Religion und Offenbarung - Orient-Institut Beirut
Religion und Offenbarung - Orient-Institut Beirut
Religion und Offenbarung - Orient-Institut Beirut
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
abgespannt ist, formte es zum Bild eines Menschen 14 oder machte es einem<br />
armseligen Tier ähnlich, beschmierte es mit Mennig <strong>und</strong> roter Schminke,<br />
überstrich alle schadhaften Stellen, 15 machte ihm eine würdige Wohnstatt, stellte<br />
es an der Wand auf <strong>und</strong> befestigte es mit Eisen.<br />
16 So sorgte er dafür, dass es nicht herunterfiel, wusste er doch, dass es sich nicht<br />
helfen kann; es ist ein Bild <strong>und</strong> braucht Hilfe.<br />
17 Aber wenn er um Besitz, Ehe <strong>und</strong> Kinder betet, dann schämt er sich nicht, das<br />
Leblose anzureden. Um Ges<strong>und</strong>heit ruft er das Kraftlose an, 18 Leben begehrt er<br />
vom Toten. [….]<br />
Das Weisheitsbuch erklärt die Entstehung von <strong>Religion</strong> 2:<br />
14 15 Bedrückt durch allzu frühe Trauer ließ ein Vater von seinem Kind, das gar<br />
schnell hinweggerafft wurde, ein Bildnis machen; so ehrte er einen toten<br />
Menschen als Gott <strong>und</strong> führte bei seinen Leuten geheime Kulte <strong>und</strong> festliche<br />
Bräuche ein.<br />
16 Im Lauf der Zeit verfestigte sich die frevelhafte Sitte <strong>und</strong> wurde schließlich als<br />
Gesetz befolgt; 17 die Standbilder erhielten auf Anordnung der Herrscher göttliche<br />
Verehrung. Konnten die Menschen einen König nicht unmittelbar ehren, weil er<br />
weit weg wohnte, dann vergegenwärtigten sie den Fernen; sie machten von dem<br />
verehrten König ein Bildnis, das allen sichtbar war, um dem Abwesenden, als ob er<br />
gegenwärtig wäre, mit Eifer zu huldigen. 18 Der Ehrgeiz des Künstlers führte dazu,<br />
dass auch jene, die den König gar nicht kannten, ihm göttliche Verehrung<br />
erwiesen. 19 Wohl um dem Herrscher zu gefallen, bot er seine ganze Kunst auf, um<br />
ihn schöner darzustellen, als er war. 20 Von der Anmut des Bildes hingerissen,<br />
betete die Menge den, der noch kurz zuvor nur als Mensch geehrt wurde, jetzt wie<br />
einen Gott an.<br />
21 Der Welt ist dies zum Verhängnis geworden: Die Menschen haben, unter dem<br />
Druck von Unglück oder Herrschermacht, Stein <strong>und</strong> Holz den Namen beigelegt,<br />
der mit niemand geteilt werden kann. 2<br />
Ich denke, der Text macht sehr schön klar, dass die Projektionsthese nicht erst von<br />
Feuerbach entwickelt wurde. Sie wird allerdings im Weisheitsbuch eben nicht auf<br />
alle <strong>Religion</strong>en angewendet, sondern gilt nur für die <strong>Religion</strong>en der anderen, nicht<br />
für die eigene. Besonders kritikwürdig ist aus jüdischer Sicht dabei die Verehrung<br />
von Kultbildern. Dass sie menschliche Produkte sind, liegt auf der Hand. Deshalb<br />
sind sie auch der schönste <strong>und</strong> beste Angriffspunkt für die antike Form der<br />
Projektionsthese. In gnadenloser Polemik wird etwa in Weish 13,16 die Hilflosigkeit<br />
2<br />
Weish 14:15-21 (EÜ), Hervorhebungen J.K.<br />
49