Cicero Ist der Islam böse? (Vorschau)
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KAPITAL<br />
Porträt<br />
UNQUALIFIZIERTER UNTERNEHMER<br />
Als Hippie ohne Berufsausbildung startete Joseph Wilhelm vor vier Jahrzehnten<br />
einen Naturkostladen. Heute ist Rapunzel einer <strong>der</strong> führenden Biohersteller in Europa<br />
Von DANIELA SINGHAL<br />
Manche Wünsche können Eltern<br />
ihren Kin<strong>der</strong>n einfach nicht abschlagen:<br />
Die Lust seiner Kin<strong>der</strong><br />
auf süßen Brotaufstrich brachte Joseph<br />
Wilhelm dazu, Haselnüsse in einer<br />
Waschtrommel zu rösten. In den siebziger<br />
Jahren sträubte er sich gegen weißen Industriezucker<br />
und erfand die biologische<br />
Alternative zu Nutella: Samba. Ein Verkaufsschlager<br />
<strong>der</strong> von Wilhelm gegründeten<br />
Biomarke Rapunzel. Das Müsli,<br />
das er damals in seinem Naturkostladen<br />
in Augsburg verkaufte, mischte Wilhelm<br />
in einer Badewanne.<br />
So begann seine Karriere mit ungewöhnlichen<br />
Methoden, wilden Locken,<br />
einem in Regenbogenfarben bemalten<br />
VW-Bus als Lieferwagen – und ohne Berufsausbildung.<br />
Heute ist die Rapunzel<br />
Naturkost GmbH mit 350 Mitarbeitern<br />
und einem Umsatz von 130 Millionen<br />
Euro einer <strong>der</strong> führenden Biohersteller<br />
in Europa.<br />
Die Nachfrage nach Bioprodukten in<br />
Deutschland war damals eher gering, die<br />
Skepsis umso größer. „Es ging uns nicht<br />
darum, große Geschäfte zu machen“,<br />
sagt <strong>der</strong> 60 Jahre alte Unternehmer. „Wir<br />
wollten gesund und verantwortungsvoll<br />
leben. Aber das, was wir essen wollten,<br />
gab es nicht zu kaufen.“<br />
Heute boomt die Branche: 2013 wurden<br />
laut dem Bund für Ökologische Lebensmittelwirtschaft<br />
7,55 Milliarden<br />
Euro mit Bioprodukten umgesetzt. Der<br />
Marktanteil von Bio beträgt in Deutschland<br />
3,9 Prozent.<br />
Ein umkämpfter Nischenmarkt, auf<br />
dem sich Wilhelm mit seinen Bioprodukten<br />
jetzt seit vier Jahrzehnten behauptet.<br />
Wie ein harter Geschäftsmann wirkt <strong>der</strong><br />
Rapunzel-Geschäftsführer aber immer<br />
noch nicht: Wilhelm trägt zum leuchtend<br />
blauen T-Shirt ein graues Sakko<br />
und Turnschuhe, im Gespräch lacht er<br />
viel. Während an<strong>der</strong>e Firmenchefs morgens<br />
joggen, mistet Wilhelm seinen Stall<br />
aus: 25 Rin<strong>der</strong> hält er auf seinem Hof<br />
im Allgäu, zehn Kilometer vom Rapunzel-Werk<br />
in Legau entfernt. Er verkauft<br />
Biofleisch und Stroh. „Ich brauche diese<br />
bodenständige Arbeit, den Kontakt zur<br />
Erde! Sie gibt mir Kraft für meine Aufgaben<br />
als Geschäftsführer.“<br />
IN DEN ANFANGSJAHREN von Rapunzel<br />
schleppte Joseph Wilhelm Kisten und Säcke,<br />
grub Beete um und melkte Kühe –<br />
erst im Schwäbischen, dann auf dem eigenen<br />
Hof im bayerischen Kimratshofen.<br />
Dort lebte er mit seiner Frau Jennifer Vermeulen<br />
und Freunden in einer Gemeinschaft:<br />
„Wir waren eine bunte Lebensund<br />
Arbeitsgemeinschaft, wir haben alles<br />
geteilt und sehr sparsam gelebt. So konnten<br />
wir wachsen“, sagt Wilhelm. Damals<br />
gab es im Allgäu keinen einzigen Biobauern.<br />
Die Ware wurde per Direktvertrieb<br />
ausgeliefert: „Unser Regenbogen kommt<br />
Euch bald wie<strong>der</strong> besuchen!“, hieß es im<br />
Schreiben an die Kunden.<br />
Heute sitzt <strong>der</strong> Biopionier in Besprechungen,<br />
reist durch Deutschland und<br />
die Welt, um mit Produzenten und Lieferanten<br />
zu sprechen und für die biologische<br />
Landwirtschaft und den fairen Handel<br />
zu werben.<br />
Das ist kein leichtes Unterfangen:<br />
Die Landwirte fürchten den Preisdruck<br />
in <strong>der</strong> Branche, Studien begegnen dem<br />
Bioboom kritisch, und die Verbraucher<br />
scheuen die höheren Preise – Wilhelm<br />
muss Überzeugungsarbeit leisten. „Ich<br />
bin selber in einem landwirtschaftlichen<br />
Betrieb groß geworden. Das hilft<br />
mir, wenn ich mit den Bauern spreche.<br />
Sie merken, dass ich ihre Ängste verstehe.“<br />
Wilhelm lässt nicht locker und<br />
zerstreut die Bedenken <strong>der</strong> Produzenten<br />
mit Absatzgarantien: So schaffte er<br />
es auch, ein ganzes Dorf in <strong>der</strong> Türkei<br />
davon zu überzeugen, auf den biologischen<br />
Anbau von Sultaninen umzustellen.<br />
Rapunzel hat mittlerweile ein eigenes<br />
Werk in <strong>der</strong> Türkei.<br />
„Daran habe ich anfangs natürlich<br />
nicht gedacht“, sagt Wilhelm. Mit 16 Jahren<br />
verließ er den elterlichen Hof. Sein<br />
Startkapital betrug 3000 Mark – das<br />
Hochzeitsgeschenk seiner Schwiegereltern.<br />
„Wir waren ein wenig naiv, aber<br />
auch sehr ehrgeizig“, sagt Wilhelm. Die<br />
Etiketten <strong>der</strong> Produkte malte das junge<br />
Unternehmer-Ehepaar per Hand. „Unsere<br />
Methoden waren oft ungewöhnlich,<br />
aber unsere Produkte von Anfang an zu<br />
100 Prozent bio.“<br />
Auch über sein Unternehmen hinaus<br />
setzt er sich für seine Vision einer<br />
besseren Welt ein: Regelmäßig läuft<br />
er Tausende von Kilometern durch die<br />
Republik, um für eine gentechnikfreie<br />
Welt zu werben. „Ich bin immer noch<br />
ein Idealist und glaube daran, dass alles<br />
gut werden kann!“<br />
DANIELA SINGHAL ist freie Autorin. Mit<br />
Joseph Wilhelm verbindet sie, dass sie auch<br />
den Jakobsweg gegangen ist<br />
MYTHOS<br />
MITTELSTAND<br />
Was hat Deutschland,<br />
was an<strong>der</strong>e nicht haben?<br />
Den Mittelstand!<br />
<strong>Cicero</strong> stellt in je<strong>der</strong> Ausgabe<br />
einen mittelständischen<br />
Unternehmer vor.<br />
Die bisherigen Porträts<br />
finden Sie unter:<br />
www.cicero.de/mittelstand<br />
Foto: Andreas Müller für <strong>Cicero</strong><br />
78<br />
<strong>Cicero</strong> – 8. 2014