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Cicero Ist der Islam böse? (Vorschau)

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TITEL<br />

<strong>Ist</strong> <strong>der</strong> <strong>Islam</strong> <strong>böse</strong>?<br />

Der „<strong>Islam</strong>ische Staat“ marschiert. Die sunnitischen<br />

Dschihadisten von IS, die sich bisher<br />

Isis nannten, haben die Vororte von Bagdad<br />

in Angriff genommen. Leichen pflastern ihren<br />

Weg. Die vielen Morde an schiitischen „Apostaten“<br />

sind eine erstaunliche und erschreckende Folge jener<br />

großen Bewegung <strong>der</strong> arabischen Revolutionen, die im<br />

Frühling 2011 für so viel Begeisterung bei den Demokraten<br />

<strong>der</strong> ganzen Welt gesorgt haben. Vergessen wir<br />

aber nicht: Die IS-Gräuel finden in einer Zeit erdbebenartiger<br />

Verän<strong>der</strong>ungen des geopolitischen Gleichgewichts<br />

im Mittleren Osten statt, dessen Umrisse auf<br />

die beiden großen Weltkriege im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t zurückgehen.<br />

Zu den tektonischen Verschiebungen zählt<br />

die Gründung eines kurdischen Staates im Juni dieses<br />

Jahres. Seine Truppen haben die Kontrolle über die<br />

irakische Stadt Kirkuk übernommen, von wo aus Öl<br />

in die Türkei exportiert werden kann. Nun fehlt ihm<br />

nur noch ein Sitz bei den Vereinten Nationen. Der Kurdenstaat<br />

ist jedoch nur eine <strong>der</strong> vielen Verschiebungen.<br />

Man sollte sie alle zusammen betrachten.<br />

Zu ihnen zählt auch die Zersplitterung Syriens.<br />

Dort steht einem Gebiet an <strong>der</strong> Küste und rings um<br />

Damaskus, das vom Regime Baschar al Assads verwaltet<br />

wird, ein von den Rebellen dominiertes Hinterland<br />

gegenüber. Die jahrhun<strong>der</strong>tealte Konfiguration<br />

des Mittleren Ostens wird weiterhin umgeworfen<br />

durch die Spaltung des Irak in schiitische, kurdische<br />

und sunnitische Zonen mittels brutaler ethnisch-religiöser<br />

Säuberungen und die Entstehung eines sunnitischen<br />

„Dschihadistan“, das sich von Aleppo in Syrien<br />

bis Falludscha im Irak erstreckt.<br />

In diesem Kontext wäre ein Nuklearabkommen<br />

zwischen Amerika und dem Iran, wie es sich <strong>der</strong>zeit<br />

abzeichnet, eine heikle Sache. Die Ölmonarchien<br />

<strong>der</strong> Arabischen Halbinsel befürchten, in diesem Fall<br />

den Kürzeren zu ziehen und zusehen zu müssen, wie<br />

Obama sich mit Teheran versöhnt, gerade so wie Nixon<br />

es 1972 mit Peking tat. Und schließlich sind sich<br />

dieselben arabischen sunnitischen Län<strong>der</strong> innerhalb<br />

des Golf-Kooperationsrats uneins darüber, wie sie es<br />

mit den Muslimbrü<strong>der</strong>n halten wollen. Diese transnationale<br />

islamistische Organisation wird von Katar<br />

und dessen Sen<strong>der</strong> Al Dschasira, aber auch von<br />

Die islamische Zivilisation<br />

ist tief gespalten<br />

und kaum auf einen<br />

gemeinsamen Nenner<br />

zu bringen<br />

Erdogans Türkei unterstützt, während Saudi-Arabien<br />

sie bekämpft – aus Sorge, die aus dem Mittelstand rekrutierten<br />

lokalen Muslimbrü<strong>der</strong> würden die Dynastie<br />

in Riad stürzen.<br />

Der saudische Staat und seine Verbündeten finanzieren<br />

lieber in Kairo Marschall Sisi, <strong>der</strong> ein unerbittlicher<br />

Gegner <strong>der</strong> ägyptischen Muslimbrü<strong>der</strong> ist, mit<br />

einem Budget in Höhe von 13 Milliarden Dollar. Die<br />

gewaltige Summe ist das Zehnfache jenes Betrags, mit<br />

dem die Amerikaner Ägypten unterstützen. Dennoch<br />

wird diese Achse <strong>der</strong> „Rückkehr zur militärisch-konservativen<br />

Ordnung“, <strong>der</strong>en Schatzmeister in Riad sitzen,<br />

von Teheran beschuldigt, <strong>der</strong> größte Destabilisierungsfaktor<br />

<strong>der</strong> Region zu sein. Saudis und Ägypter,<br />

so lautet <strong>der</strong> iranische Vorwurf, unterstützten unter<br />

<strong>der</strong> Hand die Dschihadisten von IS, die sich zum Salafismus<br />

bekennen, <strong>der</strong> strengen sunnitischen Doktrin<br />

des saudischen Königreichs, <strong>der</strong> zufolge Schiiten als<br />

Apostaten den Tod verdienten.<br />

Fast immer, wenn <strong>der</strong> islamistische Terror sein<br />

Haupt erhebt, verläuft er an <strong>der</strong> Scheidelinie von Schiiten<br />

und Sunniten. Die Schiiten leiten sich vom arabischen<br />

Wort für Gruppe o<strong>der</strong> Fraktion ab. Sie waren<br />

eine Abspaltung von den Mehrheitsmuslimen. Sie<br />

folgten Ali, dem vierten Kalifen des <strong>Islam</strong>, dem Cousin<br />

und Schwiegersohn des Propheten. Nach dessen<br />

Ermordung im Jahr 661 hielten die Schiiten allein die<br />

Nachkommen Alis für legitime Kalifen. Später spalteten<br />

sich von ihnen die Alewiten ab. Die Sunniten hingegen<br />

knüpfen die Führung <strong>der</strong> muslimischen Gemeinschaft,<br />

<strong>der</strong> Umma, nicht an eine Abstammung aus <strong>der</strong><br />

Prophetenfamilie. Sie stehen in <strong>der</strong> Nachfolge jener<br />

vornehmen Familien <strong>der</strong> Aristokratie von Mekka, aus<br />

<strong>der</strong>en Reihen die ersten drei Kalifen hervorgegangen<br />

waren. Der Zwist zwischen den beiden Gruppierungen<br />

durchzieht die islamische Geschichte. Erst mit <strong>der</strong><br />

iranischen „<strong>Islam</strong>ischen Republik“ von 1979 aber erreichte<br />

dieser Gegensatz seine unermesslichen Tiefen.<br />

Um den Übergang von <strong>der</strong> etwas naiven Begeisterung<br />

für die „arabischen demokratischen Revolutionen“<br />

im Frühling 2011 zu den Massakern und den politisch-religiösen<br />

Rissen des Sommers 2014 zu verstehen,<br />

muss man sowohl die Fakten betrachten als auch die<br />

Art und Weise, wie man sich im Westen die arabischmuslimische<br />

Welt vorstellt. Unsere Eliten leiden unter<br />

zwei akademisch übertragbaren Krankheiten, die<br />

aus amerikanischen Universitäten stammen: dem Fukuyama-<br />

und dem Huntington-Syndrom.<br />

Die erste Erzählung, Fukuyamas „Ende <strong>der</strong> Geschichte“,<br />

strebt die universale Vorherrschaft <strong>der</strong> amerikanischen<br />

Normen in einer unipolaren Welt an. Bestärkt<br />

durch den EU-Beitritt <strong>der</strong> meisten ehemaligen<br />

sozialistischen Län<strong>der</strong> aus Mitteleuropa, wurde diese<br />

große Erzählung aus Bequemlichkeit herangezogen,<br />

um den „Arabischen Frühling“ des Jahres 2011 zu<br />

analysieren. Die Metapher bezieht sich sowohl auf den<br />

„Prager Frühling“ von 1968 als auf den „Frühling <strong>der</strong><br />

16<br />

<strong>Cicero</strong> – 8. 2014

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