Cicero Ist der Islam böse? (Vorschau)
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und Sex‘ kam für mich nicht infrage, ‚Kunst und Tod‘ fand<br />
ich zu groovy.“ Also sei das Geld geblieben. „Dabei“, sagt<br />
Haupt, „hat sich die Kunst jahrhun<strong>der</strong>telang gar nicht mit<br />
dem Geld beschäftigt. Die Künstler haben zur Finanzwelt<br />
geschwiegen.“<br />
JETZT SCHWEIGT AUCH HAUPT. Er sucht nach Worten.<br />
Manchmal schaut er auf ein Bild an <strong>der</strong> Wand. „Materie zum<br />
Nachdenken“ nennt er seine Kunst voller Respekt. Dann<br />
setzt er wie<strong>der</strong> an: „In den siebziger Jahren kam dann das<br />
Geld in die Kunst.“ Der Anwalt fällt in einen dozierenden<br />
Ton. Er scheint lange gegrübelt zu haben über die Geldkunst,<br />
über die Verschmelzung <strong>der</strong> scheinbaren Gegensätze. Vielleicht,<br />
sagt er, habe das mit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems<br />
zu tun gehabt – <strong>der</strong> Loslösung des Goldes<br />
vom amerikanischen Dollar –, vielleicht aber auch mit<br />
den neuen Messen für Gegenwartskunst.<br />
Seit damals jedenfalls sei das Geld da. Es bestimmt,<br />
wie wir die Kunst bewerten. Es bestimmt, wie wir über die<br />
Kunst reden. Stefan Haupt redet von ihr zuweilen mit Skepsis.<br />
Er glaube nicht an Kapitalvermehrung<br />
durch die Kunst. „Klar gibt es Menschen,<br />
für die ist die Kunst eine Anlageform wie<br />
Aktien o<strong>der</strong> Immobilien.“ Doch im Kern<br />
sei <strong>der</strong> Markt zu intransparent, im Kern<br />
gebe es von <strong>der</strong> Kunstware viel zu viel.<br />
Dann dreht er sich um und schaut wie<strong>der</strong><br />
hinüber über den Fluss. In seinem Rücken<br />
wird ein Holzschnitt sichtbar. Haupts Silhouette<br />
hatte ihn zuvor verdeckt. Es ist<br />
ein überdimensionierter 50-Mark-Schein,<br />
ein Bild des deutschen Grafikers Hans Ticha.<br />
„Finanzprodukt“ heißt die unscheinbare<br />
braune Arbeit. Eine aufgeblasene<br />
Falschgeldnote. Doch das Bild führt alle<br />
Ambivalenzen in sich zusammen. Vielleicht<br />
sind Bild und Banknote längst dasselbe.<br />
Kunst ist Geld auf großem Format.<br />
Vor ein paar Jahren hat Stefan Haupt seiner Sammlung einen<br />
Namen gegeben. Sie heißt jetzt „30 Silberlinge“. Vermutlich<br />
ist das mehr als nur ein gewöhnlicher Titel. Es ist <strong>der</strong><br />
biblische Preis, für den Judas einst die Wahrheit verkaufte.<br />
Die meisten verkaufen die Wahrheit nie. Durchschnittlich<br />
14 192 Euro verdienen laut Künstlersozialkasse Bildende<br />
Künstler jährlich. In <strong>der</strong> Erzählung vom boomenden<br />
Kunstmarkt kommen diese Künstler nicht vor. Auf<br />
dem „Winner-takes-it-all-Markt“ bilden sie die schweigende<br />
Mehrheit. Kein Blick auf die Flüsse, kein Leben jenseits<br />
<strong>der</strong> Brachen. Ihren Galeristen geht es nicht besser. Laut einer<br />
Umfrage des Instituts für Strategieentwicklung erzielen<br />
fast ein Drittel <strong>der</strong> Galerien Berlins einen Jahresumsatz<br />
von weniger als 50 000 Euro. Die großen Gewinne erzielen<br />
nicht mal zwei Dutzend. Das ist <strong>der</strong> Alltag jenseits <strong>der</strong><br />
„Art Basel“-Seite <strong>der</strong> Kunst.<br />
„Wir reden gewöhnlich nicht über diese Realitäten“,<br />
meint Ben Kaufmann. „Die Normalität kommt in <strong>der</strong> Berichterstattung<br />
über Kunst gar nicht vor. Wir reden lieber<br />
Im Schnitt<br />
verdienen<br />
Künstler 14 000<br />
Euro jährlich<br />
über Superlative; über Geschichten, bei denen <strong>der</strong> Wahrheitsgehalt<br />
oft fraglich ist.“ Die Geschichte etwa von Ben<br />
Kaufmann. Und diese Geschichte, die geht so: Ein junger<br />
Galerist mit besten Kontakten, mit Messeeinladungen bis<br />
nach New York, ein Kunstvermittler, kultiviert und erfolgreich.<br />
Eines Tages schließt dieser Mann seine boomende<br />
Galerie. Plötzlich, unverhofft, fast über Nacht.<br />
Für einen Moment scheint <strong>der</strong> Szene <strong>der</strong> Atem zu stocken.<br />
Kaufmann dreht den Schlüssel im Türschloss und<br />
kehrt allen Bil<strong>der</strong>n den Rücken zu, den Arbeiten von Matthias<br />
Dornfeld, Maja Körner, Bernd Ribbeck. „Am Erfolg<br />
gescheitert“ schrieb damals Die Zeit über das Ende <strong>der</strong> Galerie<br />
an einer belebten Szenestraße im Osten Berlins. Das<br />
war vor fast drei Jahren. Jetzt sitzt <strong>der</strong> 41-jährige Kaufmann<br />
in <strong>der</strong> Lobby eines Hotels an <strong>der</strong>selben Straße und<br />
schaut hinüber zum einstigen Glück. „Ich traure dem nicht<br />
nach“, sagt <strong>der</strong> hochgewachsene, leicht schüchterne Mann.<br />
Er trägt eine rote Baseballkappe auf seinem Kopf und verrührt<br />
gedankenverloren einen Latte macchiato. „Der Entschluss,<br />
meine Galerie zu schließen, kam wirklich von innen<br />
heraus.“ Er hat es versucht. Er ist<br />
gescheitert. Viele sollten noch nach ihm<br />
schließen. Giti Nourbakhsch etwa o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Berliner Platzhirsch Martin Klosterfelde.<br />
Etwas scheint faul zu sein am Finanzplatz<br />
Kunst. „Der ganze Apparat<br />
ist aufgebläht. Vieles wird heiterer geredet,<br />
als es ist.“ Kaufmann weiß genau,<br />
wovon er da spricht. Er musste selbst<br />
noch im Straucheln groß sein: Am Erfolg<br />
gescheitert. Nicht am Markt und<br />
nicht an den Finanzen. „Manches von<br />
dem, was damals über die Schließung<br />
meiner Galerie in den Medien zu lesen<br />
gewesen ist, hat einfach nicht ganz <strong>der</strong><br />
Wahrheit entsprochen.“<br />
Doch das ist halt damals gewesen;<br />
vor knapp drei Jahren. Jetzt gibt es neue<br />
Wahrheiten über Ben Kaufmann. Jetzt ist <strong>der</strong> Ex-Galerist<br />
zurück. Zurück bei den Bil<strong>der</strong>n und den Talenten. Bei <strong>der</strong><br />
Kunst, die mehr sein will als Konsum o<strong>der</strong> Luxus. Seit letztem<br />
Sommer leitet er den „Neuen Aachener Kunstverein“ –<br />
ein Haus, das auch jenseits <strong>der</strong> Kaiserstadt einen Namen<br />
besitzt. Von <strong>der</strong> Marktseite ist Kaufmann auf die Institutionsseite<br />
gewechselt. Doch auch die ist längst nicht mehr<br />
vom Geld zu trennen: „Natürlich haben Künstler ein großes<br />
Interesse, in Kunstvereinen auszustellen. Das schafft<br />
Reputation und Aufmerksamkeit – und letztlich steigert es<br />
auch die kommerzielle Nachfrage.“<br />
ER ZIEHT SICH die Baseballkappe von seinem Kopf. Und<br />
dann erzählt er von <strong>der</strong> Verquickung zweier scheinbar getrennter<br />
Systeme: von Sammlern, die sich in Kunstvereinen<br />
engagierten, von Galeristen, die Ausstellungsproduktionen<br />
und Kataloge finanzierten. „Die Grenze zwischen<br />
dem Markt und den Institutionen ist ziemlich diffus geworden.<br />
In gewisser Weise besteht ein Abhängigkeitssystem.<br />
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<strong>Cicero</strong> – 8. 2014