Religion und Offenbarung - Orient-Institut Beirut
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Die Unterscheidung von <strong>Religion</strong> = Projektion = unwahr <strong>und</strong> Christentum = <strong>Offenbarung</strong> =<br />
wahr löst also kein Problem, aber sie führt zu einem Problem hin, nämlich zur<br />
Begründungspflichtigkeit der eigenen Wahrheit. Außerdem enthält die Behauptung,<br />
das Christentum sei keine <strong>Religion</strong> <strong>und</strong> deshalb wahr, eine massive Abwertung aller<br />
anderen <strong>Religion</strong>en, die einen interreligiösen Dialog sehr schwer macht, wenn nicht<br />
sogar unmöglich. Will man diese Abwertung der nichtchristlichen <strong>Religion</strong>en<br />
vermeiden, dann muss man auch das Verhältnis von Projektion <strong>und</strong> <strong>Offenbarung</strong><br />
untersuchen. Feuerbach – <strong>und</strong> dann später die skizzierte Verteidigung gegen ihn -<br />
setzen ja voraus, dass es einen direkten Gegensatz zwischen Projektion <strong>und</strong><br />
<strong>Offenbarung</strong> gibt. Feuerbach <strong>und</strong> seine Gegner behaupten: ENTWEDER <strong>Offenbarung</strong><br />
ODER Projektion.<br />
So will ich hier einen anderen Weg gehen, der letztlich zwar auch nicht ohne<br />
F<strong>und</strong>amentaltheologie auskommt, aber zumindest auf die generelle Abwertung<br />
nichtchristlicher <strong>Religion</strong>en verzichten kann. Zunächst aber muss die Frage geklärt<br />
werden, wie denn im biblischen Bereich mit der Beziehung „<strong>Offenbarung</strong> –<br />
<strong>Religion</strong>“ umgegangen wird.<br />
2. Biblische Varianten der Projektionsthese<br />
2.1 Im Frühjudentum: Das Weisheitsbuch<br />
Die Frage nach dem Verhältnis von <strong>Religion</strong> <strong>und</strong> <strong>Offenbarung</strong> stellt sich im alten<br />
Israel zunächst nicht richtig. <strong>Offenbarung</strong> ist ein selbstverständlicher Bestandteil<br />
der <strong>Religion</strong>, <strong>und</strong> zwar im Plural! Man muss nämlich von vielen <strong>Offenbarung</strong>en<br />
reden: Gott zeigt sich in Träumen, Visionen <strong>und</strong> Auditionen. Immer wieder spricht<br />
er zu seinem Volk oder zu auserwählten Einzelnen. Propheten vor allem sind hier<br />
zu nennen. Sie vermitteln das, was Gott sagen will, seinem Volk. Sie sind so etwas<br />
wie seine Lautsprecher. Sie werden aber selbst auch schon durch eine <strong>Offenbarung</strong><br />
von Gott in Dienst genommen, nämlich durch die Berufungsvision. Das gilt für Mose<br />
ebenso wie für Jesaja oder Jeremia. Eine Unterscheidung von <strong>Religion</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Offenbarung</strong> liegt hier nicht nahe. Und solange Israel polytheistisch denkt, ist es<br />
nicht einmal nötig, zu bestreiten, dass auch andere Völker <strong>Offenbarung</strong>en haben.<br />
Natürlich müssen auch deren Götter mit ihrem Volk sprechen. Selbstverständlich<br />
müssen auch die ägyptischen Götter in <strong>Offenbarung</strong>en, vor allem in bestimmten<br />
Orakeln, dem König <strong>und</strong> dem Volk ihren Willen mitteilen. Ähnliches gilt für die<br />
Götter der anderen Nachbarvölker Israels.<br />
Ein Problem entsteht erst, als Israel überzeugt ist, das Jahwe nicht nur der höchste<br />
Gott ist, nicht nur der einzige, den man verehren darf, sondern der einzige<br />
überhaupt! Der einzige, der existiert! Von da an müssen die <strong>Offenbarung</strong>en der<br />
anderen abgewertet werden, weil die Götter, die da angeblich sprechen, ja gar nicht<br />
existieren.<br />
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