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AUSSTELLUNGEN<br />
Frühe Abstraktion<br />
Hilma af Klint im Hamburger Bahnhof Berlin<br />
In der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof ist die erste<br />
umfassende Retrospektive der schwedischen Künstlerin<br />
Hilma af Klint (1862-1944) zu sehen.Bereits ab 1906 schuf<br />
sie abstrakte Werke, machte sie zu ihren Lebzeiten jedoch<br />
nicht öffentlich.Hilma af Klint verfügte in ihrem Testament,<br />
dass ihre abstrakten Arbeiten erst 20 Jahre nach ihrem Tod<br />
dem Publikum zugänglich gemacht werden sollen.Sie<br />
nahm an, dass ihre Zeitgenossen noch nicht in der Lage<br />
wären, deren volle Bedeutung zu erfassen.Seit den 1980er-<br />
Jahren wurden ihre abstrakten Werke in einigen wenigen<br />
Ausstellungen gezeigt.Trotz ihres bedeutenden Beitrags<br />
zur Geschichte der abstrakten Kunst ist das Œuvre Hilma af<br />
Klints deshalb bis heute einem größeren Publikum nicht<br />
bekannt.<br />
Für sie und andere Wegbereiter der abstrakten Kunst – darunter<br />
Wassily Kandinsky, Frantisek Kupka, Piet Mondrian<br />
und Kasimir Malewitsch – war die geistige Dimension der<br />
Werke entscheidend; so erschien 1911 Kandinskys viel gelesene<br />
Abhandlung „Über das Geistige in der Kunst“.Wie<br />
auch Kandinsky und viele weitere Künstler und Intellektuelle<br />
ihrer Generation, interessierte sich Hilma af Klint lebhaft<br />
für Theosophie und Anthroposophie.<br />
Sie war überzeugt, dass es jenseits der sichtbaren Welt eine<br />
geistige Realität gäbe, die sie in ihren Bildern zu visualisieren<br />
suchte.Aus der Teilnahme an spiritistischen Séancen<br />
und der Auseinandersetzung mit okkulten Lehren ergaben<br />
sich entscheidende Impulse für ihr künstlerisches Schaffen.<br />
Zusammen mit vier weiteren Frauen gründete sie 1896 die<br />
Gruppe „De Fem“ (Die Fünf), in deren Zusammenkünften sie<br />
Kontakt zu „höheren Wesen“ aufnahm.Die Ergebnisse der<br />
Séancen hielt sie in zahlreichen Notizbüchern fest, aus<br />
denen sich auch ihre Nähe zu Rudolf Steiner oder dem<br />
Rosenkreuzertum ablesen lässt.<br />
Meist arbeitete sie dabei in Werkgruppen und Serien.In<br />
dem zentralen Werkkomplex „Gemälde zum Tempel“, der<br />
zwischen 1906 und 1915 entstand, will sie zeigen, wie sich<br />
jenseits der sichtbaren Welt mit ihren Dualismen auf einer<br />
höheren Ebene die Vereinigung der Gegensätze vollzieht.<br />
Dabei steht der Tempel als Metapher für die spirituelle Entwicklung<br />
des Menschen.Diese wird auch in den „Altarbildern“<br />
thematisiert.Den Werkprozess beschreibt sie wie<br />
folgt: „Die Bilder wurden direkt durch mich gemalt, ohne<br />
vorausgehende Zeichnung und mit großer Kraft.Ich hatte<br />
keine Ahnung, was die Bilder darstellen sollten, und dennoch<br />
arbeitete ich schnell und sicher, ohne einen Pinselstrich<br />
zu verändern.“<br />
Die Ausstellung zeigt mit rund 200 Arbeiten die wichtigsten<br />
abstrakten Arbeiten von Hilma af Klint – von der großformatigen<br />
Leinwand bis zur kleinen Skizze.Erstmals ist die<br />
Fülle dieses lange verborgenen Werkes im Zusammenhang<br />
zu sehen.(-06.10.).Zur Ausstellung ist ein Katalog im Hatje<br />
Cantz Verlag erschienen.<br />
TELEFON | 030/266423402<br />
Stark konturiert<br />
Die Nabis – von Bonnard bis Vallotton in München<br />
Hilma af Klint, Die zehn Größten, Nr. 2, Kindheit, Gruppe IV, 1907;<br />
Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof Berlin<br />
© Stiftelsen Hilma af Klints Verk, Foto: Moderna Museet / Albin<br />
Dahlström<br />
„Paris Intense“ lautet der Titel, den Félix Vallotton seiner<br />
1893/94 entstandenen Grafik-Serie gab.In seinen Bildern<br />
wirft der Künstler einen modernen Blick auf die französische<br />
Metropole.Er demaskiert das Paris der Belle Époque<br />
und zeigt eine verdichtete, intensivierte Realität jenseits<br />
von Tand und manierierter Eleganz.Kurz zuvor hatte sich<br />
Vallotton der Künstlergruppe der Nabis (hebräisch für Propheten<br />
oder Erleuchtete) angeschlossen, einem Kreis junger<br />
Studenten der Académie Julian, deren ungewöhnliche Formensprache<br />
im Paris des Fin de Siècle Plakaten, Zeitschriften,<br />
Interieurs oder Theaterdekorationen ein neues Gesicht<br />
verlieh.Meisterwerke der Nabis wie Vuillards „Szene im<br />
Café“, Bonnards „Braunkohlengrube“, oder Maillols Skulptur<br />
der „Flora“ sind dem Besucher der Neuen Pinakothek bereits<br />
vertraut.Die Ausstellung zeigt nun alle in der Sammlung<br />
des Hauses vertretenen Künstler zum ersten Mal vereint<br />
und wirft ein neues Licht auf die ungewöhnliche Gruppe<br />
und ihre Intentionen.<br />
Zum inneren Kreis der Nabis zählten u.a.Pierre Bonnard,<br />
Maurice Denis, Paul Sérusier, Félix Vallotton und Édouard<br />
Vuillard.Sie alle waren auf der Suche nach neuen „echten“<br />
Ausdrucksformen.Die Kunst sollte von ihren repräsentativen<br />
Funktionen befreit, der Naturalismus der Impressioni-