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Religion und Offenbarung - Orient-Institut Beirut

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Interessant ist nun – wenn Bileam wirklich gemeint ist – dass hier im Koran Bileam<br />

ursprünglich als von Gott gesandt gilt, „dem wir unsere Zeichen gaben“, der sich<br />

dann aber abkehrte bzw. vom Satan in die Irre geleitet wurde. Es ist also noch die<br />

positive Sicht auf Bileam bekannt, doch die negative Tradition übermalt das Bild. Es<br />

wäre natürlich interessant <strong>und</strong> reizvoll, hier gemeinsam weiterzuarbeiten, denn<br />

spätere Kommentatoren tragen einiges Wissen über Bileam zusammen. Dabei<br />

diskutieren sie vor allem die Frage, wie es sein kann, dass ein Prophet, der Gottes<br />

Namen kannte, von Gott abfallen konnte 29 .<br />

An dieser Entwicklung der Bileamfigur wird besonders deutlich, was in der<br />

biblischen Textüberlieferung vor sich gehen kann, die ja eingangs als „menschlicher<br />

Text“ bezeichnet worden war. Frühe Tradenten konnten offensichtlich problemlos<br />

die Überlieferung eines „heidnischen“ Propheten aufnehmen 30 <strong>und</strong> erzählerisch<br />

darstellen, dass Gott sich auch Fremden offenbart, dies zum Wohle seines<br />

auserwählten Volkes. Spätere Überlieferer nahmen daran Anstoß <strong>und</strong> korrigierten<br />

die Darstellung; Bileam ist nun ein Verführer oder falscher Mantiker. Die<br />

<strong>Offenbarung</strong> Gottes an ihn wird also erzählerisch zurückgenommen; die Bibel<br />

korrigiert sich selbst. Die Gründe dafür kann man nur vermuten; wahrscheinlich ist<br />

m. E. eine in verschiedenen Schriften zu beobachtende Tendenz, sich von den<br />

andern Völkern abzugrenzen. Eine <strong>Offenbarung</strong> Gottes außerhalb Israels schien<br />

dann nicht länger hinnehmbar zu sein.<br />

<strong>Offenbarung</strong> im Alten Testament<br />

Damit komme ich zum Schluss, indem ich die Ergebnisse der Beschäftigung mit<br />

Bileam an unser Konferenzthema zurückbinde – zugegeben in sehr groben Strichen.<br />

„Diese <strong>Offenbarung</strong> ist der Bezugspunkt aller religiösen Verkündigung <strong>und</strong> Praxis<br />

<strong>und</strong> als solche der Legitimationsgr<strong>und</strong> der <strong>Religion</strong>“, so heißt es in der Einladung zu<br />

unserer Tagung. Für die <strong>Religion</strong> des Alten Testaments kann dieser Satz nicht<br />

gelten. Die Hebräische Bibel hat keinen Begriff für „<strong>Offenbarung</strong>“, aber sie kennt<br />

unterschiedliche Formen der Selbstmitteilung Gottes, in Träumen, Visionen,<br />

Auditionen, Naturereignissen, geschichtlichen Machttaten – bis hin zur großen<br />

Theophanie am Sinai. Doch es gibt auch Texte wie 1. Könige 19, die frühere<br />

Erzählungen von <strong>Offenbarung</strong>en in Frage stellen können: Der Herr war nicht im<br />

Sturmwind, nicht im Erdbeben, nicht im Feuer. 31 Und selbst die normativ gemeinten<br />

Inhalte dessen, was dem Mose auf dem Sinai als ewiger Wille Gottes offenbart<br />

wurde 32 , kann erzählerisch in den darauf folgenden Kapiteln korrigiert oder<br />

29<br />

S. FRED LEEMHUIS, Bal‛am in Early Koranic Commentaries, in: GEURT HENDRIK VAN KOOTEN, The<br />

prestige of the pagan prophet Balaam in Judaism, early Christianity and Islam, Leiden 2003 , 303–308.<br />

30<br />

BARUCH A. LEVINE, Numbers 21–36, AB 4, New York 2000, 207-237, nimmt etwa eine<br />

transjordanisches Archiv als mögliche Quelle an.<br />

31<br />

Vgl. 1. Kön 19,11f.<br />

32<br />

Vgl. Ex 19-Num 10.<br />

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