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Visuelle Modelle - edoc-Server der BBAW - Berlin ...

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202<br />

Steffen Siegel<br />

epistemologischen Anspruch an das visuelle Modell. Strukturen zu »durchspüren«<br />

heißt, die Möglichkeiten eines dezidiert analytischen Sehens auszuspielen, um<br />

Einsicht in die funktionalen, jenseits <strong>der</strong> sichtbaren Oberfläche wirksamen Zusammenhänge<br />

gewinnen zu können. Es gehört zu den Vorzügen von Benjamins<br />

knapper Skizze, dass in diesem Entwurf ein Begriff von visueller Erkenntnis gleichermaßen<br />

mit Blick auf den Betrachter, das heißt auf das erkennende Subjekt,<br />

wie auch auf die hierbei vorausgesetzten visuellen Medien entwickelt wird. Zwei<br />

Jahre vor Benjamin hatte bereits Ernst Cassirer in ganz ähnlicher Weise eine solche<br />

doppelte Ausrichtung <strong>der</strong> Fragestellung ausdrücklich postuliert: Die Betrachtung<br />

sowie die Erfahrung des Raumes beziehen sich »nicht lediglich nach vorwärts<br />

auf die Welt <strong>der</strong> Objekte, son<strong>der</strong>n nach rückwärts, auf die ›eigene‹ Natur<br />

und auf die eigene Funktion <strong>der</strong> Erkenntnis selbst.« 7 Gerade diesem von Cassirer<br />

angesprochenen rekursiven Moment, das sich auf die Erkenntnisleistung des betrachtenden<br />

und erfahrenden Subjekts richtet, wird Benjamin gegenüber dem<br />

Sehen ausdrücklich den Vorzug geben. Benjamins Wort von <strong>der</strong> »objektiven Einwirkung<br />

<strong>der</strong> Bauten auf das vorstellungsmäßige Sein des Betrachters« bezieht sich<br />

dabei, wie <strong>der</strong> Fortgang seiner Skizze erweist, gerade nicht auf diese Bauten selbst.<br />

Die vermutete und epistemologisch bedeutsame »Einwirkung« ist zuallererst eine<br />

Sache jener visuellen <strong>Modelle</strong>, die in Form von Grundrissen o<strong>der</strong> Schnittdarstellungen<br />

als mediale Substitute von Objekten und Räumen funktionalisiert werden.<br />

Das von Benjamin für seine Beschreibung eines visuellen Modells erhobene<br />

Kriterium <strong>der</strong> »bildunmäßigen« Darstellung macht dabei vor allem darauf aufmerksam,<br />

dass Bild und Abbild eine enge und historisch höchst wirksame Allianz<br />

eingegangen sind. Bei <strong>der</strong> analytischen Betrachtung – o<strong>der</strong> eben beim »Durchspüren«<br />

– von im Raum entfalteten architektonischen Strukturen muss sich diese<br />

Allianz j<strong>edoc</strong>h, so Benjamin, als ein »Umweg« diskreditieren. In diesem speziellen<br />

Zusammenhang ist Benjamins Begriff von Bildlichkeit offenbar in äußerst dichter<br />

Weise mit <strong>der</strong> Vorstellung eines mimetischen Nachvollzugs des Sichtbaren assoziiert.<br />

In <strong>der</strong> demgegenüber postulierten analytischen Valenz <strong>der</strong> Architekturzeichnung<br />

erkennt Benjamin zugleich eine entscheidende Wendung vom Akt bloßer<br />

mimetischer Wie<strong>der</strong>gabe hin zu einem Moment aktiver Entfaltung im Medium<br />

des visuellen Modells: »Man kann nicht sagen, daß sie Architekturen wie<strong>der</strong>geben.<br />

Sie geben sie zuallererst.« 8 Mit diesem Akt des Gebens gewinnen jene Strukturen,<br />

die im visuellen Modell zur Anschauung gelangen sollen, ein wesentlich dynamisches<br />

Moment.<br />

Cassirer seinerseits wendete eine solche Beobachtung im Übrigen auf den Begriff<br />

des Raumes und betonte, »daß es nicht eine allgemeine, schlechthin feststehende<br />

Raum-Anschauung gibt, son<strong>der</strong>n daß <strong>der</strong> Raum seinen bestimmten Gehalt<br />

und seine eigentümliche Fügung erst von <strong>der</strong> ›Sinnordnung‹ erhält, innerhalb<br />

7 Ernst Cassirer: »Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum« [1930/31]. In: Jörg<br />

Dünne, Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften,<br />

Frankfurt am Main 2006, S. 485–500; hier S. 485.<br />

8 Benjamin 1932 (wie Anm. 3), S. 368. (Hervorhebung im Original.)

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