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Ein Fall für die Profis<br />

Schüler helfen Schülern bei Konflikten untereinander<br />

von Alexander Titz<br />

Andreas geht in die siebte Klasse<br />

des HWG und hat ein Problem. Sein<br />

bester Freund Thomas ist in der<br />

letzten Pause total ausgeflippt. Er<br />

hat ihn geschubst und als „treulose<br />

Tomate“ beschimpft. Ein Klassenkamerad<br />

hat die beiden getrennt<br />

und ihnen empfohlen, zu den Konfliktvermittlern<br />

zu gehen. Da sitzen<br />

die beiden jetzt im Raum 613 – dem<br />

Zimmer der Konfliktvermittler am<br />

HWG – und vereinbaren mit den<br />

beiden dort Diensthabenden einen<br />

Termin. Der wird am Donnerstag in<br />

der vierten Stunde stattfinden, weil<br />

keiner der Beteiligten dann eine<br />

Klassenarbeit schreibt.<br />

Mit Beginn dieses Schuljahres haben<br />

16 Schüler und Schülerinnen<br />

der siebten und achten Klasse ihren<br />

Dienst als Konfliktvermittler<br />

am HWG aufgenommen. Sie wurden<br />

ein Jahr lang für diese verantwortungsvolle<br />

Tätigkeit ausgebildet.<br />

In der ersten Woche des<br />

Schuljahres wurden sie nun in der<br />

Aula vom Schulleiter Herrn Wagner<br />

offiziell ernannt. Sie erhielten dabei<br />

eine Urkunde und ein kleines<br />

Abzeichen, das sie im Schulalltag<br />

als Konfliktvermittler erkennbar<br />

macht. Seitdem ist in den großen<br />

Pausen immer ein Zweierteam im<br />

Raum 613 anzutreffen.<br />

Als die beiden Streithähne Thomas<br />

und Andreas zum vereinbarten Termin<br />

erscheinen, werden ihnen von<br />

den Konfliktvermittlern die wichtigsten<br />

Regeln erläutert:<br />

Erstens: Das Vermittlungsverfahren<br />

ist keine Gerichtsverhandlung.<br />

90<br />

Es geht nicht darum, jemanden zu<br />

verurteilen, sondern gemeinsam<br />

eine Lösung zu finden. Zweitens:<br />

Die Vermittler verhalten sich absolut<br />

neutral. Drittens: Alles Gesagte<br />

wird streng vertraulich behandelt.<br />

Viertens: Jede und jeder darf ausreden.<br />

Nachdem beide mit den Regeln einverstanden<br />

sind, beginnt die erste<br />

Phase des Gesprächs, in dem Thomas<br />

und Andreas nacheinander in<br />

Ruhe den Konflikt schildern können.<br />

Was sie sagen, wird von den<br />

Konfliktvermittlern zusammengefasst<br />

und noch einmal wiederholt.<br />

So wird sichergestellt, dass alles<br />

richtig verstanden wurde. Dabei<br />

wird klar, was der Auseinandersetzung<br />

auf dem Schulhof vorausging:<br />

Thomas wollte sich mit Andreas<br />

für den Nachmittag verabreden.<br />

Andreas war aber schon verabredet<br />

– mit einer Schülerin, die neu<br />

in die Klasse gekommen ist.<br />

Damit ist der Fall für die Konfliktvermittler<br />

aber noch nicht geklärt.<br />

Sie wissen, dass Konflikte oft tiefer<br />

liegende Ursachen haben. Sie<br />

leiten das Vermittlungsgespräch<br />

bewusst in eine zweite Phase über,<br />

in der die hinter dem Konflikt liegenden<br />

Bedürfnisse und Gefühle<br />

zur Sprache kommen können.<br />

Dabei stellt sich heraus, dass Thomas<br />

und Andreas seit langem die<br />

besten Freunde sind und immer<br />

viel gemeinsam unternommen haben.<br />

In letzter Zeit verabredet sich<br />

Andreas häufiger mit der neuen<br />

Klassenkameradin. Thomas fühlt<br />

sich dadurch zurückgesetzt und<br />

wünscht sich die Zeit zurück, in<br />

der beide fast jeden Tag gemeinsam<br />

etwas unternommen haben.<br />

Nachdem auch die verdeckten<br />

Gründe für den Konflikt ausgesprochen<br />

sind, finden die beiden<br />

mit Unterstützung der Konfliktvermittler<br />

selbst eine Lösung. Nicht<br />

die Konfliktvermittler schlagen<br />

ihnen eine Lösung vor, sondern<br />

Thomas und Andreas haben selbst<br />

Ideen entwickelt, wie sie sich eine<br />

Lösung vorstellen könnten. Thomas<br />

hat vorgeschlagen, dass sie<br />

immer dienstags und donnerstags<br />

etwas gemeinsam unternehmen.<br />

Andreas fand das grundsätzlich<br />

eine gute Idee, ihm passen aber<br />

zwei andere Wochentage besser.<br />

Am Ende steht eine Vereinbarung<br />

mit der beide einverstanden sind,<br />

und bei der beide das Gefühl haben,<br />

dass sie etwas gewonnen haben:<br />

das Gefühl, ihre Freundschaft<br />

zu bewahren und dennoch den<br />

Freiraum für andere Kontakte zu<br />

haben. Jetzt hat Andreas kein Problem<br />

mehr.<br />

Natürlich sind Thomas und Andreas<br />

dem Autor dieses Artikels nicht<br />

persönlich bekannt. Aber ihre Situation<br />

und ihr Verhalten sind exemplarisch.<br />

Deshalb werden die beiden<br />

im Rahmen der Ausbildung der<br />

Konfliktvermittler in Form eines<br />

Rollenspiels lebendig. Und dann<br />

könnte das Vermittlungsgespräch<br />

mit zwei echten Konfliktvermittlern<br />

des HWG den beschriebenen<br />

Verlauf nehmen.

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