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Religion und Offenbarung - Orient-Institut Beirut

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An dieser <strong>und</strong> an zahlreichen anderen Stellen des Alten Testaments wird deutlich,<br />

dass Gott nicht nur ein Gott des Kultes ist. Er interessiert sich für das Auskommen<br />

der Armen <strong>und</strong> für den Lohn der Arbeiter sogar mehr als für das Fett der Opfertiere.<br />

Die Heiligkeit Gottes lässt sich nicht im Tempel einsperren, sondern greift auf das<br />

Leben aus, <strong>und</strong> zwar auf alle Bereiche des Alltags.<br />

Deshalb ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich, wenn die Laienbewegung der Pharisäer<br />

versucht, das ganze Leben als Dienst an Gott zu gestalten. Diese Bewegung entsteht<br />

vermutlich um etwa 100 v. Chr. <strong>und</strong> setzt sich zum Ziel, die priesterlichen Ideale des<br />

Tempelkultes auf die normalen Israeliten zu übertragen: Das ganze Volk Israel soll<br />

gottgemäß leben, <strong>und</strong> zwar immer <strong>und</strong> überall. Das Mittel, mit dem das erreicht<br />

werden soll, besteht im absoluten Gehorsam gegen Gottes Gebote, wie sie in der<br />

Bibel festgelegt sind. Das ganze Leben soll durchdrungen werden von dieser<br />

Ehrfurcht vor der göttlichen Weisung. In dem Konzept der Pharisäer wird ganz<br />

deutlich, dass die Heiligkeit Gottes sich nicht auf den Tempelbezirk beschränkt,<br />

sondern die gesamte Lebenswirklichkeit der Menschen erfassen <strong>und</strong> umgestalten<br />

will.<br />

Die Pharisäer kommen im Neuen Testament schlecht weg. Ihr Name wurde in der<br />

christlichen Tradition zum Inbegriff für Heuchelei, äußerliche Gesetzesfrömmigkeit<br />

<strong>und</strong> Scheinheiligkeit. Das trübt den Blick dafür, dass die pharisäische Bewegung mit<br />

der Jesusbewegung vieles gemeinsam hat. Die Gruppe, die sich um Jesus schart, ist<br />

ebenfalls eine Laienbewegung. Kein einziger Priester wird erwähnt. Und die<br />

Botschaft Jesu richtet sich ebenfalls an die normalen Leute. Die Landbevölkerung<br />

Galiläas, Männer, Frauen <strong>und</strong> Kinder spricht er an. Diese Gemeinsamkeiten sind<br />

beachtlich, weil sie zeigen, dass Jesus eine Gr<strong>und</strong>überzeugung der Pharisäer teilt:<br />

Gott will nicht nur im Tempel beräuchert werden, seine Heiligkeit beansprucht die<br />

ganze Welt <strong>und</strong> das ganze Leben.<br />

Jesus setzt freilich nicht auf den Gesetzesgehorsam. Vermutlich sieht er die<br />

Menschen so tief in Sünde <strong>und</strong> Schuld verstrickt, dass er es für unrealistisch hält,<br />

die vollkommene Erfüllung des Gesetzes anzustreben. Deshalb muss Gott den ersten<br />

Schritt machen. Er kommt den Sündern entgegen, bietet ihnen seine<br />

Barmherzigkeit an <strong>und</strong> realisiert so seine Königsherrschaft.<br />

Konsequenterweise verwirklicht sich die königliche Heiligkeit Gottes im Staub der<br />

galiläischen Landstraße: Nicht das prachtvolle Haus des Kaisers in Rom, nicht der<br />

Palast eines Königs <strong>und</strong> nicht der gewaltige Tempel in Jerusalem bilden den Raum,<br />

in dem sich für Jesus die Herrschaft Gottes realisiert. Jesus entdeckt die<br />

Königsherrschaft Gottes in der ländlichen Welt der galiläischen Fischer, Bauern <strong>und</strong><br />

Hausfrauen. Er findet Gott dort, wo Häuser gefegt werden, um verlorenes Geld zu<br />

5<br />

Sir 35:1-4 EÜ.<br />

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