geschichte einer Wohnungseinrichtung“, im<br />
„Deutschen Wehrkalender 1914 – Kalender des Deutschen<br />
Wehrvereins e. V.“, Oldenburg [1913], o. S. Im Text geht es im<br />
Prinzip um den passenden Einrichtungsstil für preußische<br />
Beamte und deren Familien und fängt im besten Courths-<br />
Mahler-Stil an:„Das junge Paar erlebte eine der köstlichsten<br />
Stunden der Verlobungszeit: Während in die offenen Fenster<br />
Vogelgezwitscher und Sonntagsgeläute klang, saßen<br />
Lilly und Hans, sie eine schlanke, zartgliedrige, kaum zwanzigjährige<br />
Blondine, er ein kräftiger, wettergebräunter Offizier<br />
von vielleicht fünfunddreißig Jahren, Kopf an Kopf über<br />
allerlei Bücher und Bilder, Möbel-Kataloge und kunstgewerbliche<br />
Zeitschriften gebeugt“. Mutter schaut „wohlgefällig<br />
dem jungen Glück ihrer Tochter zu“. Lilly, zunächst<br />
instinktiv auf abwegige Pfade der Moderne geraten, kann<br />
nichts Gutes an Reproduktionen von antiken Möbeln finden:<br />
„... nein, Mutter, widersprich nicht: zu mir passt nur der<br />
moderne Stil!“ Hans dagegen, als wackerer Soldat, denkt<br />
anders:„Wenn ich aus Staub und Wetter heimkomme, dann<br />
möchte ich im Hause selbst durch ein paar festliche Eindrucke<br />
aufgerichtet und beschwingt werden. Und daher,<br />
kurz gesagt, verstehst Du, meine große Vorliebe für das<br />
Renaissance-Möbel, für handgeschnitzte, reich verzierte<br />
Möbel aus dem schönen festen Eichenholz, Möbel, die uns<br />
im Kleinen die ganze, große, phantasievolle Kunst einer vergangenen<br />
Blütezeit der Architektur täglich neu vor Augen<br />
zaubern!“. Beim Besuch eines „bekannten Hoflieferanten“<br />
(natürlich H. Löwenherz in Coburg) mit Hans und Mutter<br />
geht Lilly das Licht auf, vor allem, weil sie wie eine Königin<br />
im geschnitzten Sessel sitzen würde aber auch deshalb,<br />
der klugen Eingabe des Verkäufers folgend, weil es für das<br />
Abstauben der geschnitzten Möbel „besondere scharfe Bürsten“<br />
gibt, „die den Staub auch aus den kleinsten Fugen<br />
wegnehmen und bei deren Anwendung mit der Zeit der<br />
antike Eindruck der Möbel nur verstärkt wird, da sich die<br />
Formen dabei abschleifen und runden“. Die Löwenherz-<br />
Möbel werden gekauft, begleitet von einem scherzhaften<br />
Kommentar vom „Sieger“ Hans, mit dem er sich heute eine<br />
schwere Rüge, wenn nicht gar den Abbruch der Verlobung