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Religion und Offenbarung - Orient-Institut Beirut

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finden, wo man Brot backt, Felder bestellt <strong>und</strong> verirrte Schafe sucht. Die staubige<br />

Welt des Alltags auf dem Land ist für Jesus der Ort, wo die Königsherrschaft Gottes<br />

anbricht.<br />

Jesus behauptet gerade nicht, dass die religiöse Elite im Tempel Gott am nächsten<br />

ist, sondern er zeigt Gott in einer Welt, die aus der Sicht der Reichen <strong>und</strong> Mächtigen<br />

ganz nebensächlich ist, weil sie eine Welt der Armen <strong>und</strong> Machtlosen ist.<br />

Das Heilige vermittelt sich nicht mehr in der kultischen Reinheit des Tempels. Jesus<br />

behauptet, dass die Gegenwart Gottes erkennbar wird im mühsamen, schmutzigen<br />

Leben der Bauern <strong>und</strong> sogar im Leben derer, die von ihnen verachtet werden. Seine<br />

heilsame „Liturgie“ ist das Berühren der Kranken <strong>und</strong> das Vertreiben des Bösen.<br />

Seine „Sakramente“ des Gottesreiches finden auf den Straßen <strong>und</strong> Plätzen Galiläas<br />

statt. Sein heiliges Mahl besteht im Essen mit Zöllnern <strong>und</strong> anderen<br />

Schuldbeladenen. Dieses Essen wird nicht dadurch zum heiligen Mahl, dass es in<br />

einem besonderen Raum <strong>und</strong> nach einem besonderen Ritual mit besonderen<br />

Geräten zelebriert wird, sondern dadurch, dass es die Integrationsbewegung Gottes,<br />

der die „verlorenen Schafe“ sucht, abbildet <strong>und</strong> vollzieht.<br />

3.2 <strong>Religion</strong> – Projektion – <strong>Offenbarung</strong><br />

Es gibt also eine gute Basis für die Behauptung, dass man Heiligkeit biblisch ganz<br />

neu definieren kann. Im Alten <strong>und</strong> im Neuen Testament gibt es eine starke<br />

Tradition, die uns sagt: Das Heilige lässt sich nicht einsperren in Gotteshäuser <strong>und</strong><br />

heilige Bezirke. Die Heiligkeit Gottes ist damit zugleich eine deutliche Kritik an den<br />

religiösen Projektionen, die es auch in der biblischen <strong>Religion</strong> gibt.<br />

Wenn wir diese Tradition ernst nehmen, dann könnte man zu einer<br />

Neubestimmung von <strong>Religion</strong> <strong>und</strong> <strong>Offenbarung</strong> gelangen, wie ich sie in meiner<br />

Titel-These formuliert habe: <strong>Religion</strong> ist ein Angebot Gottes, sich ihm zu entziehen,<br />

ohne ihn zu vergessen.<br />

Diese These nimmt den Projektionscharakter von <strong>Religion</strong> ernst. Sie sieht, dass<br />

nicht nur andere <strong>Religion</strong>en, sondern auch die eigene von menschlichen<br />

Projektionen durchsetzt sind. Ich versuche aber nicht, <strong>Religion</strong> <strong>und</strong> <strong>Offenbarung</strong><br />

komplett zu trennen, deshalb verstehe ich <strong>Religion</strong> als Angebot Gottes.<br />

<strong>Religion</strong> <strong>und</strong> <strong>Offenbarung</strong> sind aber auch nicht einfach identisch. Die vielen<br />

Irrungen der biblischen <strong>Religion</strong>, gegen die die Propheten immer wieder aufstehen,<br />

zeigen, dass Menschen immer wieder dazu neigen, sich ihren eigenen Gott zu<br />

basteln. Die Gottheit Gottes wird dann ersetzt durch die menschlichen<br />

Vorstellungen von Gott. Man könnte also sagen: <strong>Religion</strong> ist wie ein Denkmal Gottes.<br />

Sie zeigt Gott nicht unbedingt, wie er ist, aber <strong>Religion</strong> hält doch auch immer die<br />

Erinnerung wach, so dass wir ihn nicht vergessen.<br />

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