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Cicero Ist der Islam böse? (Vorschau)

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SALON<br />

Porträt<br />

LICHT IM SCHACHT<br />

Die Schriftstellerin Judith Hermann gilt als Meisterin <strong>der</strong> Kurzgeschichte. Ihrem ersten<br />

Roman gingen viele Zweifel und <strong>der</strong> Kampf gegen die eigene Schwerkraft voraus<br />

Von PETER HENNING<br />

Foto: Wolfgang Schmidt<br />

Die neue, ungewohnte Arbeit hat<br />

sie als „sehr viel anstrengen<strong>der</strong><br />

und haltloser empfunden“. Sagt<br />

die Berliner Schriftstellerin Judith Hermann<br />

über ihren ersten Roman „Aller<br />

Liebe Anfang“, <strong>der</strong> in diesem Monat<br />

erscheinen wird. Sie wirkt leicht<br />

angespannt, ja skrupulös in ihren Ausführungen,<br />

wie sie dasitzt am Tisch eines<br />

Cafés in Berlin-Charlottenburg und<br />

von ihrem Romandebut spricht. Jede ihrer<br />

Bewegungen erscheint bewusst und<br />

kontrolliert, ihr Lächeln beinahe scheu.<br />

„Nach einer gewissen Strecke des Weges<br />

habe ich den Anfang <strong>der</strong> Geschichte<br />

aus den Augen verloren, den Einstieg in<br />

den Schacht, bildlich gesehen. Und das<br />

Ende war noch lange nicht in Sicht: ein<br />

klaustrophobisches Gefühl.“<br />

Ungewohnte, zweiflerische Töne<br />

sind ein Kennzeichen dieser Autorin,<br />

die mit „Sommerhaus, später“, ihrem<br />

1998 erschienenen Band von Erzählungen,<br />

zum Star <strong>der</strong> jungen deutschen Literatur<br />

avancierte. Und fast en passant<br />

<strong>der</strong> Kurzgeschichte zu einer neuen Blüte<br />

verhalf.<br />

Judith Hermann machte mit ihren<br />

Geschichten eine hierzulande bis dahin<br />

allenfalls noch mit Nachkriegsautoren<br />

wie Böll, Borchert, Schnurre o<strong>der</strong> Siegfried<br />

Lenz assoziierte und sowohl bei<br />

Lesern als auch Verlegern ungeliebte<br />

Erzählform wie<strong>der</strong> salon- und feuilletonfähig.<br />

Die sogenannte „kleine Form“<br />

hatte plötzlich Konjunktur.<br />

Als <strong>der</strong> Frankfurter S. Fischer Verlag<br />

dann 2002 ihren zweiten Erzählungsband<br />

„Nichts als Gespenster“ ankündigte,<br />

waren die Erwartungen auf das<br />

Äußerste gespannt. Doch ihre langen,<br />

fein austarierten, zwischen <strong>der</strong> Lakonie<br />

eines Raymond Carver und <strong>der</strong> gelassenen<br />

Epik einer Alice Munroe oszillierenden<br />

Texte hielten dem Druck stand – und<br />

zementierten ihren Status als Meisterin<br />

<strong>der</strong> kleinen Form.<br />

„Ich habe gerne Kurzgeschichten geschrieben“,<br />

erläutert sie und fährt sich<br />

mit den Händen über das streng zu einem<br />

Knoten gefasste Haar. „Für die<br />

Dinge, über die ich schreiben wollte,<br />

hatte die Kurzgeschichte die richtige<br />

Form.“ Über ihren Zügen liegt Anspannung.<br />

„Doch“, fragt sie zwischendurch<br />

fast schroff, „was wird wohl die Kritik<br />

dazu sagen?“ Wenn sie aber kurz lacht,<br />

weicht die grüblerische Konzentriertheit<br />

so schnell, wie sie kam, mädchenhafter<br />

Leichtigkeit.<br />

DIE FOLGE WAR dann 2009 ein Band mit<br />

fünf Erzählungen („Alice“), <strong>der</strong> sich bei<br />

genauerer Betrachtung als finster-poetische<br />

Meditation über das Sterben und den<br />

Tod erwies, zugleich eine sachte Hinwendung<br />

zur Königsdisziplin, dem Roman.<br />

Dieser liegt weitere fünf Jahre später tatsächlich<br />

vor. Sie hat sich die Pause zwischen<br />

„Alice“ und dem neuen Buch, wie<br />

sie sagt, „bewusst gegönnt“, sich ins Private<br />

zurückgezogen und ihrem 15 Jahre<br />

alten Sohn gewidmet. Überhaupt agiert<br />

die Berlinerin nicht vorschnell. Sie nahm<br />

sich die Zeit, die sie braucht, las sämtliche<br />

Romane des Iren Dermot Healy und<br />

von Graham Greene und tauchte in die<br />

versunkene Welt des Russen Iwan Bunin<br />

ab. Bis das Gerüst ihres Romans im Kopf<br />

stand – und sie endlich schreiben konnte,<br />

langsam, tastend.<br />

Das Resultat dürfte Kritik wie Publikum<br />

spalten. Wer ihre melancholisch<br />

grundierten, uhrmacherhaft präzise gearbeiteten<br />

Geschichten mochte, wird<br />

„Aller Liebe Anfang“ lieben. Alle, die<br />

aber erwartet hatten, sie werde mit einem<br />

Roman daherkommen, <strong>der</strong> ihr bisheriges<br />

Erzählen erweitert, werden wohl<br />

enttäuscht sein.<br />

„Aller Liebe Anfang“ ist ein leises,<br />

ein bisweilen an die Grenze seiner<br />

Form stoßendes Buch, das erahnen<br />

lässt, welches innere Ringen die Verfasserin<br />

durchgestanden haben muss. „Ich<br />

hatte den Eindruck, das Schreiben fiele<br />

mir schwerer als sonst“, sagt Judith Hermann.<br />

„Das Schreiben eines Romans hat<br />

sich für mich so angefühlt, wie den Boden<br />

unter den Füßen aufzugeben, die<br />

Kontrolle abzugeben.“<br />

Der Roman entrollt die Geschichte<br />

seiner Hauptfigur Stella, die ihren späteren<br />

Mann Jason in einem Flugzeug kennenlernt,<br />

mit ihm ein Kind bekommt und<br />

ein Haus am Stadtrand bezieht. Das Leben<br />

<strong>der</strong> kleinen Familie verläuft unspektakulär<br />

und harmonisch. Stella arbeitet<br />

als Krankenpflegerin. Plötzlich aber verfolgt<br />

sie ein Stalker, <strong>der</strong> Alltag wird zum<br />

Spießrutenlauf.<br />

Hermann beschreibt detailliert den<br />

Einbruch des Schreckens in das vermeintliche<br />

Vorstadtidyll. Dort aber,<br />

wo <strong>der</strong> Horror auf den Leser übergehen<br />

müsste, um ihn wirklich zu packen,<br />

bleibt er manchmal im feinen Gespinst<br />

<strong>der</strong> Worte hängen, wird abgemil<strong>der</strong>t und<br />

um seine Wucht gebracht. Gleichwohl<br />

finden sich auch hier Sätze von kristalliner<br />

Schönheit – verdichtet zu einem Protokoll<br />

<strong>der</strong> Angst.<br />

„Ich habe vor dem Roman keine<br />

Angst gehabt“, sagt Judith Hermann<br />

und lächelt. „Wenn überhaupt, so vor<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit des Scheiterns, die ja in<br />

je<strong>der</strong> Erzählform immerzu gegeben ist.“<br />

Gescheitert ist sie nicht. Mehr Mut aber<br />

zum Zupackenden, zum Direkten ist dieser<br />

großen Dezenten zu wünschen.<br />

PETER HENNING ist Schriftsteller, schrieb<br />

zuletzt den Roman „Ein deutscher Sommer“<br />

( 2013 ). Er lebt in Köln und wurde schon selbst<br />

einmal gestalkt<br />

103<br />

<strong>Cicero</strong> – 8. 2014

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