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Cicero Ist der Islam böse? (Vorschau)

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SALON<br />

Porträt<br />

AUS DEM GRAS GERATEN<br />

Die ukrainische Künstlerin Alevtina Kakhidze verbindet Politik mit Poesie. Ihre<br />

Stilmittel sind Suppe, Bleistift und Humor. Schon Oligarchen gingen ihr auf den Leim<br />

Von KRISTINA V. KLOT<br />

Als jüngst zur Eröffnung <strong>der</strong> „Manifesta<br />

10“ Kurator Kasper König<br />

<strong>der</strong> Ukrainerin Alevtina<br />

Kakhidze das Mikrofon überließ, war<br />

die Botschaft klar: Auch eine Künstlerin,<br />

die als Maidan-Aktivistin für die Unabhängigkeit<br />

ihrer Heimat eintritt, sollte<br />

in Sankt Petersburg in <strong>der</strong> ersten Reihe<br />

stehen. Kakhidzes knabenhafte Erscheinung<br />

mit <strong>der</strong> Bobfrisur über erstaunt<br />

blickenden Augen ließ weniger an eine<br />

Kunstaktivistin denken als an ein unerschrockenes<br />

großes Kind. Tags zuvor erst<br />

hatte sie ihre neue Performance „Victory<br />

over electricity“ angekündigt.<br />

Kakhidzes Fähigkeit, die Gegenwart<br />

poetisch zu reflektieren, zeigte sich zuletzt<br />

in ihrer Arbeit „TV Studios / Rooms<br />

without Doors“. Die Videoinstallation<br />

im Pinchuk Art Centre, einem Museum<br />

für Gegenwartskunst in Kiew, lief in einer<br />

surrealen Studiokulisse. Die Künstlerin<br />

trug sehr ernst absurde News vor:<br />

„Die Menschen haben aufgehört, Tomaten,<br />

Wassermelonen und Erdbeeren zu<br />

essen. Der Grund: Diese weisen eine rote<br />

Farbe auf, die an den Sozialismus erinnert.<br />

Ärzte warnen: Bitte essen Sie weiter<br />

Früchte, sie enthalten wichtige Vitamine!“<br />

O<strong>der</strong>: „In Berlin ist die Mitnahme<br />

von Hunden in <strong>der</strong> U-Bahn erlaubt, jetzt<br />

for<strong>der</strong>n Kiewer Bürger dieses Recht ein.<br />

Die Antwort des Bürgermeisters: Bei den<br />

Berliner Hunden handelt es sich um sozialisierte<br />

Wesen. Kiews Hunde sind noch<br />

nicht reif für die U-Bahn.“<br />

1973 im Osten <strong>der</strong> Ukraine als Tochter<br />

eines Georgiers geboren, wuchs Alevtina<br />

Kakhidze mit <strong>der</strong> russischen Sprache<br />

auf und lernte Ukrainisch erst mit<br />

22 Jahren, nachdem sie 1995 nach Kiew<br />

gezogen war. Als Jugendliche entdeckte<br />

sie den Science-Fiction-Autor Clifford<br />

D. Simak für sich. Als „Gegenpol zum<br />

sowjetischen Sachbuch“ hätten seine<br />

Erzählungen sie vor dem Stumpfsinn bewahrt.<br />

„Er schrieb Gras ein Bewusstsein<br />

zu und die Fähigkeit zum Denken – großartig!“<br />

1991 erlebte sie als 18-Jährige<br />

den Zusammenbruch <strong>der</strong> Sowjetunion<br />

und den Beginn <strong>der</strong> postsozialistischen<br />

Ära <strong>der</strong> Ukraine.<br />

Kakhidze, die als Kunststudentin<br />

in Maastricht von 2004 bis 2006 erste<br />

Auslandserfahrungen sammelte, erinnert<br />

sich an einen Streit mit einem deutschen<br />

Freund: „Er erzählte mir als Erster von<br />

<strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> USA im Zweiten Weltkrieg.<br />

Bis dahin war ich überzeugt, dass die Sowjetunion<br />

den Krieg beendet hatte.“ Es<br />

war diese Erfahrung von Indoktrination,<br />

die ihren Anspruch begründete, sich nur<br />

noch aus erster Hand zu informieren.<br />

ALS KONSEQUENZ initiierte sie 2007 ihr<br />

privates Artist-in-Residence-Programm,<br />

bei dem sie im Sommer Künstler aus aller<br />

Welt einlädt, einige Wochen im Atelier<br />

ihres Hauses in einem Dorf nahe<br />

Kiew zu verbringen, „um uns mit ihrem<br />

Blick auf die Welt zu überraschen“.<br />

Im Dezember 2013, nachdem Ex-Präsident<br />

Janukowitsch das Assoziierungsabkommen<br />

mit <strong>der</strong> EU platzen ließ, organisierte<br />

die Künstlerin ein Happening auf<br />

dem Maidan und postierte neben einem<br />

Topf Suppe einen Sachverständigen für<br />

den EU-Vertrag, <strong>der</strong> Vorurteile über das<br />

Schriftstück ausräumen konnte.<br />

Zentrales Thema von Alevtina<br />

Kakhidze sind die neokapitalistischen<br />

Auswüchse, die in <strong>der</strong> Ukraine eine<br />

Min<strong>der</strong>heit einflussreicher Oligarchen<br />

hervorbrachten. An zwei von ihnen<br />

wandte sie sich 2008 in einem offenen<br />

Brief, <strong>der</strong> sie in <strong>der</strong> Ukraine berühmt<br />

machte. Darin bat sie die beiden, von ihrem<br />

Privatjet aus die Erde von oben zu<br />

zeichnen. Die Antwort kam 24 Monate<br />

später und enthielt die Einladung, die<br />

Zeichnung doch bitte selbst in einem bereitgestellten<br />

Jet anzufertigen. Kakhidze<br />

willigte ein, stieg ins Flugzeug und ließ<br />

die enttäuschte Presse hernach wissen,<br />

sie habe nicht gezeichnet, aber den Blick<br />

aus großer Höhe genossen.<br />

Einen Wechsel <strong>der</strong> Perspektive vollzog<br />

die Künstlerin auch, als sie bei sich<br />

und ihren Landsleuten neuartige Konsumgelüste<br />

wahrnahm. Ohnehin stets mit<br />

Block und Stift unterwegs, begann sie<br />

Dinge, die sie sich gerne kaufen würde,<br />

zu zeichnen und wähnte sich dadurch in<br />

ihrem Besitz. Bei <strong>der</strong> 7. Berlin-Biennale<br />

2012 trat sie als Sammlerin von 500 Werken<br />

auf, die nur auf Papier existieren:<br />

antike Lampen, Prada-Pumps, Objekte<br />

von Jeff Koons. Ihr Rat: „Wenn du etwas<br />

wirklich haben willst, kaufe es nicht,<br />

son<strong>der</strong>n bringe es aufs Papier. Nur wenn<br />

man sich vom Konsum fernhält, bleibt<br />

das ursprüngliche Begehren erhalten.“<br />

Um das Dilemma des Wahrheitsanspruchs<br />

drehte sich ihre für die „Manifesta<br />

10“ inszenierte Pressekonferenz<br />

„Victory over Electricity“. Als sie von einem<br />

Bühnenstück russischer Futuristen<br />

von 1913 erfuhr, dessen Titel „Victory<br />

over Sun“ auf den Siegeszug <strong>der</strong> Elektrizität<br />

anspielt, kam ihr <strong>der</strong> Gedanke:<br />

„Fernsehen, Internet und Skype haben<br />

uns nicht viel weiter gebracht.“ Noch<br />

immer treffe sie auf russische Intellektuelle,<br />

<strong>der</strong>en Ukraine-Kenntnisse auf<br />

solcherart vermittelter Propaganda beruhten.<br />

Da helfe nur ein radikales Gegenmittel:<br />

„Hiermit erkläre ich den Sieg<br />

über die Elektrizität und for<strong>der</strong>e das Gespräch<br />

eins zu eins!“ Sie vertraut nur <strong>der</strong><br />

Unmittelbarkeit.<br />

KRISTINA V. KLOT konnte in Sankt Petersburg<br />

an den Reaktionen <strong>der</strong> Besucher ablesen,<br />

dass die meisten Russen noch keinen Zugang<br />

zu zeitgenössischer Kunst haben<br />

Foto: Konstantin Chernichkin/n-ost für <strong>Cicero</strong><br />

106<br />

<strong>Cicero</strong> – 8. 2014

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