PDF Download (11,7 MB) - Michael Siffrin
PDF Download (11,7 MB) - Michael Siffrin
PDF Download (11,7 MB) - Michael Siffrin
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die Zukunft des Gymnasiums hat am HWG<br />
bereits begonnen<br />
Abiturrede 2010<br />
von Schulleiter Wolfgang Wagner<br />
Vor einigen Wochen rief mich eine<br />
Journalistin an und erklärte mir, dass<br />
sie aufgrund eigener Recherchen<br />
und Untersuchungen die Ursachen<br />
eines Phänomens herausgefunden<br />
habe, nach dem Politiker, Lehrer,<br />
Schüler und Eltern schon seit Jahren<br />
forschten, nämlich: worauf der nicht<br />
zu leugnende Schulstress der Schüler<br />
zurückzuführen sei. Natürlich war<br />
ich neugierig und ich bat daher die<br />
Dame, mir das Ergebnis ihrer Forschungen<br />
preiszugeben.<br />
Hauptursache der beklagenswerten<br />
immensen Schülerbelastung, so die<br />
Journalistin, seien die vielen Nebenjobs,<br />
die die Schüler ausübten. Insbesondere<br />
die Wochenenden der Schüler<br />
seien mit harter Erwerbsarbeit<br />
ausgefüllt. Und der besondere Stress<br />
der Abiturienten und Abiturientinnen<br />
rühre in der Hauptsache von der<br />
Vergnügungsreise, die die meisten<br />
von ihnen zwischen der schriftlichen<br />
und der mündlichen Abiturprüfung<br />
durchführen würden, bei der – so die<br />
Journalistin - die Nacht zum Tage<br />
werde und reichlich Alkohol fließe.<br />
Kurz und gut: die Schüler seien an<br />
ihrem Stress und ihrer Belastung<br />
selbst schuld.<br />
Wenn man als Lehrer oder Schulleiter<br />
hört, dass Schüler neben ihrem<br />
Hauptjob, nämlich der Schule, auch<br />
noch andere Jobs ausüben und sogar<br />
mitten in der Abiturprüfung Vergnügungsreisen<br />
antreten, bei denen<br />
es nicht um Bildung oder Erholung<br />
geht und bei denen gelegentlich auch<br />
Alkohol im Spiel sein soll, dann stellt<br />
man natürlich die Frage nach der<br />
38<br />
Glaubwürdigkeit, wenn Schüler über<br />
die schulische Belastung wehklagen.<br />
So ging es auch mir. Die These der<br />
Journalistin schien schlüssig, und<br />
es war unverständlich, warum bisher<br />
niemand die Ursache für den<br />
Schülerstress so einfach und doch<br />
so präzise benannt hatte. Insofern<br />
hätte ich eigentlich angetan sein<br />
müssen. Aber bei einer genaueren<br />
Betrachtung dieser Argumentation<br />
kam ich schnell zu dem Schluss,<br />
dass die Ausführungen meiner Gesprächspartnerin<br />
sehr oberflächlich<br />
waren und dass sie von der Materie<br />
eigentlich keine Ahnung hatte.<br />
Sicherlich gibt es Schüler, die neben<br />
der schulischen Arbeit einer kleinen<br />
Nebenerwerbstätigkeit nachgehen,<br />
um ihr Taschengeld aufzubessern.<br />
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich,<br />
dass Umfang und zeitliche Inanspruchnahme<br />
dieser kleinen Jobs in<br />
der Regel aber nicht so hoch sind,<br />
dass man darin die Ursache für den<br />
an Gymnasien festzustellenden<br />
Schülerstress sehen könnte. Wenn<br />
Gymnasiasten für den Erwerb bestimmter<br />
materieller Güter einen<br />
Eigenbeitrag leisten, um den Geldbeutel<br />
ihrer Eltern zu schonen, dann<br />
kommt diesem Nebenerwerb auch<br />
ein nicht zu unterschätzender pädagogischer<br />
Wert zu – einmal abgesehen<br />
davon, dass es gewiss kein Fehler<br />
ist, neben der Schule den beruflichen<br />
Alltag kennen zu lernen und damit<br />
eine gewisse Alltagstauglichkeit zu<br />
erwerben, die so in der Schule nicht<br />
vermittelt werden kann. Wenn dies<br />
in der Freizeit geschieht und wenn<br />
es sich um kleine Nebentätigkeiten<br />
handelt, dann sehe ich darin keine<br />
unangemessene Belastung und keine<br />
Beeinträchtigung der schulischen<br />
Arbeit, für die immer noch genug Zeit<br />
vorhanden ist.<br />
Natürlich gibt es auch Ausnahmen<br />
von der Regel. Ich erinnere mich an<br />
einen Schüler, der sich bei mir bitter<br />
darüber beklagte, dass wir zwischen<br />
der 6. und 7. Stunde eine halbstündige<br />
Mittagspause einrichteten. Er<br />
habe, so der Schüler, einen festen<br />
Halbtagsjob, der täglich um 15 Uhr<br />
beginne und da dürfe er nicht zu<br />
spät kommen. Ich denke, das war nur<br />
eine Ausnahme von der Regel und ist<br />
nicht Norm.<br />
Ich sehe im Übrigen die Gefahr, dass<br />
man mit der These von der durch die<br />
Schüler selbst verschuldeten Überlastung<br />
von den eigentlichen Ursachen<br />
ablenkt – und das sind die nun mal<br />
verbesserungswürdigen pädagogischen<br />
Rahmenbedingungen.<br />
Dazu passt die Feststellung eines<br />
deutschen Ministerpräsidenten, der<br />
in Zeiten klammer Haushaltskassen<br />
an der Bildung sparen möchte mit<br />
dem Argument, mehr Geld mache<br />
nicht automatisch klüger. Man<br />
müsse halt nach Wegen suchen, die<br />
Bildung zu verbessern, ohne immer<br />
mehr Geld ins System zu pumpen.<br />
Diesen Weg haben wir in der Vergangenheit<br />
intensiv gesucht, ohne<br />
ihn zu finden.<br />
Es kann nicht sein, dass die Milliardenpakete,<br />
die der Staat gepackt<br />
hat, um die spekulationsgeschädigten<br />
Banken zu retten und um den