Cicero Ist der Islam böse? (Vorschau)
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MILITANTER ISLAM<br />
MUSLIMBRÜDER<br />
Die Muslimbru<strong>der</strong>schaft ist die Mutterorganisation des<br />
politischen <strong>Islam</strong>. Von einer kleinen Gruppe um den<br />
Grundschullehrer Hasan al Banna 1928 in Ägypten<br />
gegründet, propagiert sie eine „Rückkehr zum <strong>Islam</strong>“.<br />
In kurzer Zeit wuchs die Bru<strong>der</strong>schaft zur Massenbewegung,<br />
die Wohlfahrtsorganisationen betreibt, aber<br />
auch versucht, Armee und Verwaltung zu infiltrieren.<br />
2012 gewann <strong>der</strong> Muslimbru<strong>der</strong> Mohammed al Mursi<br />
die Präsidentenwahl. Ein Jahr später setzte die Armee<br />
ihn ab. Wie schon oft in ihrer Geschichte werden die<br />
Muslimbrü<strong>der</strong> erneut brutal verfolgt.<br />
HAMAS<br />
Seit ihrem Wahlsieg 2006 regiert Hamas über den<br />
Ga zastreifen. 1987 von Achmed Yassin als Zweig <strong>der</strong><br />
Muslimbru<strong>der</strong>schaft und als Opposition gegen die<br />
säkulare PLO gegründet, setzte auch Hamas auf eine<br />
Kombination von Sozialleistungen und Gewalt. Ihre<br />
Charta ruft zur Vernichtung Israels auf – nach <strong>der</strong><br />
Unterzeichnung des Osloer Abkommens 1993 war sie<br />
für zahlreiche Selbstmordattentate in Israel verantwortlich.<br />
Nachdem Israel den Gazastreifen abgeriegelt<br />
hat, um weitere Attentate zu verhin<strong>der</strong>n, verlegt sie<br />
sich auf regelmäßigen Raketenbeschuss.<br />
HISBOLLAH<br />
Die „Partei Gottes“ sieht sich als eine <strong>der</strong> wichtigsten<br />
Vertreterinnen <strong>der</strong> schiitischen Bevölkerung des Libanon.<br />
Sie wurde 1982 mit iranischer Unterstützung gegründet<br />
und ist zu einer Art Staat im Staat geworden. Hisbollah<br />
ist im Parlament und in <strong>der</strong> Regierung vertreten und<br />
unterhält auch die schlagkräftigste Miliz des Nahen<br />
und Mittleren Ostens, die zurzeit an <strong>der</strong> Seite Baschar<br />
al Assads in Syrien kämpft und ein gegen Israel gerichtetes<br />
Raketenarsenal im Süden Libanons unterhält.<br />
Hisbollah wird für zahlreiche Attentate auch außerhalb<br />
des Nahen Ostens verantwortlich gemacht.<br />
AL QAIDA<br />
„Die Basis“ ist seit den Anschlägen vom 11. September 2001<br />
die wohl bekannteste Terrororganisation. Von Osama<br />
bin Laden 1988 gegründet, richtete sie sich zunächst<br />
gegen die Präsenz von US-Truppen auf saudischem<br />
Boden. Später kam die Verteidigung des <strong>Islam</strong> mit einem<br />
Dschihad gegen „Ungläubige“ hinzu. Seit dem Tod bin<br />
Ladens am 2. Mai 2011 gilt <strong>der</strong> Ägypter Ayman al Zawahiri<br />
als Kopf einer Dachorganisation, unter <strong>der</strong> sich inzwischen<br />
zahlreiche regionale Dschihadisten-Gruppierungen<br />
wie „Al Qaida im Zweistromland“ im Irak o<strong>der</strong> „Al Qaida<br />
auf <strong>der</strong> Arabischen Halbinsel“ im Jemen gebildet haben.<br />
ISIS ODER IS<br />
Aus einer dieser „Untergruppierungen“, <strong>der</strong> „ Al-Qaida<br />
im Irak“, ging die dschihadistische Terrororganisation<br />
„<strong>Islam</strong>ischer Staat in Irak und Syrien“ hervor. Sie strebt<br />
die Errichtung eines islamischen Kalifats an, das den<br />
Irak und Syrien, aber auch Jordanien, Libanon und<br />
Israel/Palästina umfasst. Im syrischen Bürgerkrieg<br />
kämpft sie gegen Baschar al Assad, aber auch gegen<br />
die freie syrische Armee und Kurden im Norden des<br />
Landes. Im Irak eroberte sie jüngst weite Teile des sunnitischen<br />
Nordens mit <strong>der</strong> Stadt Mosul. Seit Mai 2010<br />
ist Abu Bakr al Baghdadi ihr Anführer.<br />
Die Reaktion <strong>der</strong> USA auf den 11. September bestand<br />
darin, zwei Jahre später in Saddam Husseins Irak<br />
einzumarschieren. Den Vorwand gaben eine vage Verbundenheit<br />
mit dem Dschihadismus ab und <strong>der</strong> Verdacht,<br />
<strong>der</strong> Diktator besitze Massenvernichtungswaffen.<br />
Die Besatzung Iraks diente <strong>der</strong> Regierung Bush, nach<br />
dem Tod Husseins einen schiitisch dominierten Staat<br />
zu errichten. Durch einen solchen Gegenpol wollte<br />
man das sunnitische Saudi-Arabien bestrafen, da 15<br />
<strong>der</strong> 19 Selbstmordattentäter vom 11. September aus<br />
diesem Land gekommen waren. Außerdem sollte <strong>der</strong><br />
Weltmarkt mit irakischem Öl versorgt werden. Schließlich<br />
sah man in einem proamerikanischen, prosperierenden<br />
schiitischen Staat ein Vorzeigemodell, das die<br />
iranischen Bürger ermuntern sollte, die Mullahs zu<br />
stürzen. Diese naive Wahrnehmung basierte auf <strong>der</strong><br />
Erfahrung mit <strong>der</strong> Übergangssituation im sowjetischen<br />
Osteuropa. Ein großes Chaos im Irak war das Resultat,<br />
die jüngsten Ausläufer sind die Mordaktionen von IS.<br />
Paradoxerweise stärkte also die amerikanische Sichtweise<br />
den Iran, den man einhegen wollte.<br />
Der „Arabische Frühling“ hat den Akteuren<br />
<strong>der</strong> zivilen Gesellschaft ermöglicht, sich für<br />
die Demokratie einzusetzen. Er gefährdet<br />
aber seit 2012 das geopolitische Gleichgewicht<br />
<strong>der</strong> Region, indem er die Län<strong>der</strong>, in denen er<br />
sich ereignet, schwächt und die Karten neu verteilt.<br />
Die sunnitischen Dschihadisten sehen sich als Kin<strong>der</strong><br />
bin Ladens, lassen sich aber in die Machtkämpfe in<br />
Syrien und Irak hineinziehen, während Al Qaida eine<br />
transnationale Organisation war. Sie gefährden Teheran<br />
durch den Druck, den sie auf Assad in Syrien und<br />
Maleki im Irak zu jenem Zeitpunkt ausüben, da die<br />
Verhandlungen zwischen Iran und den USA zu Ende<br />
gehen. Sollten diese erfolgreich abgeschlossen werden,<br />
sähen sich die sunnitischen Öl-Königreiche <strong>der</strong> Arabischen<br />
Halbinsel geschwächt. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />
mussten die schiitischen <strong>Islam</strong>isten <strong>der</strong> libanesischen<br />
Hisbollah, die den Druck auf Israel konstant halten sollen,<br />
militärisch gegen die syrische sunnitische Revolution<br />
eingreifen. Damit wurde die Stellung Assads gesichert,<br />
<strong>der</strong> Druck auf Israel wie<strong>der</strong>um gelockert. Israel<br />
kann nun dank des syrischen Engagements <strong>der</strong> Hisbollah<br />
ungehin<strong>der</strong>t die Hamas bekämpfen.<br />
Momentan sind Muslime die Hauptopfer <strong>der</strong> islamistischen<br />
Terrorbewegungen. Europa aber wäre gut<br />
beraten, ernsthaft über eine zentrale Frage nachzudenken:<br />
Was bedeutet die Rückkehr vieler Tausen<strong>der</strong><br />
europäischer IS-Kämpfer in die europäischen Staaten?<br />
Übersetzung: Dorothée Pschera<br />
GILLES KEPEL ist Professor am Institut<br />
d’études politiques de Paris. Er widmet sich seit<br />
30 Jahren <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen muslimischen Welt und<br />
schrieb u. a. „Das Schwarzbuch des Dschihad“<br />
und „Die Spirale des Terrors“<br />
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<strong>Cicero</strong> – 8. 2014