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Cicero Ist der Islam böse? (Vorschau)

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BERLINER REPUBLIK<br />

Porträt<br />

POSTBOTIN GEGEN SCHNÜFFLER<br />

Der NSA-Skandal hat in Deutschland bisher eigentlich kaum etwas verän<strong>der</strong>t. Nur<br />

Sabrina Löhrs Idee verfängt: Posteo, ein Mailservice, <strong>der</strong> es Überwachern schwer macht<br />

Von JOHANNES GERNERT<br />

Dass Edward Snowden nicht bloß<br />

Aufklärung, son<strong>der</strong>n auch Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung<br />

betrieb, merkte<br />

Sabrina Löhr schon wenige Tage, nachdem<br />

sein Gesicht auf allen Nachrichtenseiten<br />

<strong>der</strong> Welt erschienen war. Damals,<br />

im Juni 2013, arbeiteten in Löhrs E-Mail-<br />

Firma Posteo in Berlin-Kreuzberg drei<br />

Leute auf 200 Quadratmetern. Zwei davon<br />

waren sie und ihr Mann. Heute sind<br />

es zwölf Angestellte auf 600 Quadratmetern.<br />

Posteo verwaltet 65 000 Postfächer.<br />

Sie sind jetzt nicht mehr nur ein<br />

E-Mail-Anbieter, <strong>der</strong> Daten beson<strong>der</strong>s<br />

sorgfältig schützt. Sie sind die Postboten<br />

<strong>der</strong> digitalen Welt, die sich gegen die<br />

Schnüffler profilieren. Kürzlich war Löhr<br />

bei einer Tagung des Internet Governance<br />

Forum, das für die UN über die<br />

Zukunft des Netzes nachdenkt. Auf den<br />

Tagungsunterlagen stand das Logo von<br />

Posteo neben dem des Konzerns Google.<br />

Der Grüne Christian Ströbele hat sie in<br />

einer Anfrage an die Bundesregierung<br />

erwähnt. Die Telekom hat zum ersten<br />

Mal einen Transparenzbericht veröffentlicht.<br />

Weil Posteo sie mit ihrem dazu getrieben<br />

hat, glaubt Sabrina Löhr. „Wir<br />

merken, dass man als kleiner Anbieter<br />

wirklich etwas erreichen kann“, sagt sie.<br />

Auch wenn Konkurrenten wie gmx o<strong>der</strong><br />

web.de mit jeweils 15 Millionen Nutzern<br />

viel größer sind.<br />

Als Edward Snowden mit den Journalisten<br />

Kontakt aufnahm, denen er<br />

seine NSA-Dokumente übergeben wollte,<br />

verwendete er eine Adresse des E-Mail-<br />

Anbieters Lavabit. Ein Dienst, <strong>der</strong> die<br />

Privatsphäre seiner Nutzer extra verschlüsselt.<br />

Wie Posteo – das realisierten<br />

sehr schnell sehr viele Menschen. In solchen<br />

Momenten entscheidet sich, ob eine<br />

Firma mit steilem Wachstum umgehen<br />

kann. Zum Glück hatte sie soeben ihre<br />

Website erneuert. Gerade rechtzeitig.<br />

Sabrina Löhr, 33 Jahre alt, ist keine<br />

Hosenanzugträgerin. Sie spricht überlegt,<br />

fast zögernd. Manchmal schließt sie beim<br />

Reden die Augen, bevor sie eine Frage<br />

beantworten kann. <strong>Ist</strong> Posteo ein politischer<br />

Mailanbieter? Immer wie<strong>der</strong> müsse<br />

sie sich bremsen, sagt Löhr. Und sich bewusst<br />

machen, dass sie ja Unternehmerin<br />

ist – keine Aktivistin wie früher. Ihren<br />

Mann hat sie in einer Ortsgruppe von<br />

Greenpeace kennengelernt. Aber ja, sie<br />

würden politische Arbeit machen. Die<br />

Konzerne, „die ihre Lobbyisten durch<br />

den Bundestag jagen“, täten es ja auch.<br />

ANFANGS WOLLTEN Sabrina Löhr und ihr<br />

Mann Patrick nur einen E-Mail-Service<br />

anbieten, <strong>der</strong> Ökostrom verwendet und<br />

auf nervige Werbung verzichtet. Einen<br />

Euro im Monat sollte er kosten. Bezahlt<br />

wurde in Euro und eben nicht in Daten,<br />

wie bei <strong>der</strong> Konkurrenz von Google. Den<br />

Namen Posteo dachte sich Löhr aus. Sie<br />

wollten etwas eingängiges, aber das Wort<br />

Mail vermeiden. Posteo sammelt so wenige<br />

Informationen wie möglich. Man<br />

muss keine Postadresse angeben und<br />

kann per Brief in bar zahlen.<br />

Löhr geht auch mit eigenen Daten<br />

sparsam um. Sie stammt aus <strong>der</strong> Nähe<br />

von Frankfurt. Ein kleiner Ort, 50 Kilometer<br />

vom Atomkraftwerk Biblis. Genauer<br />

wird sie nicht. Nach dem Abitur<br />

ging sie nach Berlin und schrieb PR-Texte<br />

für Agenturen. Für welche, sagt sie nicht.<br />

Auf dem Höhepunkt des Snowden-<br />

Ansturms beantwortete sie von früh<br />

bis nachts Mails <strong>der</strong> Kunden. Mittlerweile<br />

machen das Mitarbeiter in den<br />

hellen neuen Räumen mit <strong>der</strong> Dachterrasse<br />

in Berlin-Kreuzberg. In einer Post-<br />

Snowden-Welt, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Wunsch nach<br />

Anonymität nicht mehr verdächtig ist,<br />

son<strong>der</strong>n nachvollziehbar, sind sie eine<br />

Instanz geworden. Nicht nur in Tests<br />

des Computermagazins c’t schnitten sie<br />

besser ab als die meisten Wettbewerber.<br />

Löhr kann exakt erklären, wie sie<br />

den Transport <strong>der</strong> Mail o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Inhalt<br />

chiffriert. Perfect Forward Secrecy,<br />

Pretty Good Privacy. Posteo versuche,<br />

die Standards ständig zu heben. Trotzdem<br />

müssten die Nutzer auf ihre Rechner<br />

aufpassen. Die Inhalte von Mails können<br />

noch so gut verschlüsselt sein, wenn jemand<br />

auf den Computer zugreift und die<br />

Schlüssel klaut, nutze alles nichts, habe<br />

Snowden gesagt, sagt Sabrina Löhr.<br />

Als Klimaretter fingen sie und ihr<br />

Mann an, jetzt sind sie Datenschützer.<br />

<strong>Ist</strong> das die neue Lebensstilfrage des grünen<br />

Milieus? „Ich fürchte, ja. Ich habe<br />

das Gefühl, es bleibt einem nichts an<strong>der</strong>es<br />

übrig“, sagt Löhr. Doch sie merke an<br />

den Kunden, wie hoch die Schwelle sei,<br />

eine an<strong>der</strong>e Surfkultur zu entwickeln.<br />

Auf den Computern von Posteo gibt es<br />

we<strong>der</strong> Twitter noch Facebook, sie haben<br />

ihr eigenes Chat-Programm. Zu Hause,<br />

sagt Löhr, stehe ein Rechner, mit dem<br />

sie „rummülle“ und soziale Netzwerke<br />

o<strong>der</strong> Onlineshops nutze.<br />

Der Mail-Anbieter Lavabit, den<br />

Snowden noch nutzte, hat dichtgemacht.<br />

Nach einem aufreibenden Rechtsstreit<br />

glaubte sein Grün<strong>der</strong>, sein Sicherheitsversprechen<br />

nicht mehr einhalten zu können.<br />

Auch bei Posteo standen schon Polizeibeamte<br />

vor <strong>der</strong> Tür. Sie seien aus<br />

Bayern angereist und hätten Daten eines<br />

Kunden verlangt, die Posteo gar nicht<br />

erhebe, sagt Löhr. Die Beamten wollten<br />

das nicht einsehen. Sie hätten gedroht.<br />

Die Postbotin hat die Polizisten angezeigt.<br />

Das Verfahren läuft.<br />

JOHANNES GERNERT schreibt über die<br />

Höhen und Untiefen <strong>der</strong> digitalen Welt.<br />

Er hat fünf E-Mail-Accounts, manche nur<br />

zum Shoppen<br />

Foto: Steffen Jänicke für <strong>Cicero</strong><br />

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<strong>Cicero</strong> – 8. 2014

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