Religion und Offenbarung - Orient-Institut Beirut
Religion und Offenbarung - Orient-Institut Beirut
Religion und Offenbarung - Orient-Institut Beirut
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Dieses Problem verschärft sich zusätzlich im Diasporajudentum, das nicht nur mit<br />
der Existenz anderer <strong>Religion</strong>en zurechtkommen muss, sondern darüber hinaus<br />
auch noch als Minderheit in Gesellschaften überleben muss, die ganz <strong>und</strong> gar von<br />
diesen anderen <strong>Religion</strong>en geprägt sind. Das gilt für die Kultur ebenso wie für die<br />
Politik <strong>und</strong> das Recht. Die gesamte Lebenswelt, in der sich das Diasporajudentum<br />
bewegt, ist von Göttern geprägt, die es aus jüdischer Sicht gar nicht gibt.<br />
Ich möchte nur zwei Beispiele für den biblischen Umgang mit diesem Problem<br />
darstellen.<br />
Das erste Beispiel stammt aus dem „Buch der Weisheit“ (auch: „Weisheit Salomos“;<br />
lateinisch: „Sapientia Salomonis“). Diese Schrift ist das jüngste Buch des Alten<br />
Testaments <strong>und</strong> vermutlich in Alexandrien entstanden. Die Datierung ist unsicher,<br />
aber es muss jedenfalls in hellenistischer Zeit entstanden sein, grob gesprochen<br />
eben nach 300 v. Chr. Die genauere Datierung ist viel schwieriger, aber in jüngster<br />
Zeit haben viele Forscher dafür plädiert, es eher in die frühe Römerzeit zu datieren.<br />
Diese beginnt für Ägypten mit dem Sieg Octavians über Kleopatra VII. <strong>und</strong> Marcus<br />
Antonius in der Seeschlacht bei Actium, also 31 v. Chr. Das Weisheitsbuch ist<br />
ursprünglich griechisch geschrieben, also keine Übersetzung aus dem Hebräischen<br />
oder Aramäischen. Es ist deswegen nicht Bestandteil der Jüdischen Bibel, sondern<br />
nur der griechischen Fassung des Alten Testaments („Septuaginta“), weswegen es<br />
dann später Martin Luther nicht zum eigentlichen Bestand des Alten Testaments<br />
rechnete, während katholische <strong>und</strong> orthodoxe Christen es bis heute als Bestandteil<br />
ihrer Bibel lesen. Ganz unabhängig davon aber, wie der Status des Weisheitsbuches<br />
in den jeweiligen christlichen Konfessionen gesehen wird, ist das Buch in jedem Fall<br />
ein wichtiger Zeuge dafür, wie das frühe Judentum in Ägypten die <strong>Religion</strong>en seiner<br />
Umwelt wahrgenommen hat.<br />
Ich möchte hier nur einen kurzen Textausschnitt präsentieren, der aber zeigt, dass<br />
das frühe Judentum, das diesen Text schuf, den <strong>Religion</strong>en der Mehrheitskultur sehr<br />
kritisch gegenüberstand, auch wenn man sich generell um ein gutes Verhältnis zur<br />
Mehrheitsgesellschaft bemühte.<br />
Das Weisheitsbuch erklärt die Entstehung von <strong>Religion</strong> 1:<br />
13 10 Unselig aber sind jene, die auf Totes ihre Hoffnung setzen <strong>und</strong> Werke von<br />
Menschenhand als Götter bezeichnen, Gold <strong>und</strong> Silber, kunstvolle Gebilde <strong>und</strong><br />
Tiergestalten oder einen nutzlosen Stein, ein Werk uralter Herkunft. 11 Da sägte<br />
ein Holzschnitzer einen geeigneten Baum ab, entrindete ihn ringsum geschickt,<br />
bearbeitete ihn sorgfältig <strong>und</strong> machte daraus ein nützliches Gerät für den<br />
täglichen Gebrauch. 12 Die Abfälle seiner Arbeit verwendete er, um sich die<br />
Nahrung zu bereiten, <strong>und</strong> aß sich satt. 13 Was dann noch übrig blieb <strong>und</strong> zu nichts<br />
brauchbar war, ein krummes, knotiges Stück Holz, das nahm er, schnitzte daran so<br />
eifrig <strong>und</strong> fachgemäß, wie man es tut, wenn man am Abend von der Arbeit<br />
48